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Mission: Den Markt umkrempeln

Wenn nicht alles täuscht, wird 2019 ein weiteres Rekordjahr, was Investitionen im Bereich Digital Health angeht. Deutschland hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Markt für Unternehmensgründungen auf diesem Feld entwickelt, doch wie nachhaltig sind die derzeitigen Gründerjahre? Ein Gespräch mit Eckhardt Weber von dem in Berlin ansässigen Inkubator und Investor
Heartbeat Labs.

Eckhardt Weber ist Gründer und Geschäftsführer der Digital-Health-Plattform Heartbeat Labs.

Heartbeat Labs hat sich vor zwei Jahren als Inkubator und Beteiligungsgesellschaft für digitale Gesundheitsanwendungen gegründet. Haben sich Ihre Erwartungen an das Gesundheitswesen erfüllt?
Ja, aktuell fügen sich die Elemente wirklich zusammen. Viele Dinge haben sich bereits so erfüllt, wie wir es erwartet hatten. Ich hätte dem Markt ein bisschen mehr Geschwindigkeit zugetraut. Manches dauert schon recht lange. Aber wir wussten ja, dass der Markt hoch reguliert ist und noch komplexer als der Finanzmarkt. Das hat sich bestätigt. Ich hätte gehofft, dass der Markt teilweise reifer und mutiger ist in bestimmten digitalen Geschäftsmodellen. Andererseits muss man auch sagen, dass mittlerweile in vielen Bereichen wirklich Geschwindigkeit drin ist. Alle Akteure im Gesundheitswesen werden offener. Ich erwarte, dass Unternehmen jetzt signifikant wachsen können und nicht nur tolle Produkte entstehen, die dann doch wieder in der Versenkung verschwinden, sondern die den Markt in den nächsten fünf Jahren auch richtig umkrempeln werden.


Was sind im Moment die interessantesten Digital-Health-Themen in Deutschland für Sie?

Telemedizin ist ein wichtiges Thema, da sind wir mit den Unternehmen Kinderheldin und Fernarzt engagiert und glauben sehr fest an die Potenziale. Das sieht man auch an anderen Unternehmen im Markt, die nach Deutschland kommen und Finanzierungen erhalten. Das ist ein spannendes Feld. Für vielversprechend halten wir auch Produkte, die die klassische Versorgung mit digitalen Mitteln weiterentwickeln. Deshalb haben wir Hybridmodelle gegründet, die eine starke Offline-Komponente haben. Konkret sind das HY Studio und Betriebsarztservice, das eine ist eine Praxiskette für minimalinvasive Schönheitsbehandlungen und das andere eine Praxiskette für Arbeitsmedizin. Da gibt es jeweils erste Praxen und beide  expandieren derzeit.  Bei reinen Online-Modellen muss man sehr genau schauen, was wirklich Potenzial hat. Wir glauben, dass integrierte Dienste, die Online- und Offline-Komponenten verbinden, auf Dauer interessanter werden. Bisher nur als Investor engagiert sind wir unter anderem im Bereich digitaler Medizinprodukte. Ein eigenes Unternehmen haben wir mit N1 außerdem im Bereich digitale Biomarker, insbesondere in Bezug auf Arzneimittel, gegründet.

Viele deutsche Digital-Health-Start-ups orientieren sich in Richtung anderer Märkte. Welchen Stellenwert hat der deutschsprachige Markt bei Ihren Gründungen beziehungsweise Investments?
Der Fokus bei uns liegt aktuell noch klar auf Deutschland, weil wir fest an den Markt glauben. Wir wollen mit Heartbeat Labs diesen Markt weiterentwickeln. Natürlich geht ein Thema wie digitale Biomarker auch schnell über Deutschland hinaus, weil wir hier nicht zuletzt Pharmaunternehmen ansprechen, die in vielen Ländern aktiv sind. Wir würden aber aktuell nichts starten, was primär zum Beispiel auf den US-Markt zielt.


Wie hat sich insgesamt die Finanzierungssituation für Digital-Health-Start-ups in Europa entwickelt?
In Deutschland gibt es im Moment relativ viel verfügbares Geld im Bereich Early-Stage oder Pre-Seed/Seed, also in der sehr frühen Phase. Wenn es dann in Richtung Later-Seed und Series-A geht, also Beträge in der Größenordnung von ein paar Millionen Euro, tut man sich in Deutschland schon schwerer. Da kommen viele Investoren dann nicht mehr aus Deutschland. Was hier hilft, sind spezialisierte Investoren, wie der neue APEX Digital Health Fonds aus Frankfurt. Auch die PKV hat angekündigt, einen Fonds aufzulegen. Das sind dann schon Finanzierungsvolumina, mit denen wir über die Series-A kommen. Wenn es dann richtig groß wird, Series-B und Growth-Finanzierungen mit 20 oder 30 Millionen, wie wir sie zuletzt bei Doctolib gesehen haben, dann reden wir praktisch ausschließlich über große, internationale Investoren. Da wird natürlich auch die internationale Ausdehnung der Geschäftsmodelle wichtig. Zudem gehen wir davon aus, dass auch strategische Investments stark wachsen werden, weil die Investoren die Zeichen der Zeit erkennen.


Inwieweit helfen Ihnen die Pläne der Bundesregierung im DVG-Entwurf, es den Krankenkassen zu erleichtern, sich an Digital-Health-Unternehmen zu beteiligen? Konkret sollen sie bis zu 2 Prozent ihrer Finanzreserven anlegen dürfen, sofern die Kapitalbindungsdauer zehn Jahre nicht überschreitet, eine Rückzahlung gewährleistet erscheint und ein angemessener Ertrag erzielt wird.
Ich denke, eine Anlagedauer von zehn Jahren ist völlig in Ordnung, das ist das, was man in Venture-Capital-Fonds als Kapitalbindung normalerweise zeichnet. Bei der Gewährleistung der Rückzahlung muss man natürlich fragen, wie das dann ausgelegt wird, aber grundsätzlich sind diese Investitionen ja für etwas fortgeschrittene Unternehmen gedacht, da ist das Ausfallrisiko geringer. Es gibt ein Sonderbeispiel, das die Barmer vor einigen Jahren aufgelegt hat. Das scheint von Standards im Venture- Capital-Bereich deutlich abzuweichen, um insbesondere das Ausfallrisiko zu begrenzen. Eine wichtige Frage ist, wer am Ende entscheidet, wo investiert wird. Auch ein großes Versicherungsunternehmen hat nicht automatisch erfahrene Venture-Capital-Investoren an Bord. Da sollte es einen klaren Prozess geben, der allerdings etwas anders aussehen muss als beim Innovationsfonds oder auch bei öffentlichen Ausschreibungen.


Eines der Unternehmen, in denen Sie sich stark engagieren, ist Fernarzt.com. Wie ist hier der aktuelle Stand? Wie umfangreich wird der Service genutzt, wo, von wem und wofür?
Wir sind mit der Entwicklung bei Fernarzt sehr zufrieden und sehen riesiges Potenzial in diesem Markt. Das Unternehmen ist knapp anderthalb Jahre alt und wächst weiterhin sehr schön. Für das, was Fernarzt aktuell anbietet – Anamnesebogen ausfüllen, Arzt prüft die Antworten und entscheidet, ob auf Grundlage dieser Angaben ein Medikament verschrieben werden kann, das dann von einer Online-Apotheke bedient wird – gibt es einen klaren Bedarf. Das bezahlen die Patienten im Moment aus eigener Tasche, und sie kommen auch gerne zurück. Wir sehen das als einen Vorgriff auf das Zeitalter des E-Rezepts, sind aber schon auch der Auffassung, dass das nur ein erster Schritt in den Markt ist. Mit Fragebögen kann nicht alles geklärt werden. Danach muss oft ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt stattfinden, teils auch persönlich, sodass am Ende Szenarien stehen sollten, bei denen man Patienten die Möglichkeit geben sollte, sehr einfach online oder vor Ort einen Arzt zu finden oder ihn sogar zu sich nach Hause kommen zu lassen.


