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Health-IT |

Analysten: eHealth-Vernetzung spart 39 Milliarden Euro pro Jahr

Bild: © Melpomene

Die digitale Modernisierung macht das Gesundheitswesen effizienter: Das ist eine Art Mantra in der eHealth-Szene. Doch wie groß ist dieser Effekt? Analysten von PWC haben die Effizienzreserven jetzt extrapoliert – und kommen auf 39 Milliarden Euro pro Jahr.

 

Die im Vorfeld der conhIT vorgelegte Studie „Effizienzpotentiale durch eHealth“ wurde von der PWC-Tochter Strategy& im Auftrag des Bundesverbands Gesundheits-IT (bvitg) und des Unternehmens CompuGroup Medical (CGM) erstellt. Ziel sei es gewesen, die allgemeine Diskussion über die Einführung von E-Health-Innovationen mit Daten zu unterfüttern und sowohl medizinische als auch wirtschaftliche Evidenz zu berücksichtigen, sagte Oliver Bruzek, Leiter Politik und Unternehmenskommunikation bei der CGM.

 

Methodisch haben die Analysten von Strategy& basierend auf bereits heute prinzipiell verfügbaren eHealth-Lösungen wie Videosprechstunde, Telekonsil und elektronischer Patienten-/Gesundheitsakte einen „Referenzrahmen“ definiert, der gegen die Ist-Situation gestellt wird. Dies wurde exemplarisch für vier Krankheitsentitäten gemacht, nämlich Diabetes, chronische Herzinsuffizienz, Rückenschmerz und Schlaganfall. Bei jeder Erkrankung wurden wissenschaftliche Daten als Grundlage für die Berechnungen der Einsparvolumina herangezogen und außerdem Expertenmeinungen eingeholt.

 

Jeder achte Euro bliebe im Portemonnaie

„Wir haben sehr konservativ gerechnet“, betonte Strategy&-Partner Marcus Bauer. Gab es nicht genug Daten, wie bei Rückenoperationen, sei kein Einsparpotenzial angenommen worden. Trotzdem wurden Einsparvolumina für Diabetes von 1,12 Milliarden, für Herzinsuffizienz von 674 Millionen, für Rückenschmerz von 644 Millionen und für den Schlaganfall von 888 Millionen Euro ermittelt, in Summe rund 3,3 Milliarden Euro. In einem zweiten Schritt wurden diese Kosten dann auf insgesamt 63 Indikationen extrapoliert. So entstehen, basierend auf den deutschen Gesundheitskosten des Jahres 2014 in Höhe von 322 Milliarden Euro, die 39 Milliarden Gesamteinsparpotenzial, ein Minus von 12 Prozent. Dabei blieben indirekte Ersparnisse oder Produktivitätsgewinne unberücksichtigt. Ebenfalls unberücksichtigt blieben die Kosten für den Aufbau einer interoperablen IT-Infrastruktur.

 

Für die Extrapolation wurden die 59 nicht detailliert durchgerechneten Indikationen auf eine der vier detailliert untersuchten Indikationen gematcht. So entstanden vier „Archetypen“ von Erkrankungen, wobei das Gros der Einsparungen auf die Archetypen „Herzinsuffizienz“ und „Rückenschmerz“ fiel, nämlich insgesamt 23 Milliarden Euro. Daraus lässt sich in etwa ableiten, wo die Einsparungen erzielt werden: Bei Erkrankungen des „Archetyps Herzinsuffizienz“ reduzieren sich vor allem stationäre Behandlungskosten, in erster Linie durch die Vermeidung komplizierter Verläufe bei besserer Früherkennung und besserer intersektoraler Kommunikation.

 

Bei Erkrankungen des „Archetyps Rückenschmerz“ geht es dagegen überwiegend um die Optimierung der ambulanten Diagnostik und Therapie, etwa um Vermeidung von Doppeluntersuchungen und um bessere Prävention mit entsprechend weniger Behandlung. Die ursprüngliche Erwartung sei gewesen, dass es vor allem medizinische Effizienzgewinne seien würden, die die potenziellen Einsparungen ausmachten, sagte Bauer. Tatsächlich entfielen am Ende aber 60 Prozent aller berechneten Einsparungen in den Bereich Prozesseffizienz.

 

Effizienzhebel von Erkrankung zu Erkrankung unterschiedlich

Für die vier beispielhaften Indikationen haben die Autoren jeweils einen Katalog von Effizienzhebeln zusammengestellt, die beschreiben, wie die Einsparungen erzielt werden können. So wird berechnet, dass durch die frühzeitige Identifizierung von Risikopatienten für Diabetes auf Basis elektronischer Akten und durch die beispielsweise mHealth-gestützte Einleitung präventiver Lebensstilmaßnahmen 30,5 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden könnten. Die Vermeidung unnötiger Medikamente in der Evaluationsphase schlägt mit 7,4 Millionen Euro zu Buche, die eHealth-gestützte Deeskalation der medikamentösen Therapie mit 91 Millionen Euro und die Vermeidung stationärer Aufenthalte durch eine digital vernetzte ambulante Versorgung mit 174 Millionen Euro.

 

Bei der chronischen Herzinsuffizienz sind die Hebel andere. Hier macht die telemedizingestützte Vermeidung und Verkürzung stationärer Aufenthalte allein 369 Millionen Euro aus. Beim Rückenschmerz schlagen Früherkennung und Frühintervention, etwa mit Hilfe mobiler IT-Lösungen, mit 123 Millionen Euro zu Buche. Die Verbesserung der operativen Exzellenz – in diesen Bereich gehören Themen wie die Vermeidung von Doppeluntersuchungen und die Verringerung von Kontrolluntersuchungen – bringt knapp 500 Millionen Euro.

 

„Wir brauchen ein versorgungsorientiertes eHealth-Zielbild“

Die Beispiele zeigen, dass die Autoren der Studie einen relativ breiten Ansatz gewählt haben. Es geht nicht um unmittelbare Budgetfolgen digitaler Lösungen, sondern um Effizienzreserven in der Versorgung insgesamt, von denen viele sich ohne digitale Vernetzung nicht ausschöpfen lassen. Aus diesem Grund wurde auch darauf verzichtet, die Einsparpotenziale einzelnen Sektoren zuzuweisen: „Die Diskussionen über spezifische Einsparpotenziale hat uns nicht einen Deut weitergebracht“, betonte bvitg-Geschäftsführer Ekkehard Mittelstaedt. „Wir wollen deswegen nicht über EBM-Ziffern diskutieren, sondern darüber, ob wir die Potenziale der Modernisierung insgesamt nutzen. Im Moment tun wir das nicht.“

 

Ebenfalls für den bvitg betonte Jens Naumann, medatixx, auch mit Blick auf eine für die neue Legislaturperiode schon anvisierte  Neuauflage des E-Health-Gesetzes, dass die Entwicklung eines versorgungsorientierten eHealth-Zielbilds eine der wichtigsten Handlungsempfehlung sei, die aus der Studie abgeleitet werden könnten. Der bvitg wünscht sich Regularien, die einen freien Wettbewerb von eHealth-Anbietern ermöglichen und klare Rahmenbedingungen für Zulassung und Erstattung von IT-Lösungen festlegen, ohne einzelne Anwendungen per Gesetz zu erzwingen.

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM