In den vergangenen zwei Jahren ging das Interesse von Investoren weltweit an den Bereichen Healthcare und Life Sciences (u.a. Biotechnologie, Biomedizin, Pharmazie) zurück. Die Zahl der Übernahmen und Fusionen ist seitdem stark rückläufig, und damit auch das Transaktionsvolumen insgesamt. Nun scheint sich das Blatt zu wenden: Investoren in Europa erwarten eine deutliche Steigerung der eigenen Investitionen im Bereich Healthcare und Life Sciences (HLS), wobei deutsche Investoren sogar überdurchschnittlich von Steigerungen ausgehen: 96 Prozent der Investoren in Deutschland planen in den nächsten drei Jahren eine Steigerung ihrer Investitionen in dem Bereich, während es im Durchschnitt über verschiedene europäische Länder hinweg nur 86 Prozent sind. Von der positiven Wirkung durch KI auf den Gesundheitssektor sind sämtliche Investoren überzeugt. Dies ergab eine aktuelle Umfrage der internationalen Wirtschaftskanzlei Simmons & Simmons unter 361 Investoren mit HLS-Portfolios in neun europäischen Ländern (UK, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Irland, Belgien, Holland, Luxemburg). Zu den Befragten zählen vorwiegend Chief Investment Officer, Portfolio-Manager und Analysten bei Venture-Capital- und Private-Equity-Firmen, Asset Managern und Investment-Banken. In Deutschland wurden 50 Investoren befragt. Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) dürfte den Sektor künftig noch attraktiver machen: 99 Prozent aller Investoren gehen davon aus, dass KI in den nächsten 24 Monaten das gesamte Spektrum des Gesundheitswesens und der Life Sciences positiv beeinflussen wird.
Deutschland: Großer Nachholbedarf bei HLS-Investitionen
Der Nachholbedarf im Hinblick auf HLS-Investitionen ist bei deutschen Investoren besonders groß: 81 Prozent der Investoren hierzulande erwarten, dass ihre Firma in den nächsten drei Jahren ihre Investitionen im Bereich HLS um mindestens 50 Prozent steigert. In allen befragten europäischen Ländern zusammen sind es nur 67 Prozent der Investoren. Sowohl im europäischen Durchschnitt als auch in Deutschland ist für die Investoren das als attraktiv wahrgenommene Risiko-/Ertragsverhältnis der Hauptgrund für die veränderte positive Sicht auf den HLS-Bereich. Im Hinblick auf die geplanten Aktivitäten nennen Investoren am häufigsten die Kapitalbeschaffung (Europa: 67%; Deutschland: 62%), gefolgt von Fusionen & Übernahmen (Europa: 64%; Deutschland: 52%) und strategischen Allianzen/Kollaborationen (Europa: 49%; Deutschland: 46%).
„Im Gesundheitssektor und im Bereich Life Sciences steckt in den kommenden Jahren ein großes Wachstums- und Ertragspotenzial“, sagt Dr. Stephan Ulrich, Partner im Bereich Corporate/M&A bei Simmons & Simmons in Deutschland. Aus seiner Sicht sind mehrere makroökonomische Faktoren für das gestiegene Investoreninteresse an diesem Sektor verantwortlich. „Der technologische Fortschritt im HLS-Bereich, die alternde Bevölkerung und das durch die Pandemie ausgelöste verstärkte Interesse an Telemedizin und flexibler Impfstoffentwicklung spielen jeweils eine wichtige Rolle“, führt Dr. Stephan Ulrich aus. Künstliche Intelligenz könne im Gesundheitssektor für große Fortschritte vor allem bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten sorgen – dies habe bereits sowohl die großen Pharmakonzerne als auch viele neue Startups auf den Plan gerufen. „Die Innovationspipeline ist gut gefüllt. Wer sich als relevanter Player am Markt positionieren möchte, muss die Weichen frühzeitig stellen. Dazu zählen entweder hohe Investitionen oder Partnerschaften, Fusionen oder Übernahmen, die für nötiges Wachstum sorgen können. Für Investoren könnte sich künftig eine Vielzahl attraktiver Optionen bieten“, erklärt Dr. Stephan Ulrich.
KI wird Gesundheitssektor stark verändern – Daten als Grundlage für Monetarisierung
Davon, dass KI per se eine große positive Wirkung auf jedes einzelne Unternehmen im Bereich Gesundheitswesen und Life Sciences haben wird, sind Investoren quasi unisono überzeugt: 99 Prozent aller europäischen Investoren glauben dies. In welchen Bereichen die KI-Disruption aber am stärksten sein wird, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Während aus Sicht deutscher Investoren primär Kostenträger im Gesundheitswesen, wie zum Beispiel öffentliche oder private Versicherungsgesellschaften oder öffentliche Finanzierungssysteme, „disruptiert“ werden dürften (30%), sehen europäische Investoren insgesamt primär Auftragsforschungsinstitute (21%), die im Auftrag klinische Studien durchführen, von KI-Disruption betroffen.
Für stabile und skalierbare Geschäftsmodelle ist die Generierung und Nutzung von Daten essenziell. Dabei ist das Interesse von Investoren in Deutschland jedoch anders gelagert als von europäischen Investoren in der Gesamtheit. Während 30 Prozent der deutschen Investoren klinische Daten für am besten für eine Monetarisierung geeignet halten, sind dies unter allen europäischen Investoren nur 22 Prozent. Stattdessen halten die europäischen Investoren insgesamt mit 27 Prozent patientengenerierte Gesundheitsdaten für am erfolgversprechendsten, bei den deutschen Investoren sind es nur 20 Prozent.
Deutsche Investoren setzen vor allem auf Anbieter im Bereich Blockchain/Distributed-Ledger-Technologie
Für deutsche Investoren ist vor allem Nord-Amerika eine attraktive Region für Investitionen – 50 Prozent von ihnen bevorzugen Investments dort, während dies über alle befragten europäischen Länder hinweg nur 36 Prozent tun. Für deutsche Investoren folgt als zweitwichtigste Investmentregion Europa (44%), während die Investoren in Europa insgesamt den europäischen Markt präferieren (43%).
Im Hinblick auf die Arten von Technologien halten die europäischen Investoren Healthcare-Apps für am attraktivsten, bei den deutschen Investoren liegen Anbieter im Bereich Blockchain/Distributed-Ledger-Technologie (DLT) knapp vor Healthcare-Apps. Anbieter mit Fokus auf KI/maschinelles Lernen folgen in der Gunst der europäischen Investoren erst auf Rang fünf, bei den deutschen Investoren auf Rang drei.
Regulierung und ESG-Vorgaben zunehmend große Herausforderung für Investoren
Dass Regulierung zu einer zunehmend großen Herausforderung für Investoren wird, belegt die Studie ebenfalls deutlich: 100 Prozent aller befragten Investoren nannten mindestens eine regulatorische Herausforderung, die es im Rahmen von Investments im HLS-Bereich zu meistern gelte – vorneweg regulatorische Verträge, einschließlich Herstellungs-, Lieferketten- und Vertriebsvereinbarungen.
Auch das Thema ESG dürfte künftig zu einer größeren Hürde für Investitionen werden: Die Mehrheit aller befragten Investoren hält mit Blick auf künftige Regulierungen sämtliche mit dem Thema ESG verbundene Vorgaben, wie etwa die EU-Lieferkettenrichtlinie, für besonders herausfordernd, gefolgt von der Verordnung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum.
„Die Befragung von Investoren zeigt, dass ihr Appetit auf Transaktionen im Bereich Gesundheit und Life Sciences in den nächsten Jahren massiv steigen wird. Vor allem deutsche Investoren dürften zunehmend aktiv werden“, fasst Dr. Stephan Ulrich die Ergebnisse der Befragung von Simmons & Simmons zusammen. Dabei werde vor allem das Thema Regulierung für Investoren immer relevanter. „Insbesondere auf EU-Ebene nimmt die Regulierungsdichte zu. Die ohnehin bereits komplexen und vielschichtigen rechtlichen Vorgaben sorgen in Verbindung mit der föderalen Struktur in Deutschland für ein zunehmend herausforderndes regulatorisches Umfeld. sagt Dr. Stephan Ulrich. Die Navigation durch regulatorische Vorgaben sei mittlerweile zu einem kritischen Erfolgsfaktor bei Transaktionen geworden.
Über Simmons & Simmons
Simmons & Simmons ist eine führende internationale Wirtschaftskanzlei mit 320 Partnerinnen und Partnern, mehr als 2.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 21 Büros in Europa, im Nahen Osten, in Asien und den USA. Schwerpunkte der Beratungstätigkeit sind Asset Management und Investmentfonds, Finanzinstitutionen, Healthcare & Life Sciences, Technologie, Medien und Telekommunikation (TMT) sowie Energie & Infrastruktur.