Verliert das deutsche Gesundheitssystem den Anschluss an die moderne Technik? Während künstliche Intelligenz (KI) in anderen Ländern schon erfolgreich zur Interpretation von Röntgen-, CT- oder MRT-Bildern genutzt wird, stehen deutsche Mediziner vor einer unüberwindbaren Hürde: Sowohl die gesetzlichen als auch die privaten Krankenkassen vergüten KI-gestützte Diagnosen nicht. „Dementsprechend kommt diese Technologie hierzulande in vielen radiologischen Praxen nicht zum Einsatz. Dadurch verlieren wir den Anschluss an Innovationen, die wir dringend benötigen, um die Radiologie zu entlasten und die weitere Versorgung von Patienten sicherzustellen. Denn vielerorts warten Patienten inzwischen monatelang auf ihre MRT- oder CT-Termine“, erklärt Prof. Dr. Stephan Schmitz, Facharzt für Radiologie und führendes Mitglied der Radiologie Initiative Bayern.
Diagnose durch Mensch und Maschine
KI-Technologien können bereits große Mengen radiologischer Daten präzise und effizient analysieren. Schon heute halten sie in der Diagnose verschiedener Erkrankungen mit dem Menschen mit. „Bei der Erkennung von Multipler Sklerose kann die KI die kleinen weißen Entzündungsherde im MRT bereits so gut identifizieren wie das menschliche Auge. Außerdem ist sie schon zuverlässiger darin, ihre Größe auszumessen, was sehr wichtig ist, um zu entscheiden, ob die Therapie noch wirkt. Auch Knochenbrüche und Lungenkrebs identifiziert sie bereits sehr gut“, weiß Prof. Dr. Schmitz. Beim Brustkrebs-Screening erkennt die KI ebenfalls schon sehr zutreffend, ob ein Normalbefund vorliegt. „Sobald sie Abweichungen von der Norm erkennt, muss jedoch ein Radiologe zur genaueren Betrachtung hinzugezogen werden. Menschliches Urteilsvermögen ist essenziell, um die Ergebnisse der KI-Analysen verantwortungsvoll zu bewerten und diese anschließend auch dem Patienten zu erklären. Die letzte Entscheidung trifft noch immer der Mensch“, erklärt Prof. Dr. Schmitz.
Entlastung für das Gesundheitssystem
Aufgrund der starken Überbelastung sind Radiologen inzwischen auf die Unterstützung von KI angewiesen: Durch den technologischen Fortschritt hat sich die Zahl der Bilder pro Patient in den letzten 15 Jahren verzehnfacht, außerdem sind die Bilder immer detailreicher geworden. Zusätzlich sorgt der demografische Wandel für immer mehr Patienten, bei denen die Diagnose aufgrund des höheren Alters und der meist damit einhergehenden umfangreichen Krankengeschichte entsprechend länger dauert. „Die steigende Menge an Arbeit in der Radiologie ist ohne künstliche Intelligenz kaum noch zu bewältigen – auch im Hinblick auf den Personalmangel. Deshalb müssen wir KI so einsetzen, dass sie Radiologen Arbeit abnimmt und Bildinterpretationen erleichtert“, berichtet Prof. Dr. Tobias Saam, Facharzt für Radiologie und Vorsitzender der Radiologie Initiative Bayern.
Positives Kosten-Nutzen-Verhältnis
Die KI-Bildanalyse entlastet nicht nur den Radiologen, sondern ist auch aus ökonomischer Sicht attraktiv. Durch frühere und präzisere Diagnosen kann sie viele Folgekosten verhindern, die entstehen, wenn Krankheiten erst später erkannt werden. Der Einsatz von KI ist zwar langfristig günstiger, aber nicht kostenlos: Je nach Verfahren liegen die Kosten pro Analyse im zwei- bis dreistelligen Eurobereich. Doch weder die gesetzliche Krankenversicherung noch die private Krankenversicherung in Deutschland sehen bislang eine angemessene Vergütungsmöglichkeit für diese Technik vor. Während bei gesetzlich versicherten Patienten gar keine Kostenübernahme der Krankenkassen für KI-Diagnosen existiert, gibt es bei Privatpatienten einen „Zuschlag für computergesteuerte Analysen“, der zuletzt in den 90er-Jahren angepasst wurde und nicht die Realität abbildet. „Wir fordern die Politik dringend dazu auf, neue Abrechnungsmöglichkeiten für KI-basierte Diagnostik zu schaffen. Die Weichen für die Zukunft müssen jetzt gestellt werden – im Interesse der Patienten und einer modernen Gesundheitsversorgung“, appellieren Prof. Dr. Schmitz und Prof. Dr. Saam.
Weitere Informationen unter www.radiologie-initiative-bayern.de
Quelle: Radiologie Initiative Bayern