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Innovationsmanagement im Krankenhaus

Kostendruck, Wettbewerb um Patientinnen und Patienten sowie um Fachkräfte und immer häufiger wechselnde gesetzliche Vorgaben: Dass der Krankenhaussektor in Deutschland bald wieder ruhigeres Fahrwasser erreicht, ist nicht abzusehen. Der Schlüssel zum Überleben liegt darin, Trends und Entwicklungen vorauszusehen und mitzugestalten. Gefragt ist hierzu eine gut verankerte Innovationsstrategie.

Quelle: © Tex vector – stock.adobe.com

Was ist Innovation? Der Innovationsforscherin Baregheh zufolge ist Innovation ein „in mehreren Stadien verlaufender Prozess, mit dem Organisationen Ideen in neue oder verbesserte Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse überführen, mit dem Ziel, auf dem Markt weiter voranzukommen, im Wettbewerb zu bestehen und sich erfolgreich zu differenzieren“. Diese Ziele teilen wohl alle Führungskräfte in Bezug auf ihr Haus.


Und: In jeder Organisation mit einem Mindestmaß an motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt es unwillkürlich zu Innovation – Fachkräfte auf den Stationen, in den Funktionsbereichen und der Verwaltung kommen im Rahmen ihrer täglichen Arbeit auf Ideen, wie sich die Qualität der Patientenversorgung oder die Effizienz von Abrechnung oder anderen Verwaltungsvorgängen verbessern lässt. Wozu also Innovationsmanagement?


Hier bietet sich ein Vergleich mit der medizinischen Forschung an: Berühmt geworden sind die Beispiele von Wilhelm Röntgen, der 1895 feststellt, dass eine bisher unbekannte Art von Strahlung aus seiner Kathodenröhre zufällig herumliegende Kristalle zum Fluoreszieren bringt, und von Alexander Fleming, der 1928 während seines Sommerurlaubs versehentlich Schimmelpilze der Gattung Penicillium in seinen Bakterienkulturen wuchern lässt. Auch wenn Zufall und schwer planbare Inspiration nach wie vor eine Rolle in der Wissenschaft – wie auch in der Innovation – spielen, so wäre der wissenschaftliche Fortschritt doch wesentlich langsamer, wenn er nicht in Institutionen und durch eine Vielzahl von Prozessen systematisiert wäre.


Innovationsstrategie nur in wenigen Häusern vorhanden
Das Gleiche gilt für Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens: Der Wettbewerb ist zu groß und der Wandel in den Umgebungsvariablen zu schnell, als dass man Innovation rein dem Zufall überlassen könnte. Der Innovationsprozess muss also in der Einrichtung derart verankert werden, dass gute Ideen möglichst effizient entstehen, als solche erkannt und in die Praxis überführt werden.
Wie lässt sich das umsetzen? Das war das Thema der Fokusveranstaltung „Masterplan – Strategisches Innovationsmanagement“ der Initiative „Das digitale Krankenhaus“ der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW). Zu der von September bis November 2019 laufenden Reihe von Fokusveranstaltungen waren Führungskräfte und IT-Fachleute aus NRW-Kliniken eingeladen. Ziel war, die Teilneh-
merinnen und Teilnehmer fachlich für die Digitalisierung in ihren Häusern zu rüsten und ihnen die Möglichkeit zum Austausch untereinander zu bieten.


Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis berichteten vom Status quo und Best Practices im Innovationsmanagement im Krankenhaus – sofern es solche überhaupt schon gibt. Wie Dr. Sven Meister, Abteilungsleiter „Digitization in Healthcare“ des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik ISST, feststellte: In den meisten Häusern bestehe die Digitalisierung aus Einzelprojekten wie der Einführung einer digitalen Kurve. Es gebe überwiegend keine Strategie, die die einzelnen Projekte in einen sinnvollen Kontext setze und den notwendigen Kulturwandel unter den Beschäftigten unterstütze.


Unternehmensstrategie bestimmt Innovationsstrategie  
Wie kommt man zu einer solchen übergreifenden Innovationsstrategie? Der Begriff der Innovationsstrategie wird häufig gleichgesetzt mit der Digitalisierungsstrategie – und schon liegt der Schritt nahe, die Verantwortlichkeit hierfür in der IT-Abteilung anzusiedeln. Tatsächlich aber sind auch Prozessinnovationen, die nicht unbedingt auf digitalem Gebiet ablaufen, Teil einer guten Innovationsstrategie, auch wenn natürlich heutzutage der größte Teil aller Innovationen digital bzw. durch neue Technologien unterstützt wird.


In jedem Fall sind Innovations- und Digitalisierungsstrategie ein integraler Bestandteil der Krankenhausstrategie, und damit Sache der Geschäftsführung. Die IT-Abteilung spielt trotzdem eine wichtige Rolle: keine Innovation ohne fachliches Know-how. Doch hier zeigen sich gleichermaßen die Hürden, die der Digitalisierung entgegenstehen: Gemäß der Online-Erhebung 2019 der KGNW sehen 140 von 184 (Mehrfachnennung möglich) befragten Krankenhaus-Geschäftsführerinnen und -Geschäftsführern in NRW mangelnde finanzielle Ressourcen als wesentliches Hemmnis der Digitalisierung, und jeweils knapp über und knapp unter 60 den Fachkräftemangel und mangelndes Fachwissen in Bezug auf Digitalisierung.(1)


Innovationsziele festlegen
Die Definition der Innovationsziele, wie bereits dargestellt, ist Teil der Definition der Unternehmensziele. Diese werden somit auf Leitungsebene – im besten Fall unter Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – festgelegt und dienen von da an als Kompass, an dem alle Innovationsprojekte ausgerichtet werden.


Burkhard Fischer, Leiter des IT-Referats der KGNW, empfiehlt, sich bei der Festlegung der Innovationsziele von den vier Dimensionen des Zielbildes „Das digitale Krankenhaus“ leiten zu lassen: Strategieorientierung, Patientenorientierung, Mitarbeiterorientierung und Prozessorientierung. „Bei der Festlegung einer Strategie hilft die digitale Reifegradbestimmung – sie ermöglicht ein Benchmarking im Vergleich zu anderen Häusern und hilft Einrichtungen, sich gegenseitig als Vorbild zu dienen. Weitere wichtige Bausteine der Strategieorientierung sind die Berücksichtigung von interoperablen Standards, die eigenständige Bewertung von Chancen und Risiken von Zukunftstechnologien wie Künstlicher Intelligenz und die Einbeziehung aller Bereiche und Abteilungen – nicht nur Medizin und Pflege, sondern auch Personalwesen, Technik, Medizinprodukte, Einkauf und Controlling. Eine modulare, auf einer Plattform aufsetzende Architektur der digitalen Systeme hilft dabei, Projekte überschaubar zu halten und sie trotzdem im weiteren Verlauf integrieren zu können. Monolithische Systeme sind hierbei nicht unbedingt notwendig oder hilfreich.“


Projekte priorisieren und umsetzen
Ganz konkret bedeutet das: Anhand der so festgelegten Unternehmens- und Digitalisierungsziele lässt sich jedem potenziellen Projekt eine strategische Relevanz zuordnen. Wenn man als zweite Dimension noch den wahrscheinlichen Umsetzungsaufwand eines Projektes hinzunimmt, hat man bereits eine Matrix zur Projektpriorisierung.


Meister (ISST) empfiehlt hierbei, Projekte mit hoher strategischer Relevanz und niedrigem bis mittlerem Umsetzungsaufwand zunächst als Startprojekte anzugehen. Projekte mit hoher und mittlerer strategischer Relevanz und hohem Umsetzungsaufwand gelten als Entwicklungsprojekte; hier sollten erste Schritte zur Umsetzung gemacht werden. Projekte mit mittlerer strategischer Relevanz und mittlerem bis hohem Umsetzungsaufwand werden als Perspektivprojekte zunächst für die Zukunft vorgemerkt; diese können angegangen werden, wenn höher priorisierte Projekte umgesetzt sind oder neue technologische Möglichkeiten den Umsetzungsaufwand verringert haben. Projekte mit niedriger strategischer Relevanz und niedrigem bis mittlerem Umsetzungsaufwand können als Abschöpfungs- und Mitnahmeprojekte im Sinne von niedrig hängenden Früchten mit umgesetzt werden, wenn es opportun ist, während auf Projekte mit niedriger Relevanz und hohem Aufwand verständlicherweise auch verzichtet werden kann.


Die Priorisierung der Projekte ist ein wichtiger erster Schritt – doch auf dem Weg zur Umsetzung kann bekanntlich noch viel schiefgehen. Die Fußangeln bei der strategischen Projektierung können Meister (in Anlehnung an Prof. Martin G. Möhrle) zufolge in den Stadien des Innovationsprozesses vor dem erfolgreichen ­Abschluss auftreten: Bei der Ideengenerierung, der Selektion und Verdichtung sowie der Abstimmung und ­Koordinierung.


Verantwortlichkeiten organisieren
Die vorangegangenen Ausführungen zeigen: Innovation im Krankenhaus lässt sich nicht nebenbei managen. Vielmehr ist ein stringentes Projektmanagement notwendig, und die Verantwortlichkeit hierfür muss sich im Organigramm klar verorten lassen. Doch wo ist in einer herkömmlichen Krankenhausorganisation Platz für Innovationsmanagement? Diese Frage kann in jeder Einrichtung individuell beantwortet werden: So können Innovationsprojekte in der Linienorganisation angesiedelt werden oder es kann eine Stabsstelle eingerichtet werden.


Beides hat Vor- und Nachteile: Während in der Linie Kompetenzen und Zuständigkeiten klar geregelt sind, kommt es häufig zu einem gewissen Informationsschwund beim Weg durch die Instanzen. Eine Stabsstelle dagegen kann alle Informationen sammeln, krankt aber häufig an unklaren Zuständigkeiten und Befugnissen. Wenn der Stabsstelle ein Projektteam zugeordnet ist, das aus Linienmitarbeitern besteht, die weiterhin auch (teilweise) ihren ursprünglichen Aufgaben nachgehen, handelt es sich um eine Stab-Linien-Projektorganisation; der in der Stabsstelle angesiedelte Projektleiter ist hierbei nur koordinierend tätig. Wenn der Projektleiter dagegen echte Weisungsbefugnis hat, handelt es sich um eine Matrixorganisation: Jeder Projektmitarbeiter hat hierbei zwei echte Vorgesetzte, den Vorgesetzten in der Linie und den Projektleiter, was zu Konflikten führen kann.


Stab-Linie für kleine Projekte, reine Linienorganisation für große
Meister empfiehlt, die Organisationsform für jedes Projekt anhand seiner Größe auszuwählen: Kleine Projekte mit voraussichtlich kurzer Dauer können erfolgreich als Stab-Linien-Projekt umgesetzt werden, für größere Projekte mit längerer Laufzeit und größerem Steuerungsbedarf ist die Organisation als Matrixprojekt geeignet, während sehr große Projekte mit langer Laufzeit und mehreren Vollzeitmitarbeitern am besten als reines Linienprojekt betrachtet werden.


Innerhalb der Linie kann das Innovationsmanagement beispielsweise beim IT-Leiter bzw. Chief Information Officer (CIO) oder Chief Technology Officer (CTO) angesiedelt sein – diese Rolle ist mittlerweile bei vielen mittelgroßen und großen Häusern etabliert und wird gelegentlich auch schon durch einen Chief Digital Officer (CDO) oder Chief Medical Information Officer (CMIO) ergänzt, wie die Unternehmensberatung Deloitte berichtet.(2) Auch die Unternehmensentwicklung ist innerhalb der Linie häufig für Digitalisierungsprojekte zuständig, während in kleinen Häusern die Verantwortlichkeit häufig bei der Geschäftsführung oder in der IT-Abteilung verbleibt.


Erfolgsfaktor Kulturwandel

Im Zielbild des digitalen Krankenhauses wird der digitale Wandel im Krankenhaus gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgesetzt. Hierbei müssen oft auch bestehende Berührungs- und Verlustängste angegangen werden, die teils aus zurückliegenden negativen Erfahrungen stammen, sich teils aber auch aus wenig konkreten Vorstellungen bezüglich künftiger Anforderungen ­speisen. Die Online-Erhebung der KGNW 2019 zeigte dabei bezüglich der Wahrnehmung der Digitalisierung bei den Mitarbeitenden eine sehr große Spanne: Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer ordneten ihre Beschäftigten auf einer Skala von 0 (skeptisch) bis 100 (aufgeschlossen) zwischen
einem Minimum von 10 und einem Maximum von 96 ein.


Die wichtigsten Erfolgsfaktoren, die den Kulturwandel in der Mitarbeiterschaft unterstützen, sind dabei intuitiv nutzbare Systeme, die keinen zusätzlichen administrativen Aufwand erfordern, sowie eine gute und intensive Kommunikation der Geschäftsführung.


Dazu Burkhard Fischer (KGNW): „Die Digitalisierung im Krankenhaus führt unweigerlich zu transparenteren Prozessen als bisher. Damit müssen Geschäftsführung und IT verantwortungsvoll umgehen und den Beschäftigten eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre bieten. So lassen sich Zukunftsängste abbauen, und ein erfolgreicher Kulturwandel wird möglich.“

 

Literaturhinweise

(1)  https://www.das-digitale-krankenhaus.nrw/
(2) https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/life-sciences-health-care/LSHC_IT_im_Krankenhaus_2018.pdf