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DEMIS? So können wir nicht in den Herbst gehen

Die DEMIS-Anbindung der Krankenhäuser wird vorgezogen und ausgeweitet. „Bis September so nicht machbar“, sagt die DKG – signalisiert aber trotzdem Unterstützung. Pandemie geht alle an.

Bild: © gematik

Die Infektionsschutzgesetz-Novelle, COVID-19-Schutzgesetz oder COVID-19-SchG genannt, hängt über dem Sommer wie eine Gewitterwolke über einem schwülen Nachmittag. Während sich die öffentliche Diskussion auf Masken, Kontaktverbote, Impfzwänge und Home-Office fokussiert, stöhnen die Gesundheits-IT-Branche und der Krankenhaussektor über ein ganz anderes Kapitel dessen, was derzeit als Gesetzentwurf zirkuliert, nämlich jenes zum Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS).

 

Zur Erinnerung: DEMIS wurde lange vor der Pandemie aus der Taufe gehoben, doch an der Umsetzung scheiterte ein Trio Infernale aus Bundesgesundheitsministerium (BMG), federführendem Robert-Koch-Institut (RKI) und Länderregierungen jahrelang kläglich. Mit der Pandemie rückte DEMIS dann schlagartig und wenig überraschend weit nach vorn. Allerdings konzentrierte man sich zunächst auf die DEMIS-Anbindung der Labore an die Gesundheitsämter.

 

Zwar gab es schon früh in der Pandemie (auch laute) Stimmen, die darauf hinwiesen, dass die Krankenhausanbindung ähnlich wichtig ist. So lange aber alles auf die Inzidenz starrte wie das Kaninchen auf die Schlange, drangen diese Mahnungen nicht durch. Mittlerweile interessieren Politik und RKI bekanntlich die Krankenhausdaten deutlich mehr als die Inzidenzen. Entsprechend fiel dann doch irgendwann auf, dass eine DEMIS-Anbindung der Krankenhäuser wichtig ist.

 

Deadline 17. September: Wer verschiebt seinen Urlaub?

So viel zur Vorgeschichte. Was in Berlin in den letzten Wochen dann auch noch aufgefallen ist: Mit der DEMIS-Anbindung der Krankenhäuser scheint es bisher nicht so recht voranzugehen. Nicht einmal 100 von 2000 Häuser seien bisher angebunden, schreibt der Tagesspiegel Background und beruft sich dabei auf das BMG. Dabei muss man berücksichtigen, dass Krankenhäuser auch über die Labors an DEMIS angebunden sein können. Diese Zahl ist höher, aber um die geht es aktuell nicht.

 

Relevant ist das deswegen, weil im Angesicht der befürchteten, kombinierten COVID-Influenza-Welle im Herbst die ursprünglich auf 1. Januar 2023 terminierte Frist für die DEMIS-Anbindung der Krankenhäuser im Rahmen des COVID-19-SchG auf den 17. September 2022 vorverlegt wird. Kleine Hausaufgabe für die Sommerferien, quasi. Warum 17. September? Es ist der Tag, an dem das „neue“ Infektionsschutzgesetz in Kraft treten wird. Am 16. September ist die finale Beratung im Bundesrat. Zusätzlich sollen qua Gesetzentwurf jetzt nicht mehr nur die Sars-CoV-2 Hospitalisierungsinzidenzen übermittelt werden, sondern auch noch die belegten und die betreibbaren Betten.

 

So weit, so nachvollziehbar. Auch bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) stößt das allerdings etwas ad hoc kommunizierte Vorhaben des BMG prinzipiell auf Verständnis: „Die Pandemie geht uns alle an, und deswegen werden wir als Verband unser Möglichstes tun, das zu unterstützen. So wie es im ersten Entwurf vorgesehen ist, wird es allerdings nicht technisch unterstützt funktionieren. Krankenhäuser werden die Daten für Meldungen zunächst wohl händisch sammeln müssen“, sagte Markus Holzbrecher-Morys, Geschäftsführer IT, Datenaustausch & eHealth bei der DKG im Gespräch mit E-HEALTH-COM.

 

Nicht so komfortabel: Der Komfort-Client

Ungelöst ist die DEMIS-Anbindung der Primärsysteme, also der Krankenhausinformationssysteme: „Die wird es bis September nicht geben, das ist illusorisch“, so Holzbrecher-Morys. Im Vordergrund steht deswegen aktuell die Anbindung über den sogenannten Komfort-Client des RKI – eine Stand-alone-Software, die in der aktuellen Version aber noch nicht mit den Thin-Client-Landschaften der meisten Krankenhäuser kompatibel ist. Das soll erst mit einem Update kommen.  Außerdem kann der Komfort-Client zwar mit SMC-B-Zertifikat über die Telematikinfrastruktur genutzt werden. Eine direkte Anbindung der Krankenhausprimärsysteme über FHIR-Schnittstelle erfordert aber ein separates Zertifikat, das beim RKI erhältlich ist, hier wird die SMC-B nicht genutzt, sondern eher ein Szenario, das an jene erinnert, die mit der TI 2.0 kommen sollen. Alles nicht unlösbar, und alles auch nebeneinander betreibbar, aber doch umständlicher als vielleicht nötig.


