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Gesundheitsdatenforschung: Es hat sich ausprojektiert

Das Bundesgesundheitsministerium hat eine digitale Infrastruktur für die Versorgung etabliert und per gematik verstetigt. Die medizinische Forschung ist noch nicht so weit, doch in der neuen Legislaturperiode steht das Thema an. Denn der European Health Data Space wirft seine Schatten voraus, und sowohl beim Netzwerk Universitätsmedizin als auch bei der Medizininformatik-Initiative enden die aktuellen Förderperioden. Irgendetwas muss passieren, sobald sich die neue Bundesregierung konstituiert.

Bild: © Azazul – stock.adobe.com, 946340900, Stand.-Liz.

Was die Forschung mit Gesundheitsdaten in Deutschland angeht, ist das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) sicher das spannendste Erbe der Pandemie. Im Rahmen des NUM wurde gleich eine ganze Reihe von digitalen Plattformen bzw. Infrastrukturen aufgebaut, die in ihren jeweiligen Bereichen unterschiedlich erfolgreich der Forschung dienen. Da gibt es NUKLEUS, die klinische Studienplattform, die aus dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DZHK) übernommen wurde. RACOON ist die radiologische Bilddatenplattform des NUM, die unter anderem KI-Entwicklung ermöglichen soll. Dann gibt es NATON, ein nationales Obduktionsnetzwerk, das das digitale Autopsieregister NAREG betreibt. Es gibt AKTIN im Bereich Notfallversorgung, ein weiteres digitales Register. Es gibt GenSurv, eine Surveillance-Plattform für Virusvarianten. Und es gibt etwas, das NUM-DIZ heißt und das darauf abzielt, die Routinedaten der klinischen Informationssysteme auf dem Weg über die Datenintegrationszentren (DIZ) der Medizininformatik-Initiative (MII) universitätsübergreifend für die Forschung zu erschließen.


NUKLEUS und DIZ: Gelingt der Brückenschlag? 
„All diese Infrastrukturen wurden auf Basis von bereits existierenden Lösungen gebaut, da es in der Pandemie schnell gehen musste“, sagte Prof. Dr. Dagmar Krefting, Leiterin des Instituts für Medizinische Informatik an der Universitätsmedizin Göttingen. Als es dann im Verlauf zunehmend Einigkeit gab, das NUM über die Pandemie hinaus fortzuführen, wuchs die Erkenntnis, dass all diese separaten Infrastrukturen, die mit zumindest überlappenden Daten arbeiten, in irgendeiner Weise unter ein gemeinsames Dach gebracht und standardisiert werden müssten.

 

 

Das Stichwort, unter dem das im NUM diskutiert wird, lautet NUM 3.0 (Abbildung 1). Das „3.0“ bezieht sich auf die dritte Förderperiode des NUM. Die aktuelle Förderperiode, die zweite, geht im Sommer 2025 zu Ende. Im Rahmen von NUM 3.0, so Krefting bei der NUM Convention in Berlin, werde es darum gehen, eine integrierende, übergreifende digitale Infrastruktur für das NUM aufzubauen und über ein Datenportal einen einheitlichen Zugang zu ermöglichen.  


Einer der Punkte, die dabei im Vordergrund stehen sollen, ist eine Verknüpfung der Studienplattform NUKLEUS mit dem NUM-DIZ. Das mache eminent Sinn, so Krefting, denn dann könnten Studiendaten mit Routinedaten angereichert werden und ggf. auch umgekehrt. Es würden doppelte Eingaben vermieden, es würde Zeit gespart und es würden dokumentationsbedingte Fehler reduziert. Gleichzeitig erweitere sich durch die zusätzlichen Informationen, die die Routinedaten liefern, auch das Spek­trum möglicher Forschungsfragen, die im Rahmen klinischer Studien adressiert werden können.


Der Pilot-Use-Case für das NUM 3.0 sollen die Labordaten werden, eine niedrig hängende Frucht, wie Krefting betonte. Denn das Labordatenmodul sei in den DIZen ohnehin schon verpflichtend vorhanden. Gleichzeitig können sich die NUM-3.0-Architekt:innen, sofern die Integration denn gelingt, des ewigen Danks aller Study Nurses sicher sein. Denn sie sind es, die die Labordaten bisher von den Laborzetteln für die Studienplattform abtippen. Rund ein Fünftel des Budgets für große klinische Studien fließt ausschließlich in die oft ineffiziente Dokumentation, auch das eine interessante Zahl, die in Berlin kommuniziert wurde.


Externe Daten: Registergesetz würde helfen

Bei der universitätsinternen Verknüpfung von DIZen und Studienplattform soll es im NUM 3.0 nicht bleiben. Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann vom Institut für Community Medicine am Universitätsklinikum Greifswald nahm sich bei der NUM Convention die Integration externer Daten vor, konkret Abrechnungsdaten der Krankenversicherungen und Krankenkassen. Diese Verknüpfung sei möglich, aber nur wenn eine informierte Einwilligung der Patient:innen vorliege. Schon deswegen, so Hoffmann, mache es Sinn, den mühsam entwickelten Broad Consent der MII jetzt nicht vor lauter Begeisterung über Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und EHDS gleich wieder aufs Altenteil zu schicken. Einfach sei die externe Verknüpfung allerdings auch mit vorliegendem Consent nicht: „Bei den 205 000 Teilnehmer:innen der NAKO Gesundheits­studie können wir jetzt auf die Versicherungsdaten zugreifen. Nach zwölf Jahren intensiver Arbeit.“


Zwei weitere interessante Datenquellen zur externen Verknüpfung mit der NUKLEUS Plattform sind die Krebsregister und das Einwohnermelderegister. Bei den Krebsregistern gibt es das alte deutsch-föderale Problem, dass Forscher:innen, die deutschlandweit forschen wollen, nicht mit einem, sondern mit 15 Registern kommunizieren müssen. Lösen könnte dieses Problem eine Struktur, die NUM-intern Plato2-RIST genannt wird, eine Art einheitlicher Anlaufpunkt zu allen 15 Krebsregistern für  Wissenschaftler:innen. Das, so Hoffmann, erfordere allerdings einige gesetzliche Anpassungen. Vorgesehen waren die für das Registergesetz, das dem vorzeitigen Aus der Ampelkoalition zum Opfer fiel. Zukunft? Unklar.


NUM 3.0: Es wird eng mit Ende Juni
Wie genau kommen die externen Daten, so sie denn zur Verfügung stehen und zugänglich sind, in die NUKLEUS Studienplattform hinein? Dafür soll es im NUM 3.0 die NUKLEUS DAAeD geben. Dieses Akronym steht für „Datenannahme- und -aufbereitungsstelle für externe Daten“. Die DAAeD wird es aber – wie alle anderen NUM-3.0-Komponenten – nur dann geben, wenn es auch wirklich ein NUM 3.0 gibt, also wenn die neue Bundesregierung der Universitätsmedizin eine weitere Förderphase zugesteht. Das könnte klappen, denn zumindest im Prinzip unterstützen alle relevanten Parteien im Bundestag das NUM und haben sich auf die eine oder andere Weise für dessen Weiterbetrieb ausgesprochen.


Bei der NUM Convention äußerte sich der derzeit noch zuständige Staatssekretär im Bundesforschungsministerium dann auch vorsichtig optimistisch. Versprechen konnte er aber nichts. Angesichts der knappen Zeit bis zum Ende der aktuellen Förderperiode am 30. Juni 2025 fürchten nicht wenige eine unter Umständen mehrmonatige Verschiebung der Entscheidung über die neue Förderrunde. Das wiederum wäre fatal, weil dann die Gefahr besteht, dass sich viele Informatikexpert:innen im NUM-Orbit angesichts einer unklaren Zukunft anderweitig nach Jobs umsehen. 


„Den Schuss nicht gehört“
Deutlich verkompliziert wird die Sache dadurch, dass das ganze Thema „Zukunft des NUM“ noch weitere politische Dimensionen hat, die über die Frage hinausgehen, ob die staatliche Förderung für ein erfolgreiches Pandemieprojekt ein weiteres Mal verlängert wird oder nicht. Eine dieser zusätzlichen Dimensionen ist die MII. Auch deren aktuelle Förderphase, die „Ausbau- und Erweiterungsphase“, endet im Laufe der neuen Legislaturperiode, konkret Ende 2026. Und auch hier ist derzeit völlig unklar, wie es weitergeht. Nur zum Vergleich: Die NUM-Förderung durch das BMBF beläuft sich in der Förderphase Januar 2022 bis Juni 2025 auf insgesamt 240 Millionen Euro. Die MII erhält im Zeitraum 2024 bis 2026 rund 200 Millionen Euro.


Eine der kursierenden Ideen ist, dass die MII auf die eine oder andere Weise im NUM aufgeht – der Name NUM-DIZ deutet ja schon Übernahmephantasien an. Die DIZe müssten sich in einem solchen Fall vielleicht nicht neu erfinden, aber den Anforderungen des NUM anpassen, um bestehen zu bleiben. Dazu seien offenbar noch nicht alle bereit, so Hoffmann in Berlin. Und weiter: „Wir werden DIZe zurücklassen müssen. Manche scheinen den Schuss noch nicht gehört zu haben.“


Academia kann nicht alles leisten
Eines der Probleme an diesem auf den ersten Blick plausiblen und auch attraktiven Integrationsszenario von NUM und MII ist, dass die Aktivitäten der MII weit über die DIZe hinausgehen. NUM-DIZe schön und gut, aber die MII betreibt auch das Forschungsdatenportal Gesundheit (FDPG), sie leistet umfangreiche Koordinierungs- und Standardisierungsarbeiten und vieles mehr. Das Geld, das dafür im Moment gebraucht wird, einfach den Universitätskliniken „überzuhelfen“, dürfte so nicht funktionieren.


Natürlich könnten die für FDPG und Co nötigen Mittel im Rahmen einer dann höheren NUM-Förderung zusätzlich abgegolten werden. Hier kommt dann allerdings eine weitere politische Dimension der ganzen Diskussion zum Tragen, gewissermaßen der Elefant im Raum: Wenn Deutschland eine nachhaltige Forschungs­in­frastruktur für Gesundheitsdaten braucht – und daran zweifelt niemand –, dann kann das auf Dauer nicht über eine Projektförderung funktionieren. Es braucht eine Verstetigung, analog zur Verstetigung der digitalen Versorgungsinfrastrukturen im Rahmen von gematik und Telematikinfrastruktur. Bei einer solchen Verstetigung allerdings wird die akademische Forschung nur einer von mehreren Akteuren sein können. Denn wer es ernst meint mit einer universellen ­Gesundheitsdateninfrastruktur, der muss Kostenträger, ambulante Versorgung, öffentlichen Gesundheitsdienst und Register anbinden, also deutlich über ein universitäres Netzwerk hinausdenken.


FDZ-Infrastruktur hier, Universitätsmedizin dort
Eine Gesundheitsdateninfrastruktur, die diesen Namen verdient, muss auch einen sogenannten Record Linkage leisten, also unterschiedliche Datenquellen verknüpfen können. Das wiederum erfordert irgendeine Art von einheitlicher Benennung der Patient:innen, damit Datensätze derselben Person aus unterschiedlichen Quellen auch als zusammengehörig erkannt werden. Dafür sind unterschiedliche Begriffe im Umlauf, „unique identifier“ ist einer davon, „Forschungspseudonym“ ein anderer.


Nun gibt es, angestoßen noch von Jens Spahn und exekutiert von der Ampelkoalition, bekanntlich einen ersten Aufschlag für eine solche Forschungsdateninfrastruktur. Doch die klammert die Universitätsmedizin und deren Real-World-Daten komplett aus. Die Rede ist von dem mit dem GDNG eingeführten Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit, das beim BfArM angesiedelt ist. Im FDZ sollen künftig Daten der elektronischen Patientenakten (ePA) mit Abrechnungsdaten der Krankenversicherungen und mit Krebsregisterdaten verknüpft werden können. Dazu gibt es ein Forschungspseudonym, das aus der Krankenversichertennummer errechnet wird und entsprechend nur gesetzlich krankenversicherte Menschen berücksichtigen kann. Den Zugang zu den FDZ-Daten verschafft eine am BfArM angesiedelte Datenzugangs- und -koordinierungsstelle. In die Pseudonymisierung und Depseudonymisierung ist eine am Robert Koch-Institut angesiedelte Vertrauensstelle eingebunden.


Der Weg in ein echtes Gesundheitsdatenökosystem 

Teile der Politik stellen sich vor, dass weitere Datenquellen – Register aller Art, Datenquellen der ambulanten Versorgung und nicht zuletzt die Universitätsmedizin – an diese FDZ-Infra­struktur einfach sukzessive angedockt werden. Allerdings dürfte man der Gesundheitsdatenforschung keinen Gefallen damit tun, wenn künftig sämtliche Forschungsszenarien, die einen Record Linkage erfordern, zen­tralisiert über das BfArM abgewickelt werden müssen. Attraktiver scheint da ein Gesundheitsdatenökosystem, bei dem die unterschiedlichsten Datenquellen zwar verknüpfbar sind, es aber – je nach Forschungskonstellation – unterschiedliche Zugangspunkte gibt.


Im Kontext eines solchen hypothetischen „Ökosystems“ stellen sich dann eine ganze Menge Fragen:
Mit welchem Unique Identifier wird gearbeitet? Die Krankenversichertennummer steht bei manchen Datensammlungen gar nicht zur Verfügung, und sie schließt das runde Fünftel privatversicherter Menschen von Vornherein aus. Eine denkbare Alternative wäre eine Pseudonymisierung auf Basis der digitalen Gesundheits-ID und / oder der digitalen Personalausweise – was gesetzliche Grundlagen brauchen würde.

 

  • Wo sind die Vertrauensdienste ­eines solches Ökosystems angesiedelt? Lässt sich mit dem FDZ etablierte Vertrauensinfrastruktur auf ein ganzes Ökosystem erweitern?

  • Welche Datenzugangspunkte gibt es neben der Datenzugangs- und -koordinierungsstelle des FDZ? Wie könnte ein zusätzlicher Datenzugang auf akademischer Ebene, ein FDPG, im Rahmen eines solchen breiter aufsetzenden Ökosystems umgesetzt werden?

  • Braucht es, siehe oben, eine eigene akademische Datenannahmestelle für die Einbindung externer Daten in akademische Forschungsvorhaben? Oder hätte eine akademische Forschungsplattform wie NUKLEUS dann quasi eine Standleitung zum FDZ?

  • Wie können Patientenrechte im Kontext eines Gesundheitsdatenökosystems praktisch umgesetzt werden? Wie insbesondere kann ein Opt-out aus der einwilligungsfreien Forschung flächendeckend organisiert werden? Und wie kann gewährleistet werden, dass Informationen zu einem eventuell vorliegenden, breiten Consent überall dort (digital) vorliegen, wo sie gebraucht werden?

  • Wer koordiniert und wer finanziert das alles?


EHDS zwingt die Politik zum Handeln
Vor sich herschieben kann die neue Bundesregierung diese Fragen deswegen nicht, weil sie von der EU durch den EHDS dazu gezwungen wird, einen Forschungsdatenraum Gesundheit aufzuspannen. Dieser muss deutlich geräumiger werden als jenes Forschungsdatenzimmerchen, das im Gefolge des GDNG gerade eingerichtet wird. Die EHDS-Verordnung wird aller Voraussicht nach im Laufe des Frühjahrs 2025 formal in Kraft treten, und dann 2027 oder 2028 definitiv gelten. Es ist keine Richtlinie, die erst noch in nationales Recht umgesetzt oder uminterpretiert werden müsste. „Wenn wir jetzt lange überlegen, dann werden uns Länder, die im Hinblick auf den EHDS besser aufgestellt sind als wir, komplett überrollen“, sagte Prof. Tobias Penzkofer von der Radiologie der Charité Berlin bei der NUM Convention.


Nick Schneider, Leiter des Referats Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung im BMG, signalisierte, dass zumindest seinem Ministerium klar ist, dass es hier relativ dringenden Handlungsbedarf gibt: „Ich sehe das GDNG als den ersten Teil einer Trilogie. An den nächsten Drehbüchern schreiben wir gerade.“ Schon allein, um die im EHDS angelegten Patientenrechte umzusetzen, werde es nötig sein, in einem Gesundheitsdatenökosystem einen Unique Identifier für die unterschiedlichen Datenquellen zu haben. Ob das Bewusstsein für diese Notwendigkeit im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ähnlich groß ist, und ob in einer künftigen Bundesregierung die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ministerien besser gelingt als in den letzten 15 Jahren, ist unklar.


Plädoyer für eine Forschungsinfrastruktur 2.0
Prinzipiell böte der Regierungswechsel die Chance, das Thema Forschungsinfrastruktur noch einmal neu aufzusetzen – mit institutionellen Geldern, nicht mit Projektförderung. Prof. Dr. Otto Rienhoff aus Göttingen, ein Grand Old Man der deutschen Medizininformatik, hat sich kürzlich (siehe E-HEALTH-COM 1/2025) mit Blick in Richtung BMBF vehement für eine „Forschungsinfrastruktur 2.0“ ausgesprochen, die alle relevanten Akteure einbezieht und die für den gesamten Gesundheitssektor ein neues Infrastrukturkonzept entwickelt.


