Die herkömmliche Behandlung des Typ-2-Diabetes orientiert sich meist am HbA1c-Wert, der den durchschnittlichen Blutzucker der letzten 3 Monate widerspiegelt. Dieser Wert berücksichtigt jedoch nicht, wie unterschiedlich der Stoffwechsel bei verschiedenen Betroffenen tatsächlich funktioniert – etwa in Bezug auf die Insulinempfindlichkeit, die Insulinproduktion oder die Fettverteilung. In der prämierten Studie nutzt Dr. med. Martin Schön für einen neu entwickelten Algorithmus neun klinisch leicht messbare Variable aus der Routinediagnostik.
Die Daten zur Validierung stammen aus 2 großen deutschen Studien – der prospektiven Deutschen Diabetes-Studie und der LURIC-Kohorte – und umfassen mehr als 1.000 Patientinnen und Patienten. Ziel war es, die sogenannte phänotypische Heterogenität des Typ-2-Diabetes sichtbar zu machen, also die Vielfalt der Stoffwechselprofile, die sich hinter der Diagnose verbergen.
Grafische Darstellung zeigt Stoffwechseltypen und Komplikationsrisiken
Mithilfe des Algorithmus konnten die Forschenden die Patientinnen und Patienten in Untergruppen mit spezifischen Stoffwechselmustern einteilen. Die Ergebnisse wurden anschaulich in einem Baumdiagramm dargestellt. Dabei zeigte sich: Menschen mit stark verminderter Insulinproduktion haben ein höheres Risiko für Nervenschäden, die Notwendigkeit einer Insulin-Therapie und das diabetische Fußsyndrom. Menschen mit ausgeprägter Insulinresistenz litten dagegen häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleber, Nierenschäden und Depressionen. Darüber hinaus zeigten sich Unterschiede im Entzündungsprofil und in der Fettverteilung (viszerales vs. subkutanes Fett) – alles Faktoren, die eng mit dem Risiko für schwerwiegende Folgeerkrankungen wie Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen zusammenhängen.
Algorithmus bereits als Online-Tool frei zugänglich
Der Algorithmus ermöglicht es erstmals, ohne aufwändige Spezialuntersuchungen verschiedene Risikoprofile für Typ-2-Diabetes zu identifizieren und steht bereits als Online-Tool frei zur Verfügung. Die Ergebnisse der Klassifikation können helfen, Behandlungen individueller auszurichten, Risikopersonen frühzeitig zu erkennen und Komplikationen gezielt vorzubeugen. „Die Arbeit zeigt eindrucksvoll, wie moderne Datenanalysen und klinisch leicht verfügbare Parameter zu einer vorausschauenden, präventiven Medizin beitragen können“, sagt Prof. Dr. med. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM. „Statt nur Symptome zu behandeln, steht hier das individuelle Risiko im Mittelpunkt – ein zentraler Schritt in Richtung Präzisionsmedizin für Volkskrankheiten“, ergänzt Prof. Dr. med. Stefan Frantz, Vorsitzender der DSIM.
Zur Person
Dr. Martin Schön studierte Medizin in Bratislava, Slowakei. Seit 2020 forscht er am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Robert Wagner. Seine Arbeit verbindet klinische Expertise mit innovativer Datenanalyse und trägt dazu bei, Prävention und Therapie von Stoffwechselerkrankungen gezielter und nachhaltiger zu gestalten.
Preisverleihung im Rahmen des 131. Internistenkongresses
Die Verleihung des Präventionspreises der DGIM und der DSIM fand im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung des 131. Internistenkongresses in Wiesbaden statt. Der Preis wird jährlich für herausragende wissenschaftliche Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum vergeben, die einen Beitrag zur Prävention internistischer Erkrankungen leisten.
Prämierte Publikation
Schön, M., Prystupa, K., Mori, T., et al. (2023). Analysis of type 2 diabetes heterogeneity with a tree-like representation: Insights from the prospective German Diabetes Study and the LURIC cohort. The Lancet Diabetes & Endocrinology. https://doi.org/10.1016/S2213-8587(23)00329-7
Quelle: DGIM