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Vernetzung |

Connected Devices bei Long und Post COVID

Auch wenn die Corona-Pandemie ihren größten Schrecken verloren hat, ihre Folgen werden uns noch lange begleiten. Eine davon: Long bzw. Post COVID, das sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft viel Leid verursacht. Wie können digitale Technologien und speziell vernetzte Medizinprodukte dazu beitragen, die Herausforderungen zu meistern?

Bild: © ymgerman – stock.adobe.com, 387083939, Stand.-Liz.

Nach über zweijähriger Pandemie ist die Furcht der Patient:innen vor einer akuten Infektion mit COVID-19 kaum noch mit der der Jahre zuvor vergleichbar. Viele haben bereits eine Infektion erfolgreich überstanden, die Verläufe werden im überwiegenden Teil der Fälle nur noch als mild klassifiziert.


Doch sind nicht alle mit der Pandemie verbundenen Risiken bereits überwunden. So schätzt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, dass circa zehn Prozent der an COVID-19 erkrankten Patient:innen im weiteren Verlauf mit Langzeitfolgen zu kämpfen haben. Unterscheiden lassen sich „Long ­COVID“, bei mehr als vier Wochen nach Infektion auftretenden oder anhaltenden, langfristigen Beschwerden, und „Post COVID“, welches Beschwerden beschreibt, die nach über zwölf Wochen in Folge der Infektion auftreten oder anhalten. Diese können mit unterschiedlich ausgeprägter Intensität über viele Tage, Wochen oder Monate vorliegen und bis hin zur langfristigen Arbeitsunfähigkeit führen.


Gesundheitssystem unter Stress

Diese Folgen sind nicht nur für Unternehmen spürbar, denen wichtige Mitarbeiter:innen fehlen, sondern tragen auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu akutem Personalmangel bei, stellen Ärzt:innen und Gesundheitssystem vor bislang noch weitgehend unbekannte Herausforderungen, verursachen beträchtliche Belastungen der Kostenträger und bedeuten vor allem für die Betroffenen in ihrem Verlauf nicht kalkulierbare Einschränkungen, die Lebensführung und -perspektiven massiv beeinträchtigen können. Ärzt:innen und Kliniken, die sich auf derartige Krankheitsbilder spezialisiert haben, wiesen daher selbst im Sommer monatelange Wartelisten auf.


Weitere Optionen zur Behandlung und Begleitung der Betroffenen sind aufgrund des Problemdrucks und der hohen Fallzahlen erstrebenswert. Neben dem quantitativ steigenden Behandlungsbedarf ist auch die Situation für die behandelnden Ärzt:innen hinsichtlich gesicherter Diagnostik und der Bewertung der infrage kommenden therapeutischen Maßnahmen sowie zu erwartenden Krankheitsverläufen noch unbefriedigend. Obwohl sich einige Behandlungsansätze bereits als erfolgreich erwiesen und sich mittlerweile charakteristische Bilder von Symptomen und Verlauf abzeichnen, bleibt die Informationslage insgesamt noch ungenügend. Zwar weisen die neuen Krankheitsbilder Parallelen zur sogenannten „Chronic Fatigue“ auf, weitere intensive Forschung und gezielte Datenerhebung ist jedoch erforderlich, um verlässliche Aussagen über Zusammenhänge von Ursachen, Symptomatik und geeigneten Therapieformen treffen zu können.


Digitale Technologien im Long-Covid-Kontext
Einige der hierzu erforderlichen Daten und Informationen lassen sich aufgrund ihrer Charakteristik verhältnismäßig einfach unter Einbeziehung der Patient:innen und Nutzung digitaler Technologien erfassen. Insbesondere digitale und vernetzte Nutzerendgeräte, sogenannte „Connected Devices“, auch „Wearables“ genannt, könnten angesichts ihrer Verbreitung und Zugänglichkeit gänzlich neue Möglichkeiten eröffnen und ihre Charakteristiken und Vorzüge dabei voll zum Einsatz bringen. Die Vielzahl an persönlichen Geräten wie Smartphones, Smartwatches oder auch Smart Speakern in Haushalten der Patient:innen, die hierbei hilfreich sein können, eröffnet kurzfristig zugängliche, kostengünstige und niederschwellige Per­spektiven für Ansätze, den aktuellen Herausforderungen zu begegnen.


So ist etwa eine App denkbar, die Daten aus verschiedenen Quellen direkt im Patientenalltag erfasst und durch Kombination und Aufbereitung dieser Daten und Informationen einen Mehrwert für alle Beteiligten erzielen lässt. Als neuer und unmittelbarer Kommunikationsweg kann diese App auch Erkenntnisse für die Behandelnden, Forschenden oder auch Patient:innen nutzbar machen. Hierbei ist von Vorteil, dass zunächst auf existierender Infrastruktur und vorhandenen Geräten aufgesetzt werden kann. Es ist anzunehmen, dass der Großteil der Betroffenen bereits Zugang zu einem nutzbaren Device besitzt.


Geräte in Form einer Smartwatch sammeln beispielsweise bereits heute stetig Daten über die Blutsauerstoffsättigung oder den Ruhepuls, welche an Smartphones übertragen werden und ebenfalls für die Diagnostik und Verlaufsbeobachtung bei Long/Post COVID von Relevanz sind. Durch direkte Eingabe in Smartphone-Apps bietet sich zusätzlich die Möglichkeit, weitere wesentliche COVID-Langzeitfolgen wie Beeinträchtigungen psychischer und mentaler Gesundheit zu beobachten und Gegenmaßnahmen zu unterstützen. An Post oder Long COVID Erkrankte zeigen oft kognitive Auffälligkeiten in Konzentrationsvermögen und Gedächtnisleistung. Entsprechende Diagnosen und Verlaufskontrollen können durch gezielten Einsatz am Smartphone durchgeführter Tests erleichtert werden. Patient:innen, die unter COVID-Langzeitfolgen leiden, weisen außerdem durch Einschränkungen und Isolierung im Alltag vermehrt auch psychische Belastungen auf. Hier sind neben der regelmäßigen Aufnahme des aktuellen Befindens z.B. mithilfe gezielter Fragen auch zielgenaue Ratschläge bis hin zur Vermittlung professioneller Hilfe denkbar. Derart ausgerichtete Apps fanden bereits in Forschungsprojekten zu Post und Long COVID und darüber hinaus Anwendung.


Eine Long-COVID App brächte viele Chancen mit sich
Die Bündelung aller bedeutsamen Informationen in einer App würde als Mehrwert ein weitgehend aussagekräftiges Gesamtbild ermöglichen. Dieses kann den behandelnden Ärzt:innen zu Diagnose oder Therapieunterstützung dienen und Ansatzpunkte für langfristige und evidenzbasierte Forschung liefern. Den Patient:innen bietet sich die Möglichkeit, durch kombinierte Auswertung von Daten wie z. B. Vitalwerten aus mehreren Geräten oder die Einbeziehung ergänzender Informationen aus der manuellen Eingabe innerhalb der App zielgerichtete und passgenaue Hinweise bzw. Vorschläge zu Diagnose und Therapie zu erhalten, idealerweise ­ohne dafür für jeden Informationsaustausch zeitintensive Arztbesuche auf sich nehmen zu müssen.


Gerade bei von Long und Post COVID Betroffenen ist dies vorteilhaft, da für sie aufgrund ihres insgesamt geschwächten Gesamtzustands jeder Gang zum Arzt bzw. zur Ärztin äußerst belastend ist. Zielgenaue Abfrage und gegebenenfalls automatisierte Auswertung der erhobenen Daten sowie zeitnahe Erkennung und Anzeige etwaiger Alarmsignale ermöglichen schnelles Eingreifen und engmaschige Betreuung der Patient:innen mit wenig Zeitaufwand.


Perspektivisch erscheint die Anbindung an bzw. Integration in die elek­tronische Patientenakte attraktiv, um gesammelte Informationen in die ganzheitliche Betrachtung des individuellen Patienten bzw. der individuellen Pateintin aufnehmen und so ein bestmögliches Gesamtbild zu Krankheitsverlauf und -status inklusive abgeleiteter Hinweise zur weiteren Therapie erhalten zu können. Die Chancen, die eine solche Lösung mit sich bringen würde, sind unter anderem in der Menge der potenziell erfassbaren Daten begründet. Zum einen ist allein die Zahl der in Betracht kommenden Patient:innen aufgrund der hohen ­COVID-Fallzahlen und prozentual resultierenden Langzeiterkrankungen in ihrer Breite immens; zum anderen ist auch die Tiefe, in der patientenindividuelle Informationen geliefert werden könnten, beachtlich. So sind für jede Patient:in diverse Daten- und Informationsquellen möglich, die durch die direkt in der App eingegebene Information, beispielsweise zur Einschätzung der psychischen Verfassung, ergänzt werden.

 

Dabei können neben Smartwatches auch spezielle Blutdruckmessgeräte sowie weitere, mit dem Smartphone verbundene Komponenten integriert werden, die für das Krankheitsbild Post bzw. Long COVID relevante Informationen erfassen. Umgekehrt kann eine solche App auch in der Unterstützung der Therapie zum Einsatz kommen und dabei helfen, den großen Leidensdruck mindestens als Überbrückung bis zu einem stationären Aufenthalt zu mildern. Mittels aussagekräftiger, im alltäglichen Umfeld der Patient:innen gewonnener Daten können schneller und treffsicherer Diagnosen getroffen, Therapien angeordnet sowie deren Erfolg bewertet werden.


Hohe Bereitschaft, Daten zur Verfügung zu stellen

Insbesondere für die mittel- und langfristige Therapie der großen Zahl von Betroffenen lässt dies positive Effekte erwarten. Folglich verspricht eine solche App Nutzen für behandelnde Ärzt:innen, betroffene Patient:innen und medizinische Forschung bei verhältnismäßig geringen Kosten und niedrigem Aufwand. Dass bestehende Geräte und Infrastruktur genutzt werden können, kann zudem die Hemmschwelle der Nutzung senken und ­Akzeptanz fördern. Begünstigend zu bewerten ist dabei auch, dass weitere, üblicherweise für die Umsetzung ähnlicher Konzepte hinderliche Faktoren im Kontext von Long und Post COVID derzeit eine Neubewertung erfahren: Das starke Schutzbedürfnis bezüglich persönlicher Gesundheitsdaten hatte gerade in Deutschland stets bremsenden Einfluss auf Entwicklungen beispielsweise der Telemedizin.


Im Zusammenhang mit COVID hat sich jedoch bereits eine gesteigerte Bereitschaft gezeigt, freiwillig persönliche Daten zur Verfügung zu stellen, um möglichst schnell wieder an einem normalen Alltag teilhaben zu können. Beobachten ließ sich das beispielsweise anhand der Apps, die zum Besuch von Gastronomie und Veranstaltungen von der Privatwirtschaft entwickelt und von den Nutzern weitgehend akzeptiert wurden. Auch im Zusammenhang mit der Corona-Warn-App sind Nutzer:innen bereits an den Einsatz einer App zum Kampf gegen COVID-19 gewöhnt. Zudem kommt der Einsatz einer App den im Zuge der Pandemie geänderten Kommunikationsgewohnheiten entgegen. Zum Beispiel Videosprechstunden werden in vielen Praxen nach wie vor angeboten, die durch Einbeziehung von per App gelieferten Daten ergänzt werden können.


Nicht nur für Ärzt:innen und Patient:innen, für Diagnose und Therapie erscheint der geschilderte App-Einsatz aus diesen Gründen attraktiv. Auch seitens der Kostenträger eröffnet sich Potenzial für zusätzliche Angebote, die Mitglieder mit Post und Long COVID adressieren, um einerseits die Behandlungen wirksamer zu gestalten, andererseits durch effektivere Kommunikation Kosten zu sparen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere noch einmal die Einbeziehung der elektronischen Patientenakte zu nennen. Ebenso erscheint der Hinweis auf die Notwendigkeit entsprechender regulatorischer und ökonomischer Rahmensetzung durch Gesetzgeber, Ministerien und Einrichtungen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen angebracht. Diese Rahmensetzung sollte die Nutzung von per App gewonnener Daten für die gesundheitsbezogene Forschung einschließen. Insbesondere für kleine und mittlere digitale Unternehmen und Start-ups im Gesundheitsbereich bietet die Entwicklung und Betreuung entsprechender Komponenten neue Entwicklungsperspektiven. Das gemeinschaftliche Vorantreiben der beschriebenen Konzepte eröffnet somit neue Chancen nicht nur für Patient:innen mit Post und Long COVID, sondern für zahlreiche Akteure im Gesundheitsbereich.

 

Autoren

Prof. Dr. Volker Nürnberg
Partner bei BearingPoint Deutschland
Professor für Gesundheitsmanagement an der Allensbach Hochschule
Kontakt: volker.nuernberg(at)bearingpoint.com

 

Alexander Tamdjidi
Partner bei der Management- und Technologieberatung BearingPoint, Digital Health in Life Sciences
Kontakt: alexander.tamdjidi(at)bearingpoint.com