Im März brachen die Dämme: Nachdem das deutsche Gesundheitswesen lange skeptisch gegenüber der Videosprechstunde war, registrierte die KBV binnen eines Monats zehnmal so viele Anmeldungen von Praxen für die Nutzung von Videosprechstunden als in den zwei Monaten davor. Und die Deckelung des Anteils des Videosprechstundenvolumens am Gesamt-GKV-Umsatz einer Praxis fiel zumindest temporär weg. Das führte dazu, dass die etablierten Videosprechstundenanbieter erheblich wuchsen und eine Reihe neuer Anbieter in den Markt drängte. Zwischen über 30 KBV-zertifizierten Anbieter können niedergelassene Ärzte und Krankenhausambulanzen/-MVZ mittlerweile wählen.
Doch wird das bleiben? Oder ist es ein Strohfeuer? Eine neue, repräsentative Umfrage, die der Health Innovation Hub (hih) des Bundesgesundheitsministeriums gemeinsam mit der Stiftung Gesundheit unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Konrad Obermann vom Mannheimer Institut für Public Health unternommen hat, zeigt, dass die zunehmende Akzeptanz der Videosprechstunde wohl nicht nur ein Pandemiephänomen ist. „Die Videosprechstunde scheint ein Lösungsmodul über die akute Situation hinaus und über alle Fachgebiete hinweg zu sein“, sagt Dr. Philipp Stachwitz, Director Medical Care beim hih und selbst Schmerztherapeut und Anästhesist.
Genutzt wurde ein Online-Fragebogen, der an 25000 Ärztinnen und psychologische Psychotherapeuten per E-Mail verschickt wurde. Zusätzlich wurden weitere 1000 Ärzte telefonisch kontaktiert. Mit einem Rücklauf von 8,6% oder 2240 ausgefüllten Fragebögen war die Resonanz rund zweieinhalb Mal so hoch wie bei der Studienkonzeption erwartet. Was die Geschlechterverteilung angeht, war die Umfrage repräsentativ. Fachärzte waren im Vergleich zu Hausärzten und ältere Ärzte im Vergleich zu jüngeren Ärzten überrepräsentiert.
Im Ergebnis zeigt sich, dass die Mehrheit der Arztpraxen – 52,3 Prozent – aktuell Videosprechstunden anbietet. Demgegenüber lehnen 37,6 Prozent sie ab. Das ist eine deutliche Verschiebung zu einer als Vergleich herangezogenen Befragung der Stiftung Gesundheit aus dem Jahr 2017. Damals hatten noch rund 60 Prozent der Befragten die Videosprechstunde abgelehnt, und 4,5 Prozent nutzten Videosprechstunden oder gaben an, das gerade vorzubereiten.
„Die Zustimmung ist bei der sprechenden Medizin mit über 80 Prozent besonders hoch“, so Stachwitz, „und das, obwohl die sprechende Medizin vor der Pandemie Videosprechstunden nahezu gar nicht verwendete.“ Besonders eindrucksvoll ist, dass acht von zehn psychologisch/psychiatrischen Fachärzten angaben, Videosprechstunden aktuell einzusetzen – doppelt so viele wie bei den Allgemeinärzten oder den Fachärzten.