U m Akteur:innen im Gesundheitswesen eine sichere Kommunikation zu gewährleisten, hatte die Bundesregierung den Kommunikationsdienst KIM auf den Weg gebracht. Damit soll es für Praxen möglich sein, über die Telematikinfrastruktur (TI) elektronische Dokumente sicher zu versenden und zu empfangen. Spätestens ab Herbst 2021 müssen Praxen damit verpflichtend für den Versand von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommunizieren. Das zumindest ist aktuell der Plan. Verzögerungen werden für möglich gehalten. Die Leitung zur Krankenkasse, heißt es, mache Probleme.
Wie auch immer, in Deutschland werden etwa 130 Millionen Arztbriefe und Befunde innerhalb und zwischen den Sektoren ausgetauscht – und das zum überwiegenden Teil analog. Das bestätigen auch die Ergebnisse des „PraxisBarometer Digitalisierung 2020“. Die Umfrage zeigt, dass lediglich zehn Prozent der befragten Niedergelassenen Entlassbriefe, Informationen über Medikation, Befunde, Einweisungen, OP-Berichte oder Informationen über Verlegungen elektronisch mit Krankenhäusern austauschen.
Der Kommunikationsstandard KIM (vormals KOM-LE) schließt daher eine wichtige Lücke in der Kommunikation über alle Sektorengrenzen hinweg, aber auch innerhalb der einzelnen Sektoren. Langfristiges Ziel ist, alle Akteur:innen anzubinden – von Arztpraxen über Krankenhäuser, Zahnarztpraxen oder psychotherapeutische Praxen bis hin zu Krankenkassen, Leistungserbringerorganisationen und Behörden.
KIM ist nach Paragraf 311 Abs. 6 SGB V (früher § 291b Abs. 1e) nun das gesetzlich festgelegte, sogenannte sichere Übermittlungsverfahren. Der Paragraf markiert einen Wendepunkt, denn damit ist KIM im Gegensatz zur herkömmlichen E-Mail durch seine Sicherheitsmerkmale für die Übertragung medizinischer sowie Sozialdaten geeignet. Dazu gehören etwa eArztbriefe, Befunde, eArbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder auch Heil- und Kostenpläne. Die rechtlichen Regelungen sehen vor, dass weitere Datenübermittlungen von bereits bestehenden Übermittlungsdiensten (z.B. KV-Connect) sukzessive auf KIM umzustellen sind.
Was kann KIM?
Die Entwickler:innen des Standards haben Wert auf eine möglichst große Flexibilität gelegt und so lässt sich KIM sowohl in E-Mail-Programme als auch in Praxisverwaltungssysteme integrieren. Grund hierfür ist, dass es über Standard-Mailprotokolle kommuniziert und die Komplexität der Sicherheitsmerkmale vor diesen abkapselt. Des Weiteren haben die Gesetzgeber allen KIM-Anbieter:innen vorgeschrieben, eine Client-Software bereitzustellen, die alle Sicherheitsanforderungen erfüllt, was wiederum den Einsatz aller Standard-E-Mail-Programme ermöglicht. Ein weiterer Vorteil von KIM gegenüber der herkömmlichen E-Mail: Der Standard gibt verlässlich Absender:innen an, prüft die Integrität der Nachrichten, lässt eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu und ermöglicht eine Signierung der versendeten Mails. eArztbriefe können sogar zusätzlich mit einer rechtssicheren Unterschrift versehen werden.
Als Nutzer:innen des Kommunikationsdienstes KIM sind unterschiedliche Akteur:innen aus dem Gesundheitswesen festgelegt: Dazu zählen Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Krankenhäuser, psychotherapeutische Praxen, Apotheken, MVZ und Körperschaften der Leistungserbringer. Später sollen Physiotherapeut:innen, Pflege, Hebammen und verschiedene Behörden hinzugefügt werden. Um Kommunikationspartner:innen aus dem Gesundheitswesen schnell und effektiv zu finden, bietet KIM ein zentral bereitgestelltes Adressbuch mit künftig mehreren hunderttausend Einträgen. Die Nutzer:innen können nach verschiedenen Kriterien gesucht werden, wie z. B. Name, Adresse, Fachrichtung, Betriebsstättennummer oder Spezialisierung.
In Bezug auf die Optik oder die Handhabung müssen die KIM-Nutzer:innen nach gematik-Angaben mit keiner großen Umstellung rechnen. „KIM läuft quasi unter der Haube“, versichert Thomas Jenzen, Produktmanager KIM, gematik, anlässlich der Infoveranstaltung „KIM – Sichere E-Mails für Ärztinnen und Ärzte“ des health innovation hub des Bundesgesundheitsministeriums.
Jenzen informierte, dass es grundsätzlich möglich ist, eine Adresse für eine Einrichtung oder individuell für eine bestimmte Person zu beantragen. Im letzteren Fall wird diese dann an den HBA gekoppelt und kann bei einem Arbeitgeberwechsel auch „mitgenommen“ werden. Jenzen geht davon aus, dass die Mehrzahl der KIM-Mail-adressen jedoch zunächst für Einrichtungen, Fachabteilungen in Krankenhäusern oder Praxen und erst später für Einzelpersonen beantragt werden.
Inzwischen gibt es auch eine Reihe durch die gematik zertifizierte KIM-Anbieter:innen (Stand 26.03.2021 waren es 19 Anbieter:innen), unter denen die Anwender:innen frei wählen können. Wichtig wird nun sein, sich möglichst schnell eine KIM-Mailadresse zu besorgen, so Jenzen. Denn der Besitz einer solchen ist die Voraussetzung, um den Kommunikationsstandard nutzen zu können. Weitere Notwendigkeit sind ein Heilberufsausweis, ein E-Health-Konnektor, ein Kartenterminal und ein Praxis-/Institutionsausweis (SMC-B).
Wie wird vergütet?
Wie so oft stellt sich die leidige Frage, wie die elektronische Kommunikation vergütet wird. Um die Kommunikation für Briefe und Faxe für Ärzt:innen möglichst unattraktiv zu machen, werden die dafür geltenden Pauschalen für Briefe (81 Cent) und Faxe (10 Cent) ab 1. Juli 2021 auf 5 Cent abgesenkt. Gleichzeitig wurden Anreize für die elektronische Kommunikation gesetzt: Seit Oktober 2016 gibt es eine Vergütung für den Versand von eArztbriefen von 28 Cent und 27 Cent für deren Empfang. Weil keine Dienste nach § 291b Abs. 1e SGB V vorhanden waren, griff ab Januar 2018 eine Übergangsregelung für die KBV-Richtlinien Elektronischer Brief. Das machte die Übermittlung von eArztbriefen über Dienste wie KV-Connect weiterhin möglich. Bei der Veranstaltung des health innovation hub gab Jenzen an, dass die Nutzung dieser noch bis in den Herbst, jedoch ohne Vergütungszahlungen geduldet würden.
Seit dem 1. April 2021 erhalten nun Nutzer:innen, die elektronisch kommunizieren, eine einmalige Einrichtungspauschale (100 Euro) sowie eine quartalsweise gezahlte Betriebskostenpauschale von 23,40 Euro je Vertragspraxis. Für das Versenden eines eArztbriefes bleibt die Versandpauschale und Empfangspauschale bestehen. Diese werden allerdings auf einen gemeinsamen Höchstwert von 23,40 Euro je Arzt / Ärztin gedeckelt. Zusätzlich wird ein Zuschlag von einem Punkt zur eArztbrief-Versandpauschale gewährt. Dieser ist zunächst bis zum 30. Juni 2023 befristet.
Der Versuch, den KIM-Dienst durch eine Anreizsetzung für den eArztbrief attraktiver zu machen, dürfte allerdings weniger erfolgreich sein als die Regelung, die künftig für die Ausstellung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) gilt. Denn ab dem 1. Oktober 2021 schreibt das Terminservice- und Versorgungsgesetz vor, AUs (davon werden jährlich bis zu 80 Millionen ausgestellt) mittels KIM elektronisch und direkt an die Krankenkassen zu senden, die dann wiederum den Arbeitgeber in Kenntnis setzen müssen (rechtlich geregelt im „Arbeitgeberverfahren“). Parallel dazu ist noch ein Ausdruck notwendig, doch ab dem 30. Juni 2022 soll dieser nur noch auf Wunsch des Versicherten geschehen.
Für Ärzt:innen heißt diese Entwicklung: Wer nicht mitmacht, verliert womöglich sein „Brot und Butter“-Geschäft. Das gilt besonders für Hausärzt:innen, die zurückhaltend waren, sich eine KIM-Adresse zuzulegen. Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass sie bei den eArzbriefen im Allgemeinen auf der Empfängerseite stehen. Die geringe Vergütung, die sie als Empfänger:innen erhalten, dürfte für sie nicht den großen Anwendungsanreiz darstellen, den sich die Verantwortlichen erhofften. Das Potenzial zur echten Killerapplikation hat darum eher die eAU.
Verzögerungen bei der HBA-Ausstattung
Das wird die Verantwortlichen freuen – dennoch tut sich mit der gesteigerten Nachfrage auch ein Problem auf, denn die Auslieferung des HBAs verzögert sich. Mitte April war im Stationären Bereich im Berichtsmonat laut Kassenärztlicher Vereinigung lediglich 5,12 Prozent aller Berechtigten mit einem HBA ausgestattet, im niedergelassenen Bereich waren es immerhin 26,66 Prozent. Das ist jedoch bei Weitem nicht genug. Vonseiten der KBV hieß es weiter, dass die Hersteller:innen mit den Anfragen überfordert seien und daher mit Wartezeiten von derzeit zwei bis drei Monaten zu rechnen ist. KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel äußerte in einem Video-Interview Zweifel, dass rechtzeitig zum 1. Juli (ePA) oder auch zum 1. Oktober (eAU) alle Praxen damit ausgestattet werden können.
Ein weiteres Problem: Derzeit stehen die technischen Spezifikationen für die HBAs der Psychotherapeut:innen noch gar nicht. Mit der Folge, dass diese schlicht keinen HBA bekommen und somit auch nicht an KIM teilnehmen können. Gemeinsam mit der Bundespsychotherapeutenkammer hat die KBV beim Bundesgesundheitsministerium darauf gedrängt, dass die vom Gesetzgeber benannten Fristen verlängert werden. Die Psychotherapeut:innen werden sich wohl noch bis Mai gedulden müssen, dann sollen die Spezifikationen stehen.
Die Verzögerungen führten auch zu Planänderungen bei der Umstellung auf die eAU. Ursprünglich war deren elektronische Übermittlung bereits für den 1. Januar dieses Jahres vorgesehen. Von Januar 2022 an sollten die Krankmeldungen dann auch elektronisch an den Arbeitgeber erfolgen. Die noch unzureichende Ausstattung der Ärzt:innen mit dem HBA führten auch hier zu Verzögerungen.
Ein weiterer, auf der Veranstaltung des health innovation hub nicht angesprochener, aber nicht zu ignorierender Grund dürfte die lange fehlende Bereitschaft der Ärzt:innen sein, sich um eine KIM-Mailadresse zu kümmern. Noch Ende Januar berichtete Gilbert Mohr, IT-Experte der KV Nordrhein, in einem Podcast, dass gerade einmal 400 KIM-Mailadressen angelegt waren. Stand Ende April gab die KBV an, dass derzeit 1 500 Bestellungen für kv.dox, den KIM-Dienst der KBV, vorliegen. Aktuelle Zahlen über die Bestellungen der Mailadressen von allen KIM-Dienst-Anbieter:innen kann oder will die gematik nicht nennen. Auf Nachfrage heißt es lediglich: „Die Zahl wächst stetig und kontinuierlich, da die Anbieter:innen derzeit massiv in den Markt gehen und KIM ausrollen. Laut den Anbieter:innen ist die Nachfrage sehr groß.“
Laut KBV hat die gematik schon auf die gestiegene Nachfrage reagiert und mit den Hersteller:innen über eine Erweiterung ihrer Produktionskapazitäten gesprochen. Außerdem soll der Praxisausweis, die SMC-B-Karte, noch bis zum 31. Mai auch ohne eHBA bestellbar bleiben. Für Ärzt:innen bleiben in Sachen KIM noch einige Fragen offen und wie so häufig machen Verzögerungen in der Umsetzung Probleme. Doch es steht außer Frage, dass KIM ein wichtiger Schritt hin zu einer sicheren Kommunikation im Gesundheitswesen darstellt, der langfristig viele Vorteile mit sich bringt.