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Aus der Coronakrise lernen

Von Prof. Dr. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen

Die Bekämpfung des Coronavirus hat gezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem zu den leistungsfähigsten der Welt zählt. Wir verfügen über hervorragend ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte sowie eine vergleichsweise hohe Anzahl an Intensivbetten, die nochmals deutlich gesteigert werden konnte. Hinzu kommt ein nicht reglementierter Zugang aller Bevölkerungsgruppen zu den Leistungen eines solidarisch finanzierten Systems. Auch wenn es für eine Entwarnung viel zu früh ist: Alle diese Komponenten und die Maßnahmen der Politik haben dazu beigetragen, an den Folgen der Pandemie bisher keine schweren Ausfälle registriert haben zu müssen. Kein Patient ist gestorben, weil Intensivbetten oder Beatmungsgeräte fehlten. Schlimme Bilder wie aus Italien, Spanien oder auch den USA sind uns bislang erspart geblieben. Gleichzeitig hat es elementare Mängel bei der notwendigen Ausstattung mit Schutzkleidung gegeben, insbesondere bei niedergelassenen Ärzten oder Pflegeheimen. Auch die Strategie bezüglich der Testung auf das Coronavirus war widersprüchlich, nicht klar geregelt und teilweise nicht nachvollziehbar.

 

Insgesamt hat uns der Umgang mit COVID-19 also auch die Schwächen des deutschen Gesundheitssystems klar vor Augen geführt. Aus meiner Sicht waren dies vor allem drei Themenfelder:

 

Die mangelnde Digitalisierung und fehlende Vernetzung.  Die Corona-Krise mit der Beteiligung ganz unterschiedlicher Akteure - Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, staatliche und kommunale Behörden, Gesundheitsämter oder Forschungsinstitute - hat gezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem in weiten Teilen noch vorwiegend analog und damit ineffizient, zu träge und zu wenig verzahnt arbeitet. Wir erleben jeden Tag die hohen Reibungsverluste bei der Betreuung unserer Patientinnen und Patienten im Austausch mit den anderen Akteuren im Gesundheitswesen. Häufig werden Informationen zu Patienten noch per Fax übermittelt, das in der übrigen Wirtschaftswelt ausgestorben ist. Diese Informationen müssen dann von Hand aufbereitet bzw. in unser KISS-System übertragen werden. Häufig treten Probleme bei der Verlegung oder der Aufnahme von Patienten auf, weil beispielsweise Datensätze doppelt geführt wurden, ganz oder teilweise fehlten und es viel Mühe bereitete, diese Informationen in unsere eigene Elektronische Patientenakte zu überführen.

 

Der Mangel an medizinischem Personal. Der seit langem bekannte Pflegenotstand an hochqualifiziertem Personal vor allem in der Pflege, der im Regelbetrieb teilweise noch kaschiert werden kann, wird in der Bekämpfung der Coronakrise in großer Deutlichkeit offenbar. Hinzu kommt, dass während der Pandemie natürlich auch Ärzte und Pflegekräfte erkranken, die zusätzlich in der Versorgung der Patienten fehlen. Die Universitätsmedizin Essen besitzt einen vergleichsweise hohen Personalschlüssel. Dennoch lag auch bei uns ein wesentlicher Fokus aller internen Maßnahmen darauf, das medizinische Personal zu schützen, gleichzeitig aber auch einsatzfähig zu halten. Die unternommenen Anstrengungen zur Reaktivierung von pflegerischem und medizinischem Personal sind löblich und nützlich, können allerdings die strukturellen Defizite nicht wirklich kompensieren.

 

Die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten. Aus meiner Sicht war es für viele Akteure eine große Überraschung, wie internationalisiert und kostenminimiert auch in der eher planwirtschaftlich geprägten Medizin die Lieferstrukturen sind. Dabei ist seit langem absehbar, dass der Kostendruck der staatlichen Gesundheitssysteme derartige Lieferketten wie in vielen anderen Branchen auch geradezu erzwingt. Im Gegensatz zur klassischen Industrie reden wir hier aber über Daseinsvorsorge für unsere Bevölkerung. Es muss daher meiner Meinung nach Aufgabe der Politik sein, Regelungen zu finden, die eine allzu starke Abhängigkeit von Produzenten zum Beispiel in Asien reduzieren.

 

Aus all diesen in den letzten Wochen und Monaten gemachten Erfahrungen müssen wir lernen. Die von der Politik bereits eingeleitete Digitalisierung des Gesundheitswesens muss mit erhöhter Geschwindigkeit vorangetrieben werden, das Momentum der Veränderung darf nicht ungenutzt verstreichen. Jetzt ist die Zeit, diese dringend notwendige Modernisierung im Gesundheitswesen umzusetzen. Davon profitieren wir nicht nur in krisenhaften Ausnahmesituationen, sondern auch und gerade im Regelbetrieb. Dazu gehört auch die Ausbalancierung behördlicher Auflagen und des Datenschutzes mit den Belangen der Krankenversorgung. Im Zweifelsfall muss die Gesundheit der Menschen immer Vorrang haben.

 

Gleichzeitig muss jetzt auch der Pflegenotstand entschlossen angegangen werden. Dies betrifft nicht nur die Erhöhung der Kopfzahl, sondern insbesondere auch den Einsatz von digitalen Instrumenten, von der Elektronischen Patientenakte bis hin zum Einsatz von Robotik, um die Beschäftigten zu entlasten und mehr Zeit für die Patienten zu gewinnen. Das gesellschaftliche Umfeld und die Anerkennung für dieses Berufsfeld haben sich in den letzten Wochen signifikant verbessert. Wir müssen diese Dynamik nutzen, um mehr Menschen für diesen schönen und befriedigenden Beruf zu begeistern. Eine adäquate Bezahlung gehört untrennbar dazu.   

 

Und schließlich müssen wir dauerhaft die Rolle der Universitätskliniken stärken. Wir sind live in einem großen virologischen Ereignislabor, und es ist folgerichtig, die dadurch gemachten Erfahrungen für ein verbessertes Verständnis zur Biologie des Virus und für die Entwicklung von Medikamenten oder eines Impfstoffes zu nutzen. Dies ist die exklusive Expertise der Universitätskliniken an den Schnittstellen von Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Dazu müssen wir uns in Deutschland mit allen Konsequenzen bekennen, und auch hier brauchen wir künftig eine angemessene Finanzierung, um diese Aufgabe erfüllen zu können.

 

Corona hat uns allen in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Ich bin überzeugt: Wenn wir jetzt die richtigen strategischen Entscheidungen treffen, ist die Bekämpfung der Pandemie die durchdringendste und stärkste Triebfeder zur Modernisierung und Digitalisierung, die wir bislang erlebt haben. In der Gesellschaft und der Wirtschaft. Vor allem aber in der Medizin.

 

 

Autor:

Prof. Dr. Jochen A. Werner

Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen