An neuen Digital-Health-Ideen, Angeboten und Initiativen im Gesundheitswesen mangelte es auch 2017 nicht. Diese wurden und werden diskursiv immer von Extremen begleitet: Die einen preisen die Digitalisierung schon fast als Allheilmittel, die anderen befürchten den Missbrauch von höchstpersönlichen Daten. Wünschenswert wären allerdings: Weniger Diskurs und dafür mehr zielgerichtete Umsetzung. Denn zurzeit bleibt Digital Health ein Versprechen, das noch eingelöst werden muss.
Die Institutionen müssen sich öffnen
Die Digitalisierung an sich entfaltet ihre Wirkung gerade nicht gleichmäßig zur Verbesserung der medizinischen Forschung und Versorgung. Digital Health kann einerseits ganz sicher dabei helfen, existierende Versorgungsprobleme zu lindern und Ressourcen effizienter einzusetzen. Sie kann aber andererseits existierende Probleme zementieren oder neuartige Probleme für Gesundheitssysteme schaffen.
Um Vor- und Nachteile von Digital Health im Einzelfall zu beurteilen, braucht es Anwendungserfahrung und Zeit – auch in der schnelllebigen IT-Branche. Darüber hinaus müssen sich die Institutionen des Gesundheitswesens Innovationen öffnen. Das System muss die Mittel entwickeln, um diese sinnvoll und schneller in der Gesundheitsversorgung einzusetzen. Die Innovatoren wiederum müssen wissen, welchen Anforderungen sie für einen solchen Transfer gerecht werden müssen.
2018 sollten die folgenden konzeptionellen und stratgischen Fragen systematisch angegangen werden:
- Die flächendeckende Einführung von Elektronischen Patientenakten verlangt nicht nur nach einem eindeutigen Fahrplan, um erfolgreich zu sein. Es braucht zudem verbindliche Festlegungen von Standards und interoperablen Schnittstellen. In einem fragmentierten Gesundheitssystem wie dem Deutschlands besteht ansonsten die Gefahr, diese Fragmentierung digital zu zementieren.
- Auch ist systemseitig noch kein Konzept vorhanden, das die Qualitätssicherung und die Nutzenbewertung auf die Andersartigkeit von Digital Health im Vergleich zu „klassischen“ Innovationen wie Medikamenten ausrichtet. Hier besteht dringend Handlungsbedarf.
- Aber auch die Entwickler haben noch einige Hausaufgaben zu erledigen: Digital Health muss für Behandler und Patienten verlässlich sein. Auf Patientenseite kann das, was unter Digital Health angeboten wird, nämlich mitunter das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich beabsichtigt war. So zum Beispiel, wenn Apps, die bei Depressionen helfen sollen, nach wenigen Wochen wieder aus dem App-Store verschwunden sind. Man stelle sich einmal vor, dies geschehe mit Medikamenten aus der Apotheke. Patientennutzen sieht anders aus.
Digital Health kann letztlich nur so gut sein, wie sie sich am Nutzen für Patienten orientiert. Wir brauchen ein langfristiges Zielbild, eine übergreifende Strategie und entschlossenes Handeln seitens der Politik. Wir brauchen eine Öffnung für digitale Themen und eine Überprüfung, ob die althergebrachten Regularien und Strukturen im Zeitalter der Digitalisierung noch (alle) zielführend sind.
Ohne eine solche Öffnung – die erfreulicherweise zunehmend stattfindet – besteht die Gefahr, Patienten wortwörtlich zu verlieren, die sich medizinisch oder gar ethisch zweifelhaften Angeboten hingeben. Ein bedeutender Fingerzeig für die Weichen, die dieses Jahr gestellt werden, wird das Ergebnis der laufenden Koalitionsgespräche sein. Man darf gespannt sein.
Dr. Thomas Kostera
Project Manager "Der digitale Patient", Bertelsmann Stiftung
Dieser Beitrag ist ursprünglich in einer längeren Fassung im Blog des Projekts „Der digitale Patient“ der Bertelsmann Stiftung erschienen: blog.der-digitale-patient.de/digital-health-versprechen/