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Ein erster Blick in den TI-Messenger Maschinenraum

Der TI-Ausbau geht weiter. Das DVPMG sieht ergänzend zu KIM einen Messenger für das Gesundheitswesen vor – und hier gibt es einen ersten Einblick.

Quelle: © stock.adobe.com

Mit ihrer offiziellen Pressemeldung vom 02.06.2021 berichtet die gematik über die Entwicklungen zum TI-Messenger, einem Standard für einen Kurznachrichtendienst spezifisch für das Gesundheitswesen. In diesem Artikel berichten wir über technische Hintergründe und erklären die Entscheidungen zur groben IT-Architektur; der TI-Messenger wird von der gematik konzeptioniert, der health innovation hub steht beratend zur Seite.

 

Zielsetzung

Ein Patient stellt sich mit Brustschmerzen bei seiner Hausärztin vor. Diese veranlasst sofort einen Transport per Rettungsdienst in das nächstgelegene Klinikum. Dort wird ein akuter Myokardinfarkt diagnostiziert, und die Fachärzt:innen aus Kardiologie, Herzchirurgie, Anästhesie und Radiologie beschließen gemeinschaftlich eine Bypass-Operation. Der Patient wird operiert und wird nach seiner Entlassung durch eine niedergelassene Kardiologin und die Hausärztin weiter bereut. Entlang dieses Behandlungspfades entstehen überall komplexe Kommunikationsbedürfnisse zwischen verschiedenen Leistungserbringer:innen: Medizinische Entscheidungen werden getroffen, übergeben, diskutiert, erklärt. Verfügbarkeiten werden geklärt, Dienstpläne besprochen.

 

Dieses Beispiel verdeutlicht die kommunikativen Herausforderungen vor denen Leistungserbringer:innen in Deutschland regelmäßig stehen. Sei es zwischen Haus- und Facharzt, zwischen ambulanten und stationären Bereichen, zwischen Regel- und Maximalversorger:innen, zwischen ambulanter Pflege und Apotheke, oder auch interdisziplinär zwischen Abteilungen einer Institution – kurzfristige aber möglichst asynchrone Kommunikation gehört zur spezialisierten Versorgung fest dazu.

 

Es ist nicht verwunderlich, dass Leistungserbringer:innen dabei auf aus dem privaten Umfeld vertraute Kommunikationswege kommen: Über E-Mail, WhatsApp, Signal, oder ähnliche Kurznachrichtendienste sind die meisten Kolleg:innen schließlich schnell und bequem erreichbar. Den meisten ist allerdings auch bewusst, dass es dabei stets um sensible Patientendaten geht, für die solche Systeme nicht gedacht sind und die dort möglicherweise zu datenschutzrechtlichen Konsequenzen führen.

 

Diese Bedarfssituation wollen diverse Anbieter:innen lösen, indem sie spezialisierte Kurznachrichtendienste anbieten. Allen ist allerdings die Schwierigkeit gemein, dass sich der Nutzen eines Messengers mehr an Netzwerkeffekten bemisst als an technischen Details. Denn die schönste App nützt nichts, wenn der gesuchte Kollege dort nicht erreichbar ist. Und so fällt auch die modernste Arztpraxis schnell wieder auf Fax oder Telefon zurück, wenn die relevanten Kommunikationspartner:innen nicht per Messenger erreichbar sind.

 

Mit dem Projekt TI-Messenger möchte die gematik dieses Dilemma lösen, indem einheitliche, offene Standards etabliert werden, die Interoperabilität zwischen Messengerdiensten herstellen. Ein definiertes, sehr hohes Sicherheitsniveau mit geregeltem Zulassungsverfahren soll Berührungsängste reduzieren und das „Ausprobieren“ von Kurznachrichten im dienstlichen Alltag der Leistungserbringer:innen unterstützen. So sollen möglichst viele Kolleg:innen innerhalb der TI-Messenger-Plattform erreichbar werden – und gleichzeitig können sich die diversen Anbieter:innen im Wettbewerb voneinander differenzieren und so möglichst innovative, benutzerfreundliche Apps entwickeln.

 

Die Zielsetzung für den TI-Messenger besteht daher darin, einen einheitlichen, transparenten Standard für sicheres, leistungsfähiges und vielseitig einsetzbares Messaging zu erarbeiten, der das Gesundheitssystem anbieter- und sektorenübergreifend verbinden kann.

 

Lösungsansätze

Anbieter:innen, die der Spezifikation der gematik folgen und einen solchen Standard unterstützen, sind mit allen anderen TI-Messenger-kompatiblen Lösungen interoperabel. Die Nutzer:innen dieser Anbieter:innen können also miteinander sicher kommunizieren. Sichere Chat-Gruppen über die unterschiedlichen Anbieter:innen hinweg werden möglich, und zwischen spezialisierten Lösungen beispielsweise für Hausärzt::innen und Pflege kann bedenkenlos kommuniziert werden.

 

Um solche Sicherheit zu erreichen, benötigt der TI-Messenger Ende-zu-Ende Verschlüsselung (E2EE). Einheitliche Messenger-Standards werden durch diese hohen Anforderungen an Sicherheit jedoch verkompliziert: Eine effektive Ende-zu-Ende Verschlüsselung bedingt interoperable Verschlüsselungsverfahren und zusätzlich ein einheitliches System zu Identitäten und Authentifizierung. Das heißt, einerseits muss gewährleistet sein, dass verschlüsselte Nachrichten von jedem Empfänger-TI-Messenger auch wieder gelesen werden können, andererseits muss Dr. med. Musterfrau bei jedem TI-Messenger-Teilnehmer gleichermaßen verlässlich identifiziert sein. Nur so ist das System als Ganzes vertrauenswürdig.

 

Daher reicht es bedauerlicherweise nicht, „einfach“ die bestehenden Messenger-Anbieter:innen miteinander zu verknüpfen, denn die innerste Funktionsweise in Verschlüsselung und Nutzer-Authentifizierung muss interoperabel gemacht werden. Zum Glück gibt es in der Open Source Community bereits einen etablierten Standard für solche Anforderungen: Das Matrix-Protokoll ist offen, auditiert sicher, und dezentral. Es ermöglicht über sogenannte Föderation das sichere Verbinden von unterschiedlichen Messenger-Systemen und bietet damit eine ideale Grundlage für die Anforderungen des Gesundheitswesens.

 

Diese Anforderungen gehen über den reinen „WhatsApp-Ersatz“ hinaus, sodass das Matrix-Protokoll geringfügig angepasst werden muss. Beispielsweise dürfen nur authentifizierte Nutzer:innen und Anbieter:innen an der Föderation teilnehmen. Ebenso ist es notwendig, dass bspw. Arztpraxen ggf. nur von bestehenden Patient:innen angeschrieben werden können, um eine Überlastung zu verhindern. Und nicht zuletzt sollen auch Leistungserbringer:innen auffindbar sein, deren Telefonnummer nicht bekannt ist, denn nur so kann beispielsweise ein Krankenhaus kurzfristig Informationen bei einem ambulanten Kardiologen einholen.

 

Viele der „normalen“ Nutzer-Anforderungen werden dafür von Matrix direkt unterstützt. So können Nutzer:innen ihre eigenen Mobilgeräte ebenso wie Computer nutzen, auch gleichzeitig. Fotos, Text, und Dateien werden unterstützt. Die Nutzerverwaltung für Mitarbeiter:innen der Leistungserbringer:innen (bspw. Rezeption) ist flexibel.

 

Unter Hochdruck arbeitet die gematik derzeit an spezifischen Anforderungen, Spezifikationen, und Prüfmustern unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen des Gesundheitswesens auf der einen und der IT-Industrie auf der anderen Seite. Einen ersten Aufschlag macht die gematik nun mit der Veröffentlichung eines Konzeptpapieres zum TI-Messenger. Die erste Spezifikation ist bereits für Oktober 2021 vorgesehen.

 

Zum Start wird der TI-Messenger gemäß den Vorgaben im Rahmen des DVPMG (§ 312 Abs. 1 Nr. 4 und 9 SGB V) zunächst ausschließlich zur Kommunikation zwischen Leistungserbringer:innen verfügbar sein. Ab dem nächsten Jahr wird der TI-Messenger dann auch für die Kommunikation zwischen Patient:innen und ihren Leistungserbringer:innen geöffnet.

 

Interoperabilität allein schafft noch keine Netzwerkeffekte. Aber sie schafft eine Infrastruktur, die bestehenden Messenger-Anbieter:innen entscheidend helfen soll, über eine asynchrone, schnelle, mobile, und verlässliche Kommunikation Nutzen für die Patientenversorgung zu stiften.