Hauptproblem des „Komfort“-Clients ist aber die fehlende Anbindung an die Primärsysteme: Wo eine direkte FHIR-Übertragung aus welchen Gründen auch immer keine Option ist, müssen die Daten – darunter qua neuem Infektionsschutzgesetz nicht nur die Hospitalisierungsinzidenz von COVID-19, sondern auch die normalen IfSG-Meldungen – morgens händisch aus den Informationssystemen des Krankenhauses eingesammelt und dann manuell in den Client eingegeben werden. „Mittlerweile gibt es erste zarte Unterstützungsversuche, damit zumindest Patientenstammdaten automatisch übernommen werden können. Aber die Industrie ist derzeit einfach völlig ausgelastet“, so Holzbrecher-Morys.

 

Druck rausnehmen könnte helfen

Tatsächlich betrifft das Thema Auslastung beide Seiten, die Hersteller wie die Krankenhäuser, deren IT-Abteilungen genauso an Grenzen stoßen wie die Entwicklungsabteilungen der Industrie. Der Grund dafür ist in einem wahren Projekt-Tsunami zu suchen, der als Folge der Jens Spahn’schen Gesetze durch die Krankenhaus-IT-Welt weht. Neben dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), bei dem aktuell die Umsetzungsphase läuft, sind insbesondere die Hersteller derzeit stark mit den ISiK-Zertifizierungen beschäftigt, die bei der gematik angesiedelt sind und die auf bessere Interoperabilität zielen. „Das ist ein richtiges und wichtiges Projekt“, betont Holzbrecher-Morys, „aber es macht für die Hersteller relativ viel Aufwand. Vielleicht kann man hier Fristen entzerren und Sanktionen pausieren. Es ist einfach so: Wenn man vorne immer neue Projekte aufhäuft, dann muss hinten auch mal Druck weggenommen werden, sonst geht es irgendwann nicht mehr.“

 

Für die Krankenhäuser will die DKG neben diesen besseren Rahmenbedingungen im laufenden Gesetzesverfahren vor allem erreichen, dass die Sanktionierung bei nicht termingerechter Umsetzung der DEMIS-Meldungen wegfällt. Die Sanktionen – bis zu mehrere 10.000 Euro – waren ursprünglich für die Frist 1. Januar 2023 vorgesehen. Im Moment sind sie im neuen Entwurf mit Frist 17. September 2022 unverändert enthalten. Angesichts der enormen Fristverkürzung sei das nicht auf keinen Fall akzeptabel, so Holzbrecher-Morys.

 

Betreibbare Betten: Euer Ernst?

Das zweite Thema, das den Krankenhäusern auf den Nägeln brennt, ist die Meldung der betreibbaren Betten. Diese Größe macht für das Pandemiemanagement prinzipiell Sinn. Es gibt sie nur bisher nicht, sie müsste erst einmal definiert werden. Aber auch wenn sie definiert würde, wäre es eine schwer umsetzbare Größe: Sie müsste tagesaktuell unter Berücksichtigung der pflegerischen und ärztlichen Personalsituation sowie der Verfügbarkeit von Betten und Technik ermittelt werden: „Wenn das automatisiert werden soll, dann braucht es eine Integration von Bettenplanung, Technikplanung und Personalplanung. Das geben die IT-Systeme auf absehbare Zeit nicht her.“

 

In diesem Punkt appelliert die DKG deswegen an die Politik, einen Schritt zurückzugehen, zu den so genannten aufgestellten Betten, die nur einmal jährlich übermittelt werden. „Die aufgestellten Betten sind genauer als die Planbetten, genau genug. Die zusätzliche Genauigkeit, die die betreibbaren Betten bringen würden, steht aus unserer Sicht in keinem Verhältnis zum Aufwand“, so Holzbrecher-Morys zu E-HEALTH-COM. Ohne IT-Unterstützung würde eine tägliche Meldung der betreibbaren Betten bedeuten, dass eine Person allmorgendlich alle Stationen abtelefonieren muss, um die aktuelle Personal- und Bettensituation zu erfragen. 

 

Melde(un)wesen bleibt auch im Jahr drei der Pandemie ein Riesenproblem

Insgesamt herrscht beim Thema digitale Anbindung der Krankenhäuser für ein besseres Pandemiemanagement zweieinhalb Jahre nach Pandemiebeginn also immer noch gepflegtes Chaos. Was etwas aussagt über das deutsche Gesundheitswesen und den gesundheitspolitischen Föderalismus. Der enorme Druck in Richtung „unserer“ Herbststrategie, an deren Erfolg oder Misserfolg zu allem Überfluss auch noch für den Gesundheitsminister Karl Lauterbach persönlich einiges hängt, macht die Sache nicht leichter.

 

DEMIS ist ja auch nicht die einzige Datenautobahn, auf der die Krankenhäuser in Sachen Pandemie fahren müssen. Das Intensivregister nutzt im Backend zwar auch IT des RKI. Es ist aber von DEMIS separat. Das könnte, es sollte, eigentlich muss es sich irgendwann ändern. Aber im Moment scheint sich niemand die Finger damit verbrennen zu wollen, das Intensivregister auf DEMIS zu hieven, oder vielleicht fehlen auch schlicht die Ressourcen. Die Meldungen an die Regierungen der Bundesländer, die viele jener Daten heute schon erhalten, die künftig über DEMIS auch bundesweit „eingesammelt“ werden sollen, nutzen noch einmal andere Übertragungssysteme, die sich zu allem Überfluss auch noch von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Nichts Neues im föderalen Deutschland, kurz gesagt.

 

Anmerkung: Der Text wurde an zwei Stellen geändert. In der ursprünglichen Version hieß es, der Komfort-Client nutze keine SMC-B. Das war falsch. Außerdem war an einer Stelle suggeriert worden, dass DEMIS instabil sei. Auch das war nicht korrekt.