Meine Daten gehören mir; in meinen langsam vergilbenden Aktenordnern.“ Dieser mit Stolz gesagte Satz von Bettina Schön in den Tagesthemen wird in die Healthcare Hall of Shame eingehen. Er zeigt, wie festgefahren die Situation ist. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen und Milliarden Ausgaben ist die Digitalisierung nicht bei der Bevölkerung angekommen. Wie denn auch? Bei der einrichtungs- und sektorenübergreifenden Vernetzung sind wir ähnlich erfolgreich wie zuletzt beim Eurovision Song Contest. Während Länder wie Dänemark, Finnland oder Spanien Gesundheitsdaten einrichtungsagnostisch austauschen, schippern hierzulande ein paar elektronische AUs über die Telematikinfrastruktur.
Innovations-Booster für greifbaren Nutzen
Was tun? Digital-First-Ansätze können die Digitalisierung schnell unters Volk bringen. Telemedizin für Erstkontakte oder DIGA bei Prävention, Therapiemonitoring und Reha bieten sich an. Die Voraussetzung dafür schafft die konsequente Hinwendung zu internationalen Terminologien und Standards, wie SNOMED, LOINC und FHIR. Diese setzen einen klaren Rahmen für Forschung & Entwicklung – auch für die Industrie. Nebenbei wird mit der leidigen Problematik der proprietären Schnittstellen aufgeräumt. Zudem können sie in der föderalen Struktur der Bundesrepublik mit dem „Einer für alle“-Ansatz zwischen den Bundesländern verteilt, parallel bearbeitet und damit effizient umgesetzt werden.
Auch beim Datenschutz braucht es einen Paradigmenwechsel – hin zur Anwendung und ausgerichtet an der Usability. In Finnland verstehen sich Datenschützer als Dienstleister, die mit einer Whitelist Lösungen ermöglichen, anstatt sie mit einer Blacklist zu verhindern. Wäre das ein Ansatz? Die anstehenden Digitalgesetze Karl Lauterbachs könnten Schritte nach vorn bringen. Werden sie mutig genug sein?
Zudem kann bei Förderprojekten nachjustiert werden. Bürokratie sollte dem höheren Ziel einer besseren Gesundheitsversorgung weichen. Was nützt es, wenn Geld da ist, aber für Verwaltungs- und Beratungskosten ausgegeben werden muss? Mehr noch: Wie wäre es mit einer Belohnung der Handelnden, zum Beispiel mit einem 2-Prozent-Bonus für eine 30-prozentige Verbesserung im DigitalRadar? Solche Anreizsysteme erhöhen auch den Willen zum interoperablen Datenaustausch.
„Successful Follower“ Shortcut nehmen
Parallel dazu gilt es, durch umfassende Kommunikation den Kulturwandel hin zu einer „Digital Health Society“ zu unterstützen. Digitalisierung muss raus aus dem Elfenbeinturm. Ziel ist, Versicherte und Leistungserbringende zu emanzipieren, damit sie sich selbstbestimmt für digitale Angebote entscheiden. Australien hatte bei der ePA-Einführung allein dafür ein Millionenbudget vorgesehen.
Der Gesundheitsminister sagt, wir liegen bei der Digitalisierung zehn Jahre zurück. Das stimmt. Bedeutet aber auch, dass wir von denen weiter vorne lernen können. Im DigitalRadar wurde internationale Best Practice adaptiert und innerhalb kürzester Zeit zur Anwendung gebracht. Warum verfolgen wir diesen Weg nicht weiter und betten erfolgreiche internationale Ansätze pragmatisch in hiesige Anforderungen ein? Das wäre eine elegante Abkürzung auf dem Weg nach vorn. Dann können wir nicht nur auf der Weltbühne glänzen, sondern vor allem den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zeigen, dass eines der besten Gesundheitssysteme der Welt uns auch digital exzellent versorgen kann.
Autoren:
Armin Scheuer, Armin Scheuer Consulting, E-Mail: armin(at)arminscheuer.com
Jörg Studzinski, Projektleiter Digitalisierung im AGAPLESION Verbund und Mitglied im Interop Council