 

Nutzen

Dass solcher Nutzen möglich ist, zeigen die folgenden Beispiele. Sie alle haben bereits erste Erfahrungen mit Matrix-basierten Messenger-Angeboten im Gesundheitswesen sammeln können. Wir hoffen, dass ihre Erfahrungen mit dem TI-Messenger für möglichst viele Leistungserbringer:innen erlebbar werden.

 

Dr. med. Kirsten Sprang ist Hausärztin in Frankfurt. Sie berichtet, dass die Erreichbarkeit von Kolleg:innen oft sehr schlecht ist: „Wir haben extra eine Arzt-Hotline einrichten müssen, damit andere Fachärzt:innen uns überhaupt noch in der Praxis erreichen können; und wir würden uns wünschen, dass noch mehr Kolleg:innen insb. an der Klinik so erreichbar wären.“ Sofortnachrichten seien dabei besonders effizient, denn sie ermöglichen gleichzeitige, aber asynchrone Kommunikation. Besonders gut funktioniert hat das in der Corona-Pandemie: hier war Dr. Sprang über ihren Messenger Teil eines Netzwerks, das Allgemeinmediziner:innen, Uniklinik, und das Gesundheitsamt verbindet, um tagesaktuelle Informationen zu verbreiten und Fragen zu klären. „So eine Anbindung ist natürlich toll – aber sie muss eben sicher sein, damit ich sie verlässlich nutzen kann!“

 

Rene Schulz leitet einen größeren Träger von Altenpflegediensten und -Einrichtungen in Potsdam. Er hat einen Matrix-Messenger für die gesamte Gesellschaft eingeführt: Jede:r Mitarbeiter:in kann mit diesem vom PC, Diensthandy, oder Privathandy aus mit den Kolleg:innen kommunizieren, von der Schichtplanung bis zur schnellen Abklärung einer offenen Wunde mit einem Wundmanager. „Eine Riesen-Erleichterung für uns war der Anschluss unserer Stammapotheke: so können wir viel einfacher und schneller Medikamente bestellen oder pharmazeutischen Rat einholen. Es würde viel Arbeit sparen, wenn auch die jeweiligen Ärzt:innen unserer Patient:innen dort erreichbar wären“.

 

Dr. med. Michael von Wagner ist Chief Medical Informatics Officer am Uniklinikum Frankfurt; er ist bestens vertraut mit den medizinischen und den digitalen Anforderungen in einem modernen Klinikum. In der Schlaganfall-Abteilung („Stroke Unit“) plant das Klinikum den internen Einsatz eines Messengers zur Koordinierung der verschiedenen Fachdisziplinen: „ich weiß ja selbst wie das abläuft im Notdienst – am Handy im Wohnzimmer, um 1 Uhr morgens. Mit einem zentral verfügbaren und sicheren Nachrichtendienst weiß die 8-Uhr-Visite direkt, was über Nacht im Zusammenspiel von Kardiolog:innen, Neurochirurg:innen, und Oberärzt:innen-Rücksprachen passiert ist.“

 

Dr. med. Peter Gocke ist Chief Digital Officer und Leiter der Stabsstelle “Digitale Transformation” an der Charité; er kritisiert die Lock-in Effekte bei Herstellergebundenen Formaten. „Im Alltag haben sich Messenger wie WhatsApp oder datenschutzfreundlichere Systeme wie Signal längst bewährt und durchgesetzt. Mit einem [matrix]-basierenden System wie es der kommende TI-Messenger darstellt hält eine nutzerfreundliche, serviceorientierte und datenschutzkonforme Kommunikation endlich auch Einzug in das deutsche Gesundheitswesen. Hiervon wird vor allem die Interaktion zwischen Ärzt:innen und Patient:innen profitieren, aber auch eine elegante Prozessunterstützung möglich. Besonders überzeugend finde ich dabei, dass keine Festlegung auf ein proprietäres Hersteller-Format, sondern ein herstellerneutrales Protokoll erfolgt – nur so lassen sich die unsäglichen „lock in“ – Effekte vermeiden.“

 

Die vielfältigen Anwendungen und der enorme Nutzen eines auf den ersten Blick so einfachen Tools stimmen optimistisch: Wir hoffen, dass das Gesundheitswesen die neuen Standards gern annimmt, um ein schnelles Netzwerk der Kommunikation von Chirurgie bis Altenpflege zu spannen.

 

 

Autoren:

Lars Roemheld, Director AI & Data, health innovation hub, Bundesministerium für Gesundheit

Dr. med. Philipp Stachwitz, Director Medical Care, health innovation hub, Bundesministerium für Gesundheit

Eric Grey, Produktmanager, gematik GmbH