Wie sind Ärzte bei Ihnen aktuell eingebunden?
Wir arbeiten primär mit Ärzten in Großbritannien. Das funktioniert sehr gut. Im Beirat sitzen außerdem deutsche Ärzte, und wir haben auch schon einen deutschen Arzt, der bei Wunsch nach Synchronkommunikation für eine Online-Sprechstunde zur Verfügung steht. Das wird bisher aber nur selten angefragt. Mittelfristig werden wir mehr und mehr Ärzte in Deutschland haben, jetzt wo es rechtlich möglich ist.


Wie erfahren die Patienten von Ihnen?
Das ist im Moment noch schwierig. Auch hier warten wir derzeit auf das Digitale Versorgung Gesetz, das das Heilmittelwerbegesetz lockert und ein konkretes Marketing für Fernbehandlungsangebote gestatten soll. Darüber hinaus finden die Leute stark über inhaltliche Themen zu uns, zum Beispiel über Google.


Wie sehen aktuell die Nutzerzahlen aus, und was sind Ihre Erwartungen?

Im Moment sind wir bei den Patientenzahlen im mittleren vierstelligen Bereich pro Monat. Dazu haben wir eine sehr hohe Zahl an Seitenbesuchern, die sich das Angebot ansehen. Mit den Erwartungen tue ich mich schwer. Ich denke schon, dass ein signifikanter Anteil des Umsatzes mit rezeptpflichtigen Medikamenten über kurz oder lang über Online-Kanäle gehen wird.


Tatsache bleibt, dass telemedizinische Erstkontakte – die berühmte Krankschreibung bei akutem Atemwegsinfekt, die dermatologische Abklärung eines Hautbefunds – bis auf Weiteres nicht erstattet werden. Die Äußerungen von KBV und GKVen lassen auch nicht vermuten, dass sich das so rasch ändern wird.


Dass sich innerhalb des GKV-Systems kurzfristig signifikant etwas verschiebt, glaube ich auch nicht. Aber wenn es erst einmal eine gewisse Dynamik gibt, dann werden sich Finanzierungsmodelle herausbilden, die über reine Selbstzahlermodelle hinausgehen.


Was ist mit PKV-assoziierten Konzepten wie einer „Zusatzversicherung für digitale Lösungen“?
Ich bin da etwas skeptisch, ob das für den Patienten reizvoll genug ist. Das müssen schon sehr interessante Services sein, damit das fliegt. Grundsätzlich allerdings würde ich die Rolle der PKV bei der Digitalisierung sehr positiv sehen. Die privaten Krankenversicherungen haben erkannt, dass etwas passiert, die Offenheit für digitale Lösungen wächst deutlich, was sich ja auch an dem angekündigten PKV-Fonds zeigt. Ich denke schon, dass private Krankenversicherungen Vorreiter für Innovationen wie die Übernahme von E-Rezepten über Online-Portale sein können.


Relativ explizit sieht das DVG eine außerbudgetäre Förderung von Telekonsilen vor, also Doctor-to-Doctor-Szenarien. Ist das ein Gebiet, das für Fernarzt.com oder auch Heartbeat Labs interessant werden könnte?
Für Fernarzt sehe ich das aktuell nicht als Thema, für ­Heartbeat Labs schon eher. Wir haben uns diesen Teilbereich angesehen. Das ist ein stark infrastrukturell ausgerichtetes Thema, bei dem ich mir im Moment noch nicht sicher bin, wie groß dieser Markt aktuell schon ist. Viel ärztlicher Austausch findet ja auf anderen Wegen statt, und einfach nur ein medizinisches Skype oder Whats­App zu bauen, halte ich für zu dünn. Spannend wird es ja, wenn es nicht nur um die reine Kommunikation geht, sondern echte Zusammenarbeit unterstützt, zum Beispiel durch intelligente Produkte, Übermittlung größerer Datenmengen und Zusatzinformationen. Da glaube ich schon dran, aber das wird relativ schnell sehr komplex.


Eine zweite Neuerung, die das DVG bringen soll, ist eine BfArM-Liste digitaler Medizinprodukte bis Klasse IIa, die regulär erstattet werden und für die Hersteller und Krankenkassen sich bei positivem Nutzennachweis auf Preise einigen sollen. Was interessiert Sie im Bereich Digital Therapeutics?
Wir sind investiert in Moodpath, eine Anwendung mit Fokus auf mentaler Gesundheit. Das Grundthema ist die Früherkennung von Depression basierend auf verhaltenstherapeutischen Ansätzen, verknüpft mit Angeboten zur Behandlung. Moodpath ist schon länger im Markt, hat über eine Million Downloads, ist ein Innovationsfondsprojekt und wird bereits in verschiedenen klinischen Studien angewandt. Das Unternehmen sieht sich, und wir sehen das auch so, als gutes Beispiel für ein Medizinprodukt, das auf der künftigen BfArM-Liste der erstattbaren digitalen Therapien stehen könnte, auch weil die geforderte gesundheitsfördernde Evidenz zumindest teilweise bereits vorliegt. Insgesamt glaube ich sehr stark an den Digital-Therapeutics-Markt, bin aber sehr gespannt, wer am Ende wirklich eine Evidenz für den positiven Nutzennachweis erbringen können wird.


Zumal ja noch nicht wirklich klar ist, was die genauen Kriterien für eine solche Evidenz sind.
Da wird ja noch eine Verordnung kommen, die das konkretisiert. Aber klar, das ist eine der entscheidenden ­Fragen. Eine andere Frage, die wir uns auch noch stellen, ist, wie genau die Prozesse aussehen sollen, über die gelistete Anwendungen dann in den Markt kommen. Müssen sich Digital-Health-Unternehmen zu einer Art digitalem Pharmaunternehmen wandeln und einen Außendienst aufbauen? Die Frage stellt sich spätestens bei Anwendungen, die nicht nur ein paar wenige Ärzte betreffen: Wie erfahren die Ärzte von diesen Anwendungen, und wie genau läuft das dann ab mit der „App auf Rezept“? Wie wird damit umgegangen, dass digitale Medizinprodukte keinen Patentschutz im klassischen Sinne haben? Das ist aus unserer Sicht bisher noch ziemlich unklar.


Was die Finanzierung angeht ist die DVG-Idee, dass es bei fehlender Evidenz ein Probejahr zu Herstellerpreisen gibt, und dass es dann bei erfolgreicher Erprobung einen Schiedsstellenpreis gibt, den die Verbände von Krankenkassen und Herstellerverbände verhandeln. Wird das funktionieren?
Ich bin sehr gespannt. Es heißt ja immer, dass es angelehnt sei an den AMNOG-Prozess, aber so ganz analog ist der Prozess dann ja auch wieder nicht. Interessant wird unter anderem, was die Hersteller im ersten Jahr für Preise aufrufen werden. Die müssen sicher höher sein als übliche Freemium-Preise von Consumer Apps. Andererseits sind die Grenzkosten von digitalen Produkten überschaubar, sodass zumindest bei großen Indikationen die Preise wahrscheinlich nicht durch die Decke gehen. Nichtsdestotrotz müssen Produkte – insbesondere digitale Produkte – upgedated, also dauerhaft weiterentwickelt und angepasst werden. Ich bin gespannt, wie das alles eingepreist wird und ob das dann wirklich noch Geschäftsmodelle sind, die für Early-Stage-Investoren einen Investment Case darstellen. Das sind sicher nicht klassische Hockey-Stick-Geschäftsmodelle, wie wir sie aus dem E-Commerce kennen. Trotzdem: Ich bin momentan sehr optimistisch.


Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz.