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Health-IT |

„Wir brauchen bei der Software Gewaltenteilung“

Per PDSG erhält die KBV mehr Rechte bei der Softwareentwicklung. Gleichzeitig bleibt sie die maßgebliche Instanz für Vorgaben und Zertifizierung. Das kann nicht funktionieren, sagt BVITG-Geschäftsführer Sebastian Zilch. Die Archiv- und Wechselschnittstelle ist für ihn ein Kronzeuge.

bvitg-Geschäftsführer Sebastian Zilch, Foto: © bvitg

Das PDSG hat jetzt auch den Bundesrat passiert und wird demnächst in Kraft treten. Jenseits aller ePA-Diskussionen: Was bedeutet das Gesetz für den Markt für Praxis-Software?

Auch wenn das PDSG viel Gutes bringt, hat es zu einer sehr ungünstigen Verschiebung von Kompetenzen und Rechten in Richtung KBV führt. Das hat negative Auswirkungen für viele, darunter auch Ärztinnen und Ärzte.

 

Was stört die IT-Industrie konkret?

Wir haben unter anderem Schwierigkeiten mit dem §68c SGB V, der der KBV in Anlehnung an den auf Krankenkassen gemünzten §68a SGB V die Möglichkeit gibt, digitale Innovationen zu fördern und zu entwickeln. Das hat mit einer Sicherstellung der Versorgung und dem Schließen sehr spezifischer Angebotslücken nichts mehr zu tun. Hier geht es darum, ganz gezielt „Innovationen" in den Markt zu drücken – bis hin zu Praxis-IT-Systemen. Das PDSG schreibt damit leider einen Trend in der Gesetzgebung der letzten Jahre fort. Dass die KBV im DVG das Recht erhalten hat, einen eigenen KIM-Dienst im vollen Wettbewerb anzubieten, haben wir damals nicht verstanden und verstehen es bis heute nicht. Das alles wird dem Markt auf Dauer nicht guttun.

 

Die KBV hat ja immer wieder betont, auch gegenüber E-HEALTH-COM, dass sie weder Interesse noch Kapazitäten habe, ein Marktteilnehmer im normalen Sinne zu werden. Warum hat die Industrie trotzdem Sorgen?

Hier gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen gibt uns die KBV seit Monaten immer wieder Anlass, skeptisch zu sein. Es läuft geradezu eine Kampagne, die darauf abzielt, Praxis-IT-Hersteller als geldgierige und überforderte Produzenten von „Bananen-Software“ zu verunglimpfen. Dieser Begriff stammt nicht von mir, den hat KBV-Vorstand Kriedel bei der KBV-VV vor zwei Wochen benutzt. Gleichzeitig werden die eigentlichen Probleme geflissentlich verschwiegen, vornehmlich die Defizite in den regulatorischen Vorgaben, die nicht zuletzt die KBV formuliert; mitunter in groteskem Detailgrad. Da erscheinen willkürliche Vorgaben für Schriftgrößen und Platzierung von Fenstern, die die Hersteller nur deswegen umsetzen, weil sie sie das müssen – und genau dafür werden sie dann angegriffen. Eine so aggressive und schlechte Stimmung zu verbreiten, schadet der dringend nötigen Digitalisierung im Gesundheitswesen.

 

Aktuell entzündet sich die Wut der Hersteller, mal wieder, muss man sagen, an dem Thema Archiv- und Wechselschnittstelle (AWS) gemäß §291d SGB V. Wie ist da der aktuelle Stand?

Die AWS illustriert beispielhaft, warum wir nicht so weitermachen können wie bisher. Das ist ein komplettes Desaster. Die KBV hat im Mai 2019 die Spezifikation für die Wechselschnittstelle vorgelegt und uns ins Benehmen gesetzt. Wir haben uns das angesehen und deutlich mehr als hundert Kommentare eingebracht. An vielen Stellen machte diese Spezifikation einfach keinen Sinn, an anderen war sie schlicht unsauber gearbeitet. Irgendwann wurde die AWS dann veröffentlicht. Viele kleinere Änderungen waren übernommen worden, die Hauptdefizite der Spezifikation wurden aber nicht angegangen. Die Hersteller haben dann versucht, die AWS umzusetzen, aber das funktionierte wie befürchtet hinten und vorne nicht, trotz unzähliger Anrufe bei der KBV.

 

Das war letzten Herbst. Wie ging es dann weiter?

Die KBV hat eingesehen, dass das so nicht funktioniert, und plötzlich gab es wieder einen Aufruf zur Stellungnahme. Wir haben daraufhin gesagt, dass alle unsere bereits abgegebenen Kommentare weiterhin Gültigkeit hätten. Ergebnis: Es kam der Vorwurf, dass die Industrie nicht kooperiere. Irgendwann kam dann die aktuelle Spezifikation, die etwas verbessert war. Die Umsetzungsfristen wurden verlängert, aktuell arbeiten die Hersteller daran, die AWS bis Ende 2020 zu implementieren. Aber de facto ist das weiterhin mühsam, und bringt keine konkreten Mehrwerte bei der Versorgung.

