Auf dem falschen Fuß erwischt hat es einige Finanzexpert:innen des deutschen Gesundheitswesens, als die Krankenkassen vor ein paar Tagen ihre finanzielle Jahresbilanz für 2021 vorlegten. Mit einem Defizit war zu rechnen. Dass allerdings das vierte Quartal so stark „reinhauen“ würde, damit hatten dann doch nicht alle gerechnet. Die Ersatzkassen schafften es sogar, ein kleines Plus am Ende des dritten Quartals in ein saftiges Jahresminus von rund einer halben Milliarde Euro zu verwandeln. Das AOK-Lager baute seinen schon bekannten Verlust aus, und auch das überproportional. Insgesamt gehen die Krankenkassen mit einem Defizit von rund 5,7 Milliarden Euro aus dem zweiten Pandemiejahr – trotz eines Rekordzuschusses aus Steuermitteln in Höhe von 19,5 Milliarden Euro.
Aus Sicht von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist das Defizit von 2021 allerdings nicht das Problem. Auch 2022 gilt als weitgehend abgesichert: Der Bundeszuschuss aus Steuergeldern steigt in diesem Jahr auf stolze 28,5 Milliarden Euro, dafür hatte noch die Vorgängerregierung gesorgt, um das Thema aus dem Wahlkampf zu halten. Gravierender aus Sicht der aktuellen Gesundheitspolitik sind jene 17 Milliarden, die voraussichtlich im Jahr 2023 fehlen werden. Hier müssen in den nächsten Monaten Entscheidungen her. Und die dürften schwierig werden, weil Lauterbach sie nicht alleine treffen kann, sondern sie mit einem FDP-Finanzminister und einem grünen Wirtschaftsminister abstimmen muss.
Zumindest ist jetzt klar, um welche Größenordnung es geht. 17 Milliarden Euro entsprächen einem theoretischen Bundeszuschuss von 31 Milliarden, was die Politik mehr oder weniger ausgeschlossen hat. Tatsächlich soll der Zuschuss zurückgefahren werden in Richtung jener 14 Milliarden, die eigentlich Standard sind. Eine reine Finanzierung über Beitragssatzerhöhungen würde den Versichertenbeitrag um mindestens 1,5 Prozentpunkte in die Höhe schnellen lassen – ohne Arbeitgeberanteil wohlgemerkt, denn der ist eingefroren. Auch das gilt als politisch nicht durchsetzbar, was aber nicht heißt, dass nicht eine Teilmenge des Defizits über den Beitragssatz abgefangen werden könnte.
Die meisten anderen Optionen laufen im Endeffekt auf eine Steuerfinanzierung hinaus. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel würde die Krankenkassen deutlich entlasten, aber das Geld fehlt dann bei Christian Lindner. Gleiches gilt für die (längst überfällige) Anpassung der Krankenkassenbeiträge für ALG II-Empfänger. Auch dieses Geld käme aus dem Staatssäckel. Rein auf Kosten der Pharmaindustrie ginge ein weiterer, zusätzlicher Herstellerrabatt, der mit der FDP als kaum machbar gilt. Die AMNOG-Reform hingegen, die ebenfalls auf Kosten der Pharmaindustrie gehen dürfte, ist Bestandteil des Koalitionsvertrags. Die wirkt allerdings nicht kurzfristig, für das Defizit in 2023 ist sie keine Lösung.