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Und jetzt, DiGA?

Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es nun die „Apps auf Rezept“, die uns in Sachen Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter voranbringen sollten. Besonders schnell kommen sie nicht vom Fleck, das gilt vor allem auch für DiGA, die Schnittstellen für Wearables und Medizingeräte implementiert haben. Hier fehlt es unter anderem an Anreizen für die Hersteller, und die Standardisierungslandschaft will auch erst einmal durchdrungen werden.

Bild: © elenabsl – stock.adobe.com; 206357179, Stand.-Liz.

So richtig angekommen scheinen die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) im deutschen Gesundheitswesen noch nicht. Noch immer sind viele Ärzt:innen bei der Verschreibung zurückhaltend, doch immerhin gibt es einen Aufwärtstrend. Das zeigt ein Bericht, den der GKV-Spitzenverband veröffentlicht hat. Darin wird eine erste Bilanz zur Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen gezogen. Insgesamt wurden in dem Berichtszeitraum vom 1.9.2020 bis 30.9.2021 rund 50 000 DiGA ärztlich verordnet oder von den Krankenkassen genehmigt.


Die GKV zeigt sich trotzdem nicht zufrieden, denn nur knapp 80 Prozent der Apps wurden auch aktiviert. Auffällig ist zudem, dass drei Viertel der Anwendungen die dauerhafte Aufnahme in das BfArM-Verzeichnis noch nicht geschafft haben und nur vorläufig gelistet wurden. Der Grund: Sie haben innerhalb eines Jahres noch keine positiven Versorgungseffekte nachgewiesen. Die Bedingungen, unter denen die DiGA in den gesetzlichen Leistungskatalog integriert sind, legten zu wenig Wert auf den positiven Versorgungsnutzen für die Patient:innen und außerdem führten sie zu überhöhten Preisen, kritisiert der GKV-Verband und fordert ein Update der Gesetzeslage.


Neben den viel diskutierten Themen Nutzennachweis und Preisgestaltung ist das Thema DiGA-Schnittstellen ein weiteres heißes Eisen. Hersteller scheinen aus Wettbewerbsgründen häufig zu zögern, Daten herauszugeben, und das gilt auch für Schnittstellen. Die Regulatorik hat jedoch DiGA mit hohen Anwenderzahlen im Blick, Stichwort chronische Erkrankungen, und bei diesen Apps sind Schnittstellen zwingend notwendig, u.a. damit die zahlreichen existierenden Devices und Wearables verbunden werden können. Entsprechend stellt sich die Frage, ob die Regularien nicht den Anreiz für Hersteller, solche Schnittstellen anzubieten, erhöhen sollten. Perspektivisch ist obendrein denkbar, dass für die von der GKV als Hilfsmittel finanzierten Medizingeräte umgekehrt DiGA-Schnittstellen vorgeschrieben werden.


DiGA und Hardware: Ab in die Cloud?
Dass zu einer DIGA auch Hardware gehören kann, etwa Sensoren, Geräte oder eben Wearables, das ist im Gesetz prinzipiell so vorgesehen. Voraussetzung ist, dass die Hauptfunktion digital abläuft und dass es sich bei der Hardware nicht um privat zu finanzierende Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie z. B. Turnmatten o. ä. handelt, die zur Umsetzung der durch die DiGA angeleiteten Übungen notwendig ist.


Ein Beispiel für eine DiGA-Anbindung eines Personal Health Devices ist die App ESYSTA von Emperra, eine Diabetes-Care-Lösung. Die App bindet einen Insulin-Pen und ein Blutzuckermessgerät über eine Profilierung eines Standards an. So können die Hersteller anderen Herstellern die Möglichkeit geben, sich beispielsweise mit eigenen Insulin-Pens an die DiGA anzubinden. Der größte Teil der im BfArM-Verzeichnis gelisteten DiGA zielt jedoch nicht auf Personal Health Devices ab, sondern auf Wearables. Neben dem iPhone sind Wearables der größte Absatzmarkt für den Apple-Konzern – Tendenz steigend. Nicht nur die jüngere Generation nutzt Wearables, auch ältere Patient:innen sind längst zu einer neuen, für Hersteller interessanten Kundengruppe geworden.


Wearables bewegen sich in einem internationalen Wachstumsmarkt mit weltweit operierenden Unternehmen wie Apple oder Google. Diese Großkonzerne treiben deren Weiterentwicklung voran. Die Wearables werden komplexer, können mehr Funktionen ausführen und immer mehr Messwerte ermitteln. Angesichts dieser Entwicklungen plädiert Prof. Dr. Daniel Fürstenau, Assistant Professor an der Copenhagen Business School im Bereich Digitalisierung und Forscher am Institut für Medizinische Informatik an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, für eine Ergänzung der Regelung der Geräteschnittstelle um Regelungen zum Datenzugang in Hersteller-Clouds. Darüber hinaus bräuchte es eine nationale Standardisierungsstrategie, die sich an internationalen Standards orientiert, so Fürstenau anlässlich eines Workshops zur Schnittstellenproblematik bei DiGA mit Geräten.


Komplexer regulatorischer Rahmen: Die ISO / IEEE-11073-Familie
Um ernsthaft in die Fläche zu kommen, brauchen DiGA die Anbindung an Geräte wie Personal Health Devices und Wearables. Damit bewegen sie sich jedoch in einer komplexen Regelungslandschaft. DiGA fallen gesetzlich unter § 33a und SGB V. Für die Geräteanbindung der Personal Health Devices und Wearables greift § 5 (I), Anlage 2: 3.4a. In der Anlage 2 des Gesetzes ist festgelegt, dass DiGA offengelegte und dokumentierte Profile des ISO / IEEE-11073-Standards unterstützen müssen. Liegt ein solches Profil nicht vor, müssen die Anwendungen eine andere offengelegte und dokumentierte Schnittstelle unterstützen, die im Interoperabilitätsverzeichnis (IOPV) nach § 385 SGB V empfohlen wird.


Sollte dieser Fall auch nicht greifen und geeignete Schnittstellen liegen nicht vor, müssen die DiGA ­andere ­offengelegte und dokumentierte Schnittstellen unterstützen, die entweder im IOPV gelistet sind oder für die vom Hersteller ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Nehmen Hersteller eigene Profilierungen vor, sind sie verpflichtet, diese in einem anerkannten Verzeichnis zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichungspflicht gilt für geeignete Plattformen, die für eine gewisse Qualitätssicherung sorgen. Es handelt sich demnach um eine Regelungskaskade (vom 01.10.2021), die auch alle DiGA betrifft, die vorher schon nach der alten Regelung eine andere Schnittstelle implementiert hatten. Langfristiges Ziel des Gesetzgebers ist die frei kombinierbare Nutzung von Geräten.


Beim Standard ISO/IEEE 11073 handelt es sich nicht etwa um einen einzelnen Standard, sondern um eine Normenfamilie, die bereits seit den 80er-Jahren besteht. Besonders genutzt wird das sogenannte Domain Information Model. Das beschreibt, wie Informationen aus den Geräten zu codieren sind. Von hoher Relevanz im Zusammenhang mit Personal Health Devices ist ein Standard, der ein optimiertes Austauschprotokoll für „einfachere“ Geräte wie Pulsoximeter, Blutdruckmessgeräte oder Thermometer festlegt. Neben den Kernstandards gibt es außerdem Gerätespezifizierungen, die beschreiben, wie die Repräsentation etwa eines Blutdruckmessgeräts zusammenzustellen ist.


Nicht nur müssen Wearables und Personal Health Devices mit IT kommunizieren. Es gibt auch strukturelle Interoperabilitätslücken zwischen den Kommunikationsarchitekturen für medizinische Geräte einerseits und klinischen Informationssystemen andererseits. Diese zu schließen, gibt es HL7 FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources). Der Vorteil von FHIR: Das Mapping von Medizinproduktdaten von ISO/IEEE 11073 auf FHIR ist ein wichtiger Faktor für die herstellerunabhängige Interoperabilität und umgeht damit Datenverluste. Ein künftiges Anwendungsszenario wäre die Implementation von FHIR-Servern als klinische Repositorien.


Pi mal Daumen Implementierung reicht nicht
Dr.-Ing. Stefan Schlichting, Senior Manager der UNITY AG, erklärte im selben Workshop die Notwendigkeit, bei der Beschreibung der verwendeten Standards aus der Normfamilie genau zu sein. Als Beispiel verweist er auf das Patientenmonitoring, bei dem es ähnliche Geräte, aber mit unterschiedlichen Einsatzzwecken und anders­artiger Komplexität gibt. So kann im akutmedizinischen Umfeld ein Multi-Parameter-Patientenmonitor zum ­Einsatz kommen, wohingegen im ­häuslichen ein Pulsoximeter reicht. Für solche Einsatzszenarien gebe es verschiedene 11073-Zweige in der Normfamilie, die sich mit der Kommunikation der Daten beschäftigen. Im Zusammenspiel mit HL7 FHIR sind somit komplementäre Standards für die jeweils unterschiedlichen Einsatzzwecke vorhanden, wobei die 11073-Norm eingesetzt wird, um die Geräteschnittstelle zu kommunizieren. HL7 hingegen wird für den Austausch der Softwaresysteme gebraucht. „Darum sollte man, wenn man in offiziellen Dokumenten auf die 11073-Standardfamilie verweist, auch dazusagen, welchen genau man meint“, so der IT-Experte. Die Standards aus der Normfamilie funktionieren also unterschiedlich, verwenden lediglich die gleiche Nomenklatur.


Schlichting wies darauf hin, dass die Anzahl der Geräte im Markt, die momentan IEEE 11073 für Personal Health Devices als Schnittstelle unterstützen, derzeit noch sehr gering ist. Hintergrund ist, dass es kaum Anreize gibt, geschweige denn eine Zwangsregelung, einen Interoperabilitätsstandard auf Devices umzusetzen. Tun es Hersteller dennoch, ist die Entscheidung im Wesentlichen durch geschäftliche Überlegungen getrieben. Schlichtings Fazit: Um Geräte heute in eine DiGA einzubinden, muss die App die Daten entweder über die standardisierte Cloud-Schnittstelle des Herstellers beziehen oder über eine pro­prietäre Schnittstelle. DiGA, die „Live-Daten“ senden oder gar die Gerätekontrolle übernehmen sollen, sind momentan nur proprietär umsetzbar.


Sicher ist, dass sich DiGA künftig in deutlich komplexeren Interoperabilitätslandschaften bewegen werden. Darin sind Geräte über verschiedene Clouds der Hersteller, teilweise mit Middelware-Lösungen, verbunden. Diese Lösungen werden wiederum an DiGA Daten übermitteln, in algorithmischer Form verarbeiten, zusammenfassen und möglicherweise sogar Geräte steuern. Anschließend können die Daten in verschiedenen Aggregatformen extrahiert und wiederum in Repositories übertragen werden. In diesem Zusammenhang werden Datentreuhänder, Datenpools und -spenden zur datengetriebenen Versorgungsforschung wichtige Themen im Gesundheitswesen werden. Die DIGA stehen also noch am Anfang – mit Blick auf eine spannende Zukunft.

 

Digitale Anwendungen in der Hypertonie
Bisher gibt es nicht eine einzige DiGA für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Hypertonie. Woran liegt das? Ein Grund dafür liegt in den hohen Hürden, die eine DiGA überwinden muss, um im BfArM-Verzeichnis gelistet zu werden. Das Bundesamt hatte in den letzten Monaten die Anforderungen noch einmal verschärft. Das bewegt Hersteller nicht selten dazu, auf privat verkäufliche Gesundheits-Apps zu setzen, anstatt auf rezeptierbare. Hinzu kommt, dass die Therapiehoheit immer noch bei den Ärzt:innen liegt und diese bei der Verschreibung von DiGA immer noch zögern, weil sie sich digital überfordert fühlen.

Und ein weiteres Problem stellt sich für die Hersteller: Der Validierungsdruck für die DiGA ist hoch. Geht es bei einer App z. B. nur darum, die Gesundheitskompetenz oder die Adhärenz zu erhöhen, muss dies auch validiert werden. In der Regel erfolgt das mittels Fragebögen, die zum Teil auch schon vorhanden sind. Allerdings gibt es diese für den Hypertonie-Bereich nur auf Englisch. Sorgen die Unternehmen für eine Übersetzung oder werden die Fragebögen anders angepasst, müssen diese wiederum validiert werden. Diese und andere Faktoren verkomplizieren das Verfahren und erhöhen die Entwicklungskosten für die DiGA enorm. Reinholen können die Hersteller diese Kosten nur, wenn sie die Anwendungen über die Masse an die Patient:innen bringen. Aber auch hier gibt es Hindernisse. Denn das Bekanntmachen über die Ärzt:innen kostet wiederum und ist aufwendig. Eine Alternative, auf die sich die Unternehmen einstellen sollten, besteht darin, Patient:innen mit ihren Produkten so vertraut zu machen, dass diese die Verordnung bei ihren Ärzt:innen einfordern. Hier sehen Experten einen vielversprechenden Weg für die künftige Vermarktung von DiGA.