Mit Künstlicher Intelligenz (KI) und beschleunigten Messroutinen möchte Prof. Alexander Radbruch die bisherigen Fähigkeiten der Magnetresonanztomografie erweitern, neue Erkenntnisse über das Gehirn ermöglichen und die Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen verbessern. Der Bonner Radiologe und Neurowissenschaftler leitet am DZNE den neuen Forschungsschwerpunkt „Human Imaging“.
Die Magnetresonanztomografie (MRT) hat seit langem einen festen Platz in der medizinischen Versorgung und der Wissenschaft – das gilt insbesondere für die Hirnforschung. Denn diese Technologie, umgangssprachlich auch „Kernspin“ genannt, ermöglicht anhand von Magnetfeldern und Radiowellen detaillierte Einblicke in den menschlichen Kopf. „Anders als bei vielen anderen Erkrankungen können wir bei Alzheimer, Parkinson oder ALS nicht so ohne Weiteres erkranktes Gewebe entnehmen und im Labor untersuchen. Denn das menschliche Gehirn ist gewissermaßen ein Hochsicherheitsbereich, aus dem man sich besser heraushält“, erläutert Alexander Radbruch. Neben seiner Forschung am DZNE ist er auch Direktor der Klinik für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB). „Die MRT ist jedoch nicht-invasiv und daher ein zentrales Instrument sowohl für die neurowissenschaftliche Forschung als auch für die medizinische Routine.“
Früherkennung von Demenz
MRT-Aufnahmen seien allerdings kostspielig, zeitaufwändig und häufig müsse man viele Wochen auf einen Untersuchungstermin warten, so der Bonner Wissenschaftler. „Ich bin aber davon überzeugt, dass KI und optimierte Messverfahren helfen können, dass die MRT verfügbarer und kostengünstiger wird. Davon verspreche ich mir einen Schub in der Früherkennung von Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen. Bedeutsam wäre dies auch für die Überwachung von Therapien. Insofern gehe ich davon aus, dass die Bildgebung des Gehirns künftig einen größeren Raum in der Diagnostik und Verlaufskontrolle neurodegenerativer Erkrankungen einnehmen wird. Dafür forschen wir. Unser Ziel ist, dass die von uns entwickelten Verfahren in der Wissenschaft sowie der klinischen Praxis zum Einsatz kommen. Wie sehen uns als Chancenmacher.“
Rund zehnmal schneller
Unter dem Dach des neuen Forschungsschwerpunkts „Human Imaging“ (deutsch: „Humane Bildgebung“) werden daher bislang schon vorhandene Ressourcen des DZNE gebündelt und erweitert. Zu Radbruchs eigener Arbeitsgruppe gesellen sich dabei Expertise in der Entwicklung von MRT-Messroutinen sowie Know-how in der Analyse von MRT-Daten mithilfe von KI. „Eine Untersuchung des Gehirns per MRT kann aktuell bis zu knapp einer Stunde dauern. Viele Menschen empfinden die enge Röhre des Hirnscanners und die auffälligen Geräusche, die mit der Untersuchung technisch bedingt einhergehen, als unangenehm. Wir haben den Anspruch, die aktuelle Messzeit auf rund ein Zehntel zu verkürzen. So möchten wir die Untersuchung angenehmer machen“, sagt Radbruch.
Fahrbare Scanner
Die Forschenden machen sich dabei zunutze, dass die Ansteuerung eines MRT-Scanners viele Möglichkeiten bietet: Denn per Software lassen sich Dauer, Abfolge und Stärke der verwendeten Magnetfelder und Radioimpulse in die unterschiedlichsten Kombinationen justieren. Um dabei auch aussagekräftige Aufnahmen des Gehirns zu generieren, sind komplexe physikalische Phänomene zu beachten. „Das DZNE hat viel Erfahrung in der Entwicklung solcher MR-Sequenzen, wie man diese Messroutinen auch nennt“, erläutert Radbruch. „Überdies untersuchen wir die Anwendung portabler MRT-Scanner. Diese gibt es erst seit Kurzem, man kann sie herumfahren wie ein Ultraschallgerät. Im Unterschied zu herkömmlichen MRT-Scannern liegt man nicht mit dem gesamten Körper in einer schmalen Röhre, nur der Kopf wird von dem Gerät umgeben. Außerdem sind diese neuen Geräte kostengünstiger in Anschaffung und Betrieb.“
„Nachschärfen“ per KI
Kürzere Messzeiten und mobile MRT-Scanner haben allerdings einen Nachteil: geringere Auflösung. „Durch Optimierung der Messprotokolle und Nachbearbeitungstechniken, die wir auf die Daten anwenden und die sich KI bedienen, möchten wir das Maximum aus solchen Untersuchungen herausholen. Insbesondere möchte ich untersuchen, ob man bei diesen fahrbaren MRT-Geräten mittels KI eine Bildqualität erreichen kann, die gut genug ist, um sie in jeder neurologischen Praxis einzusetzen. Anders als bisher würde man dann nicht so lange auf einen Untersuchungstermin warten müssen. Das wäre ein bedeutender Fortschritt.“ KI beruht auf der Erkennung von Mustern, etwa hinsichtlich der Gestalt einzelner Hirnbereiche. Um sich diese Fähigkeit anzueignen, müssen KI-Algorithmen an riesigen Datenmengen trainiert werden. Dafür nutzt das Team um Radbruch einerseits MRT-Daten aus klinischen Studien und der „Rheinland Studie“, einer Bevölkerungsstudie des DZNE im Raum Bonn, anderseits profitieren die Forschungsarbeiten vom engen Austausch mit dem UKB.
Datenschatz aus der Medizin
Eine Anbindung besteht zudem an das Zentrum für Medizinische Datennutzung und Translation (ZMDT) der Universität Bonn. „Hier wird aus verschiedenen Perspektiven erforscht, wie Daten aus der Medizin zum Wohle von Patientinnen und Patienten optimal verwendet werden können“, sagt Radbruch, der auch Direktor des ZMDT ist. „Medizindaten sind ein Schatz, den wir ausschöpfen sollten, mit dem wir aber auch sorgsam umgehen müssen. Bonn hat gute Chancen, dabei Vorreiter in Deutschland zu sein. Denn einerseits sind wir in der medizinischen Forschung sehr gut aufgestellt, andererseits sind hier Institutionen wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und die Bundesbeauftragte für den Datenschutz verortet. Ich möchte die Entwicklung der Stadt Bonn zu einem Knotenpunkt für die Nutzung von Medizindaten befördern. Die neuronale Bildgebung spielt dabei eine prominente Rolle, weil diese Technologie stark datengetrieben ist.“
Reinigungsprozesse im Fokus
Überdies erforscht das Team um Radbruch, wie das Gehirn schädliche Stoffwechselprodukte entsorgt. „Bei gesunden Menschen geschieht diese sogenannte Hirn-Clearance beim Schlafen. Das ist einer der Gründe, warum Schlaf für unser Nervensystem so wichtig ist“, so der Neurowissenschaftler. „Eine Fehlfunktion dieser Reinigungsprozesse kann dazu führen, dass sich toxische Substanzen anreichern und Nervenzellen geschädigt werden. Bei Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen sammeln sich im Gehirn bestimmte Eiweißstoffe an. Das könnte an einer verminderten Hirn-Clearance liegen.“ Die Bonner Forschenden entwickeln daher spezielle MRT-Verfahren, um den Fluss des sogenannten Nervenwassers im Gehirn zu erfassen, denn über diese Flüssigkeit können Giftstoffe abtransportiert werden. „Störungen in der Hirn-Clearance frühzeitig erkennen – das ist meine Vision“, sagt Radbruch. „Dazu kooperieren wir mit einem europäischen Konsortium. Die Reinigungsmechanismen des Gehirns waren lange Zeit unbeachtet. Die Forschung steckt hier noch in den Kinderschuhen, könnte aber langfristig zu besseren Therapien beitragen. Ich sehe dafür großes Potenzial.“