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Medizin |

Uniklinikum Heidelberg eröffnet erste telemedizinische Praxis in Hamburg

Videokonferenz: Experten der Neurologie besprechen die Untersuchungsergebnisse mit Hamburger Patienten. Foto: Universitätsklinikum Heidelberg

Von der deutschlandweit einmaligen Expertise der Heidelberger Neuroradiologen in der Bildgebung und Diagnose von peripheren Nervenschäden profitieren nun auch Patienten aus Hamburg und Umgebung - ohne langen Anreiseweg: Das Universitätsklinikum Heidelberg eröffnet am Neuen Wall in Hamburg die weltweit erste komplett telemedizinisch geführte Praxis speziell für die Diagnose von Erkrankungen der feinen Nervenbahnen außerhalb von Gehirn und Rückenmark (peripheres Nervensystem).

 

Die bildliche Darstellung kleinster Nervenschäden in Armen, Beinen und im Bereich des Kopfes ist erst seit wenigen Jahren mit Hilfe neuer Verfahren der Magnetresonanztomographie (MR-Neurographie) möglich, die am Heidelberger Universitätsklinikum maßgeblich entwickelt wurden und in dieser Präzision bisher nur dort verfügbar waren. Die Untersuchungen in der Hamburger Praxis vor Ort führen speziell geschulte Medizinisch-technische Assistentinnen durch, die MRT-Daten werden dann zur Auswertung nach Heidelberg geschickt, wo sie in Echtzeit verfügbar sind. Das Gespräch zwischen Arzt und Patient erfolgt per Videokonferenz - der Spezialist kommt gewissermaßen zum Patienten und nicht umgekehrt. Bislang können sich Patienten der privaten Krankenkassen an die Hamburger Praxis wenden. Es ist geplant diese Spezialdiagnostik zukünftig auch in Hamburg über die gesetzliche Krankenkasse versicherten Patienten anbieten zu können, bislang ist dies nur in Heidelberg möglich.

Krankhafte Veränderungen der Nerven in Armen und Beinen, sogenannte periphere Neuropathien, sind die häufigste neurologische Störung und können verschiedene Ursachen haben. So leiden rund die Hälfte aller Diabetes-Patienten - ca. 100.000 von ihnen in Deutschland pro Jahr - früher oder später unter Missempfindungen an Fingern, Zehen und Fußsohlen. Die Nervenschäden können auch als Nebenwirkung einer Chemotherapie, Folge von Alkoholmissbrauch, infolge von Gefäßerkrankungen oder aufgrund genetischer Veranlagung auftreten. Häufige Symptome sind Kribbeln, Brennen, Schmerzen, Taubheitsgefühl oder Bewegungsstörungen. Mit den gängigen Diagnosemethoden - z.B. wird die Geschwindigkeit der elektrischen Nervenleitung erfasst - lassen sich oft weder die genaue Stelle der Nervenschädigung, noch die genaue Ursache ermitteln.

 

"Es fehlten lange geeignete bildgebende Verfahren. Die haben wir mit der MR-Neurographie in den letzten Jahren am Universitätsklinikum Heidelberg entwickelt und etabliert", erklärt Professor Dr. Martin Bendszus, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Neuroradiologie am Universitäts­klinikum Heidelberg und Leiter der MRT-Praxis Neuer Wall Hamburg. "Die spezielle Technik zusammen mit langjähriger Erfahrung gibt es bisher nur in Heidelberg."

 

Aus diesem Grund finden jährlich rund 500 Patienten aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland ihren Weg nach Heidelberg. "Viele dieser Patienten haben schon einige Operationen hinter sich, die ihre Beschwerden nicht lindern konnten. Ohne klare Diagnose greift die Therapie oft ins Leere oder muss sich auf die Behandlung schmerzhafter Symptome beschränken. Oder es erfolgen nicht selten Operationen am falschen Ort. Auch kann fälschlich der Verdacht entstehen, die Erkrankung sei psychischer Natur", so der Neuroradiologe. "Die MR-Neurographie kann hier in vielen Fällen eine sehr gute Unterstützung sein. Mit der neuen Praxis wollen wir den Patienten aus Hamburg und dem Norden Deutschlands eine große Wegstecke entgegen kommen und ihnen auch ohne Reise nach Heidelberg zu einer klaren Diagnose verhelfen", sagt Professor Bendszus.

 

Erfolgreiche Diagnostik für individuelle Therapiemöglichkeiten

Der Nutzen der MR-Neurographie für die Diagnose von Nervenerkrankungen wurde in mehreren Studien belegt. So zeigte eine 2014 veröffentlichte Studie der Heidelberger Arbeitsgruppe bei Patienten mit einer seltenen Nervenerkrankung im Arm (Kiloh-Nevin-Syndrom): Bei den Betroffenen ist u.a. die Feinmotorik von Daumen und Zeigefinger gestört. Als Ursache wurde bisher ein eingeklemmter Nerv am Unterarm vermutet und daher diese Stelle operativ freigelegt und entlastet. Die MR-Neurographie ergab allerdings, dass das Problem bei allen Patienten im Oberarm liegt, wo kleinste Nervenfasern z.B. durch eine Entzündung geschädigt waren. Letztlich konnte das richtige Verständnis dieser Erkrankung erst durch  MR-Neurographie erbracht werden.

 

In den vergangenen zwei Jahren beschrieb das Team um Professor Bendszus zudem neue Erkrankungen wie die venöse Kompression von Nerven. Dabei drückt eine Krampfader auf den benachbarten Nerv und verursacht Schmerzen, Missempfindungen oder sogar Lähmungserscheinungen. Mit diesem Wissen ist eine gezielte operative Behandlung möglich. Die MR-Neurographie brachte auch neue Erkenntnisse zur fortschreitenden Nervenschädigung bei Diabetes: Anders als gedacht, beginnt das Absterben der Nervenzellen nicht in den feinen Verästelungen am Ende der Nervenbahnen, sondern an den Nervenhauptstämmen. "Diese Ergebnisse helfen uns, den Verlauf der Neuropathie besser einzuschätzen und die Behandlung darauf abzustimmen", sagt Bendszus. Eine Heilung garantiert diese Diagnose zwar nicht immer, denn manche Nervenschäden lassen sich nicht beheben. Trotzdem kann sie wertvolle Hinweise für die weitere Therapie geben, unnötigen Operationen vorbeugen oder auch wichtige operative Maßnahmen indizieren. Bedeutsam für den Patienten ist auch, dass in vielen Fällen endlich eine sichere Diagnose am Ende einer langen Odyssee gestellt werden kann.

 

Leistungsstarke Technik, spezialisiertes Team

Die MR-Neurographie wird am Universitätsklinikum Heidelberg bereits seit acht Jahren erforscht und entwickelt. Dazu sind nicht nur eine Spezialisierung des gesamten Teams, sondern auch sehr leistungsstarke MRT-Geräte auf dem neusten Stand der Technik und mit einer besonderen Ausstattung nötig. Diese Technik wurde nun auch in der MRT-Praxis Neuer Wall in Hamburg installiert, das Team der Medizinisch-technischen Assistentinnen vor Ort in Hamburg wurde gründlich in Heidelberg geschult. Die spezialisierten Heidelberger Neuroradiologen verfolgen in Echtzeit  und im sicheren Glasfasernetz die MRT-Untersuchung. Zur anschließenden Videokonferenz, in der Arzt und Patient die Untersuchungsergebnisse besprechen, können bei Bedarf Ärzte weiterer Fachrichtungen aus der ganzen Welt zugeschaltet werden.