 

Wieso kommt das Thema gerade jetzt wieder hoch?

Die KBV hat die AWS auf ihrer Vertreterversammlung am 11. September thematisiert, nicht in den Vorträgen, aber in einem Foliensatz, der unter anderem die Umsetzungspflichten bei der AWS zum Inhalt hatte. Da waren auch die geplanten Ausnahmen von der AWS-Pflicht aufgeführt, und dort erscheinen doch tatsächlich – neben Individualsoftware und Eigen- bzw. Speziallösungen – als Ausnahmen jene Softwarelösungen, die im Rahmen des Sicherstellungsauftrags der KVen/KBV entwickelt werden. Das heißt: Die KVen fordern von der Industrie die Umsetzung einer enorm teuren Wechselschnittstelle und nehmen gleichzeitig die selbst angebotenen Lösungen davon aus, die künftig dank PDSG deutlich umfangreicher ausfallen dürfen als bisher. Aus unserer Sicht kann das eigentlich nur heißen, dass das KV-System selbst der Ansicht ist, dass die AWS nichts taugt. Aber nochmal: Die AWS ist nur das Thema, an dem sich unsere Kritik aktuell kristallisiert. Im Kern geht es uns um mehr, nämlich um das gesamte Modell der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Kassenärzten. Das ist in der aktuellen Ausgestaltung kein Modell, das Zukunft hat.

 

Was fordert die Industrie konkret?

Wenn die Ärzteschaft, wie vom Gesetzgeber gewollt, eigene Produkte anbieten kann, brauchen wir eine Gewaltenteilung. Es kann nicht sein, dass die Instanz, die die inhaltlichen Vorgaben für Softwarelösungen in der ambulanten Versorgung macht, gleichzeitig eigene Lösungen entwickelt und auch noch die Instanz für die Zertifizierung dieser Lösungen ist. Da entstehen selbst dann Interessenskonflikte, wenn alle Beteiligten besten Willens sind. Das ist ein völlig ungeeignetes Konstrukt.

 

Diese Forderung war auch Teil des Verbändepapiers „Interoperabilität 2025“, das Ende August vorgelegt wurde.

Genau, aber das war nicht nur ein reines Verbändepapier, schließlich waren auch der health innovation hub des Bundesgesundheitsministeriums sowie die gematik beteiligt. In diesem Papier skizzieren wir, wie eine solche Gewaltenteilung bei der Interoperabilität umsetzbar sein könnte. Dieser Vorschlag wird nun unter breiter Beteiligung der Interoperabilitäts-Community weiter ausgearbeitet und hoffentlich gesetzlich berücksichtigt. Wir müssen einen Weg finden, das Thema Interoperabilität zu entpolitisieren.

 

Wie genau stellen Sie sich das vor?

Der Vorschlag im „Interoperabilität 2025“-Papier besagt, dass die gematik die Rolle einer neutralen Instanz spielen könnte. Durch den 51-Prozent-Anteil des BMG ist sie unserer Meinung nach ausreichend unabhängig von einzelnen Akteuren des Gesundheitswesens. Damit unterliegt sie nicht dem ständepolitischen Kampf, der die Digitalisierung des Gesundheitswesens schon so lange belastet. Aus BVITG-Sicht könnte man darüberhinausgehend auch diskutieren, ob man die Medizinischen Informationsobjekte (MIO), also die semantische Interoperabilität, an einer neutralen Stelle ansiedelt. Wobei das ist nicht der prioritäre Punkt wäre. Wirklich dringend andere Strukturen brauchen wir bei den Instanzen der technischen Interoperabilität und hier vor allem bei der Zertifizierung.

 

Warum auch die MIOs? Hier bekommt die KBV in der Branche doch sehr gute Noten.

Auf der Suche nach einer sinnvollen Lösung sollten wir hier keine Denkverbote haben. Der MIO-Prozess läuft in der Tat besser, als wir das gewohnt sind – nicht zuletzt, weil nur durch enormen Druck aller, die „ins Benehmen gesetzt werden sollen“, ein strukturierter Prozess von der KBV entwickelt wurde. Man darf aber nicht vergessen, dass die konkrete Umsetzung in der ePA erst noch bevorsteht. Grundsätzlich hat auch der MIO-Prozess das Potenzial, politisch missbraucht zu werden. Dem Vorstand der KBV kommt schließlich weiterhin eine wichtige Rolle zu. Ein solches Risiko muss man nicht eingehen. Die Lizenzabteilung für SNOMED CT wird beim BfArM angesiedelt sein, warum kann sich dort nicht eine Unterabteilung mit der Formulierung der MIOs beschäftigen? In den letzten Monaten und Jahren haben wir uns daran gewöhnt, dass sich Rahmenbedingungen schnell ändern können. Deshalb sollten wir auch an diesem Punkt weiterhin offen die beste Lösung entwickeln wollen.


Das Gespräch führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM