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Vernetzung |

TeleStroke: Beim Schlaganfall geht mehr!

Mit seinen 22 TeleStroke-Netzen ist Deutschland bei der telemedizinischen Schlaganfallversorgung vorn dabei, aber ausruhen darf es sich nicht. Es braucht jetzt die echte digitale Integration über alle Sektoren hinweg.

Das Stroke-Einsatz-Mobil (STEMO) führt einen Computertomographen (CT) an Bord. So kann sich der Arzt bei einem Schlaganfall-Verdacht vor Ort bereits ein Bild vom Gehirn machen und die Therapie einleiten.Quelle: © Charité Berlin

Was Prof. Dr. Silke Walter, Neurologin an der Universitätsklinik des Saarlands, bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in wenigen Sätzen zusammenfasste, ist eine deutsche Erfolgsgeschichte: „Wir haben in Deutschland 22 telemedizinische Schlaganfallnetzwerke, die pro Jahr über 38.000 Telekonsile durchführen. Die Thrombolyserate in diesen Netzwerken beträgt 14,1%, und 7,9% der Patient:innen werden in ein spezialisiertes Zentrum zur Thrombektomie verlegt.“

 

Wer es noch etwas genauer wissen will, kann in einer lesenswerten Übersichtspublikation nachschlagen, die kürzlich unter Federführung von Prof. Dr. Christoph Gumbinger, Sprecher der Kommission Telemedizinische Schlaganfallversorgung der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), in der Zeitschrift Der Nervenarzt veröffentlicht wurde. Rund 70% der Telekonsil-Patient:innen in den TeleStroke-Netzen haben demnach tatsächlich einen Schlaganfall. Daraus lässt sich überschlagen, dass etwa 11% aller Schlaganfallpatient:innen in Deutschland unter Einbeziehung von Telemedizin versorgt werden. Alle Netzwerke bieten die Telekonsile 24 Stunden am Tag, 365 Tage die Woche an. Im Median stehen für die Netzwerktätigkeit 2,5 zusätzliche Personalstellen pro Netzwerk zur Verfügung, das Spektrum geht hier von einer bis zu vier zusätzlichen Stellen.

 

Es gibt immer noch große Lücken

All das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Schlaganfallversorgung noch erhebliche Verbesserungspotenziale gebe, sagte Walter beim DGN-Kongress: „Der Zugang zu Thrombolyse und Thrombektomie ist immer noch klar abhängig davon, wo man wohnt.“ Prof. Dr. Jürgen Faiss, der anlässlich des Weltschlaganfalltags kürzlich auf einer Veranstaltung der DSG über das Thema referierte, sieht das ähnlich: Es gebe weiterhin „dunkle Ecken der Versorgungslandschaft“, die es noch mehr aufzuhellen gelte.

 

Wie das gehen könnte, wird zunehmend deutlich, und einmal mehr kann die digitale Vernetzung dabei eine Schlüsselrolle einnehmen. Davon ist auch Gumbinger überzeugt: „Es liegt eine kleine telemedizinische Revolution in der Luft.“ Diese Revolution hat mehrere Komponenten. Natürlich dreht es sich dabei zunächst einmal um eine weitere Optimierung der Akutversorgung. Hier kündigt sich derzeit der telemedizinisch unterstützte Rettungsdienst an. Was der in Sachen Schlaganfall leisten könnte, hat unter anderem in Deutschland das Stroke Angel Projekt gezeigt, dessen Ergebnisse kürzlich publiziert wurden. Durch die telemedizinische Anbindung vom Rettungswagen zum aufnehmenden Krankenhaus konnte sowohl die Zeit zwischen Ankunft der Patient:innen und CT-Scan als auch die Zeit zwischen Ankunft und Lysebeginn verringert werden. „Das basiert aber nicht nur auf der Televernetzung, sondern auch auf einer Optimierung der Schlaganfallversorgung insgesamt“, betonte Walter.

 

Telenotarztsysteme: Besser intersektoral organisieren?

Telenotärzt:innen werden derzeit in mehreren Bundesländern eingeführt oder befinden sich zumindest in Planung. Mit Blick auf die Schlaganfallversorgung stellt sich allerdings die Frage, wie solche Szenarien umgesetzt werden. Die in vielen Situationen hilfreich Verbindung zwischen Rettungswagen und einem breit aufgestellten Telenotarzt in der zuständigen Leitstelle ist beim Schlaganfall unter Umständen nicht die beste Lösung.

 

Die DSG zumindest sähe bei solchen Modellen lieber intersektorale Konzepte, was sich beim Schlaganfall deswegen besonders anbieten würde, weil hier die telemedizinischen Infrastrukturen durch die TeleStroke-Netze bereits existieren. Teleneurolog:innen könnten im Rahmen einer Verlegung zur mechanischen Thrombektomie den Part des Telenotarztes gleich mit übernehmen, was fehlerträchtige Übergaben reduziert, Zeit spart und eine kontinuierliche Betreuung durch Schlaganfallspezialist:innen bei der Verlegung ermöglichen würde. Auch bei der Schlaganfall-Primärversorgung durch den Notarzt könnten existierende TeleStroke-Infrastrukturen für notfallmäßige Telekonsile mitgenutzt werden.

 

Wie könnten mobile Stroke Units integriert werden?

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage, wie die in den letzten Jahren immer stärker perfektionierten mobilen Stroke Units (MSU) optimal in die Versorgungsinfrastrukturen eingebunden werden können. Die MSU haben ein CT und eine/n Neurolog:in an Bord bzw. per Telemedizin zugeschaltet. Sie bieten damit zum eine die Option eines Lysebeginns unterwegs, zum anderen die Möglichkeit einer Triagierung in Richtung mechanischer Thrombektomie (TEA) ohne zusätzlichen Zwischenschritt. MSU sind sehr teuer und nicht in jeder Geographie sinnvoll umsetzbar. Aber sie haben in mehreren Studien ihren medizinischen Nutzen unter Beweis gestellt, und ihre Einführung wird derzeit in mehreren Ländern ernsthaft geprüft.

 

Eine der Arbeitsgruppen, die sich bei diesem Thema hervorgetan hat, ist die Arbeitsgruppe der Charité Berlin um Heinrich Audebert. Von dort kommt die B_PROUD-Studie, die Anfang des Jahres publiziert wurde. Es handelt sich um eine prospektive, nicht-randomisierte Interventionsstudie mit über 1500 Patient:innen. Im Endeffekt zeigte sich, dass der den Grad der Behinderung beschreibende mRS Score nach 3 Monaten sowie die Wahrscheinlichkeit eines schlechten funktionellen Outcomes in der MSU-Kohorte jeweils signifikant geringer waren. (Odds Ratio für schlechteres funktionelles Outcome 0,73; 95% CI 0,54-0,99) Grundgesamtheit in der B_PROUD-Studie waren Schlaganfallpatient:innen, die für eine Lyse aufgrund prinzipiell geeignet waren. Die Lysequote in der MSU-Gruppe betrug 60,2%, in der Kontrollgruppe 48,1%. Der Anteil der TEA-Patient:innen war in beiden Gruppen mit 13,8% bzw. 13% ähnlich.

 

Eine zweite prospektive, multizentrische Beobachtungsstudie mit ebenfalls rund 1500 Patient:innen, die Best-MSU Studie aus Texas, hat die Beobachtungen der Berliner ganz aktuell nochmals bestätigt. Das Design war insofern etwas anders, als „prinzipiell lysegeeignet“ strenger definiert war mit der Folge, dass 97,1% der Patient:innen in der MSU-Gruppe eine Lysetherapie erhielten. Das war deutlich mehr als in der Kontrollgruppe mit konventioneller Versorgung, wo 79,5% erreicht wurden. Im Ergebnis hatten 55% der Patient:innen in der MSU-Gruppe, aber nur 44% in der Vergleichsgruppe, nach 3 Monaten einen mRS Score von 0 oder 1. „Das sind wirklich ganz exzellente Ergebnisse“, betonte Scholz bei der DGN-Tagung.

 

Auch die Nachsorge in den Blick nehmen

Schlaganfallversorgung ist Akutmedizin, aber nicht nur. Auch am anderen Ende der Versorgungskette, bei der Nachsorge, haben telemedizinische, sektorenübergreifende Infrastrukturen viel Potenzial. Anders als bei der Akutversorgung, wo sich Deutschland im internationalen Vergleich nicht verstecken muss, gebe es bei der Schlaganfallnachsorge hier zu Lande relevante Defizite, betonte DSG Geschäftsführer Faiss. Eines der Probleme dabei sei die fachärztlich-neurologische Versorgung auf dem Land, die in einigen Regionen kaum existiere. Hier könnten intersektorale, regionalisierte Telemedizinangebote hilfreich sein, so Faiss. Solche Angebote müssten nach Auffassung der DSG die hausärztliche und fachärztliche Versorgungsebene besser verzahnen, aber auch die stationären Schlaganfallzentren einbinden.

 

Es ist offensichtlich, dass die geschilderte Weiterentwicklung der Schlaganfallversorgung in Deutschland nicht mit ein paar neuen Abrechnungsziffern erledigt werden kann. Nötig sind strukturelle Veränderungen, die, Stichworte Intersektoralität und Regionalisierung, auch vielen anderen Bereichen der medizinischen Versorgung sehr guttäten. Trotzdem ist es nötig, parallel dazu auch das Thema Abrechnung im Rahmen der derzeitigen Strukturen im Blick zu behalten. So erfolgreich die TeleStroke-Netze in Deutschland sind, nachhaltig finanziert sind sie auch mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer breiten Implementierung nicht.

 

Mit der rühmlichen Ausnahme Bayern werden in den TeleStroke-Netzen nämlich für die peripheren Häuser in diesen Netzwerken derzeit nur die auf der „eigenen“ Seite entstehenden Kosten refinanziert. Die Telekonsile, für die Geld an die Zentren überwiesen werden muss, sind nicht abrechenbar. Das habe dazu geführt, dass sich mittlerweile einige periphere Häuser aus Kostengründen aus TeleStroke-Netzen zurückgezogen hätten, betonte Gumbinger. Denkbar ist, dass das derzeit laufenden Bewertungsverfahren des Innovationsfonds-Projekts ANNOTeM beim Gemeinsamen Bundesausschuss der ganzen Erstattungsthematik bei der Schlaganfalltelemedizin Schwung verleiht. Darauf wetten freilich möchte niemand.