Diese Infrastruktur, so Rienhoffs Vorstellung, müsste von erfahrenen Expert:innen entworfen werden. Es müssten klare Verantwortlichkeiten für einen langfristigen, nicht projektbezogenen Betrieb definiert werden. Es sollten digitale Daten und auch Bioproben berücksichtigt werden, und es würde auf Interoperabilität mit der Telematikinfrastruktur geachtet. Wie realistisch ein solcher großer Wurf ist, das ist angesichts der finanziellen Lage im Bundeshaushalt eine andere Frage. Nick Schneider plädierte in Berlin eher dafür, den Ball flach zu halten: „Es wird nur gehen, wenn wir die Infrastrukturen, die wir haben, nutzen, verknüpfen und anpassen – und nicht noch etwas on top entwickeln.“


GDNG: „Es gibt extreme Widerstände“

In jedem Fall, so Schneider, müssten die an der Gesundheitsdatenforschung beteiligten Akteure die Spielräume, die das GDNG geschaffen hat, jetzt mutig nutzen, schon um Erfahrungen zu sammeln, die dann in die nächsten regulatorischen Schritte einfließen können. Das betrifft insbesondere die einwilligungsfreie Forschung, die vielleicht größte Innovation des GDNG. Eine einwilligungsfreie Forschung ist im Gefolge von Artikel 1, § 6 GDNG jetzt für medizinische Einrichtungen aller Art weitreichend möglich. Das gilt auch für die Verbundforschung.


Handelnde Akteure, die das GDNG mit Leben erfüllen müssen, sind dabei nicht nur Forscher:innen, sondern auch Datenschutzbeauftragte, Datenschutzbehörden und Ethikkommissionen. Insgesamt sieht es mit der konkreten Umsetzung von Forschungsvorhaben unter GDNG-Rahmenbedingungen ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht beeindruckend aus: „Es gibt extreme Widerstände bei einigen föderalen Datenschutzaufsichtsbehörden, bei einigen Ethikkommissionen und auch bei einigen Datenschutzbeauftragten in medizinischen Einrichtungen. Wir müssen uns jetzt ein Stück weit daran abarbeiten. Denn wir sind mit dem GDNG bewusst disruptiv vorgegangen“, so Schneider.


Und täglich grüßt ein Rechtsgutachten
Konkrete Einblicke gab es bei der NUM Convention aus mehreren Forschungsprojekten des NUM, die sich in den letzten Monaten um eine „Forschung nach GDNG“ bemüht haben. Das Bilddatennetzwerk RACOON verspreche sich vom GDNG nicht zuletzt Erleichterungen bei großen datengetriebenen Forschungsprojekten, Stichwort Maschinenlernen, sagte Dr. Andreas Bucher vom Universitätsklinikum Frankfurt. Konkrete Erfahrungsberichte mit Forschungsanträgen, die von den Datenschützern erfolgreich geprüft wurden, hatte er noch nicht Gepäck. Aktuell müssten zunächst die Vertragsgrundlagen aktualisiert werden. 


Etwas weiter gekommen ist das NUM-Obduktionsregister NAREG, das aus dem Deutschen Register für COVID-19-Obduktionen hervorgegangen ist. Es handelt sich laut Svenja Windeck, NAREG-Projektmanagerin vom Universitätsklinikum Aachen, um das weltweit größte, multizentrische Obduktionsforschungsvorhaben. Beteiligt sind aktuell 32 Zentren mit über 2 400 Fällen. Eine Herausforderung bisher: Ein bundesweites Obduktionsregister wie NAREG muss sich nicht nur mit 16 Landesdatenschutzgesetzen, sondern auch noch mit 16 Bestattungsgesetzen und annähernd 50 Ethikkommissionen auseinandersetzen.


Über die Auswirkungen des GDNG auf die NAREG-Forschung berichtete in Berlin Dustin Thewes, ebenfalls Aachen. Das GDNG bringt NAREG zum einen eine gewisse Vereinheitlichung bei den Datenschutzzuständigkeiten, zum anderen und vor allem aber werden qua GDNG die Daten vor dem Tod der Patient:innen einwilligungsfrei zugänglich. Das eröffnet für ein solches Register enorme Spielräume. Theoretisch jedenfalls, denn praktisch scheitert die konkrete Umsetzung einmal mehr an den Landesdatenschutzbehörden. Die lehnten die Prüfung entsprechender Forschungsanträge derzeit schlicht ab, so Thewes, mit der Begründung, dass Tote nicht unter die DSGVO bzw. das GDNG fielen. Das ist im Kontext einer Gesundheitsdatenforschung natürlich völlig absurd, weswegen es in Berlin auch für eine gewisse Erheiterung sorgte. Für das Register selbst ist die Sache aber mehr als unerfreulich: „Wenn das GDNG nicht für Verstorbene anwendbar sein sollte, dann läuft es leer“, so Thewes. Aufgeben wollen die NAREG-Forscher:innen nicht. Sie haben das getan, was man in so einer Situation eben tut: ein Rechtsgutachten beauftragt. 

 

Text: Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM