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Digitales Gesundheitswesen: „Weitestgehend nicht da“

Anderer Stil, ähnliches Ziel: Der Bundesgesundheitsminister will dem Gesundheitswesen im Frühjahr eine Digital-Kur verpassen. Im Fokus sind die Krankenhäuser, die derzeit eine Heilung für den Morbus SAP suchen.

Bild: © BMG / Thomas Ecke

Schon bemerkenswert, was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich bei der gemeinsam von Wirtschaftswoche, Handelsblatt, Zeit und Tagesspiegel ausgerichteten Konferenz „Europe 2023“ zum Thema Digitalisierung referierte. So gab er vergleichsweise konkrete Ausblicke auf das, was in den kommenden Wochen von seinem Ministerium in Sachen Digitalisierung zu erwarten ist.

 

Gesundheitssystem vor einem digitalen März

Zwei „große Gesetze“ sollen es werden plus die lange angekündigte Strategie, die „ich nehme an Anfang März“ vorgestellt werden sollen. (Wobei nicht abschließend klar wurde, ob er sich bei „ich nehme an Anfang März“ nur auf die Strategie oder auf das Gesamtpaket aus Strategie und begleitenden Gesetzen bezog.) Die Opt-Out-ePA, so viel nicht überraschend, soll Dreh- und Angelpunkt der künftigen digitalen Versorgungslandschaft werden. Und sie soll so gestaltet sein, dass Befunde und andere Versorgungsdokumente dort als Regelfall automatisch auftauchen.

 

Hinter allem steckt eine völlig nachvollziehbare, fundamentale Unzufriedenheit mit dem Stand der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen:

„Das deutsche Gesundheitssystem könnte in Versorgung und auch Forschung deutlich besser sein, wenn es eine gelungene Digitalisierung gäbe. Wir haben viele Jahre lang ehrgeizig gesprochen, es ist aber nicht viel passiert. Wenn wir schauen, wo wir jetzt stehen: bestürzend. Die elektronische Patientenakte ist weitestgehend nicht da. Es gibt keine Anwendungen. Es gibt keine wirklich gut funktionierenden Krankenhausinformationssysteme. Wir haben große Probleme an allen Ecken und Enden.“

               (Karl Lauterbach)

 

Die Sache mit den Krankenhäusern

Mit Ausnahme des konkreten März-Ausblicks hat der Minister das so oder ähnlich an anderen Stellen schon gesagt. Interessant wurde es, als er über das sprach, was unstrittig neben der Pandemie sein Lieblingsthema ist, die Krankenhausversorgung. Hier ging er speziell auf die Klinikinformationssysteme ein – und lobte dabei einen US-Anbieter über den grünen Klee:

„Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass diese Krankenhausinformationssysteme, dass die miteinander kommunizieren können, dass die in die ePA hineinkommunizieren können. Auch das ist nicht gelungen. Wenn man sich dort Systeme anschaut, die besonders gut sind, zum Beispiel das Epic-System in den Vereinigten Staaten, dann sieht man, wie viel besser die Versorgung wird, wenn man solche Systeme hat. Jetzt muss es nicht Epic sein, es könnte auch etwas ähnliches sein. Aber wir brauchen interoperable Krankenhausinformationssysteme, die ePA, das muss miteinander kommunizieren können, das muss dann auch in einen gesicherten Datenraum einfließen können.“

(Karl Lauterbach)

 

Die Erwähnung des US-Anbieters, der dort – das hat eine gewisse Ironie, und das sagte der Minister nicht – eine extrem dominante Marktstellung einnimmt, hat für einiges Erstaunen und auch etwas Unruhe im deutschen Markt gesorgt. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass der deutsche Klinik-IT-Markt derzeit wieder einmal vor einem Umbruch steht.

 

SAP-perlott: IS-H dankt ab

Dieser Umbruch hat wesentlich damit zu tun, dass dem in der Klinik-Landschaft weit verbreiteten i.s.h.med, das 2019 sein 25-jähriges Jubiläum gefeiert hatte, stürmische Zeiten bevorstehen. Das KIS i.s.h.med basiert bekanntlich auf der SAP-Branchenlösung Industry Solution Healthcare (IS-H), und den Support dafür will SAP Ende 2027, bzw. den erweiterten Support dann einige Jahre später, einstellen. SAP setzt dann ganz auf S/4HANA als zugrundeliegende Technologie für das Enterprise Ressource Planning. So weit, so erwartet.

 

Allerdings, und das kam für manche dann doch überraschend, will SAP keine eigene Nachfolgelösung für IS-H entwickeln. Stattdessen ist wolkig von „Partnerlösungen“ die Rede, aber das bleibt bisher unkonkret. Mit anderen Worten: Eine große Zahl an Krankenhäusern könnte sich wegen des Endes von IS-H in absehbarer Zeit überlegen müssen, wie es künftig IT-technisch weitergehen soll – je nach IT-Konstellation bei der Abrechnung und/oder am klinischen Arbeitsplatz. Die umständliche deutsche Abrechnung wird S/4HANA ohne gesundheitsspezifische Branchenlösung nicht stemmen können.

 

Pikant wird die Sache unter anderem dadurch, dass die Charité Berlin von diesen Entwicklungen stark betroffen ist: Sie arbeitet bisher mit IS-H und i.s.h.med. Damit steht in der Hauptstadt absehbar ein KIS-Neuanschaffungsprojekt an, das möglicherweise das größte derartige Projekt wird, das Deutschland je gesehen hat. Nun ist die Berliner Universitätsklinik bekanntlich für diverse Bundesminister die erste Anlaufstelle bei gesundheits- und forschungspolitischen Wehwehchen aller Art. Sie ist aber auch eine Universitätsklinik, die lange Zeit nicht gerade für progressive Digitalisierung stand. Im Gegenteil, wer Zitate für dysfunktionale Krankenhausdigitalisierung sucht, für den sind Charité-Ärzt:innen noch immer naheliegende und oft niedrigschwellig verfügbare Ansprechpartner.

 

Das soll sich natürlich ändern. Eines der Vehikel dieses Änderungsprozesses ist das Berlin Institute of Health (BIH), das 2013 gegründet wurde, mittlerweile zur Charité gehört und zu 90 Prozent aus Bundesmitteln des BMBF finanziert wird. Am BIH wurde eine Menge Digitalisierungsexpertise angesiedelt, und die soll früher oder später auch auf den klinischen Betrieb positiv durchschlagen, für den in den letzten Jahren auf mehreren Ebenen prominente IT-Chefs angeheuert wurden. In diesem politisch-medizinisch-finanziellen Gesamtkontext ist es jetzt nicht ganz uninteressant, wenn ein Vertreter der Bundesregierung an herausgehobener Stelle einen US-KIS-Hersteller explizit lobt. Wird die Charité vielleicht der Epic-Leuchtturm in Deutschland?

 

Money, Money, Money

So einfach ist das alles natürlich, wie immer, nicht. Zu Epic muss man wissen, dass das Unternehmen bisher in Deutschland in Sachen KIS nicht präsent ist. Andere US-Unternehmen haben es mit dem deutschen Markt versucht. Cerner, mittlerweile Oracle Cerner, hat 2015 mit der Übernahme des KIS-Geschäfts von Siemens viele i.s.h.med Kunden bei sich versammelt. Dem internationalen Cerner-KIS Millenium hat das nicht zum Durchbruch in Deutschland verholfen. Die andere Hälfte seines damals erworbenen, deutschen KIS-Geschäfts, die Kunden des Ex-Siemens-KIS medico, sind mittlerweile bei der CompuGroup. Keine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte also.

 

Epic hat in den letzten Jahren in der Schweiz auf sich aufmerksam gemacht: Es wird in Luzern und am Inselspital in Bern genutzt. In Sachen Universitätsspital Zürich gibt es zumindest epische Gerüchte. Von der Schweiz aus könnte also ein Sprung in Richtung Deutschland erfolgen. Allerdings: Die Situation in der Schweiz ist anders. Die Versorgung ist kantonal-intersektoral organisiert, was einer in Sachen Population Health Management anerkannt leistungsfähigen Plattform wie Epic entgegenkommt. Das deutsche Gesundheitswesen funktioniert aber anders. Hinzu kommt, dass die Abrechnung in Schweizer Spitälern getrennt wo den klinischen Systemen erfolgt. Bei einem hypothetischen Epic-Einstieg in Deutschland stünde also unter anderem die Frage im Raum, wie es mögliche Epic-Kunden mit der Abrechnung handhaben – zumal jetzt, wo SAP sich aus dem Krankenhaus-Geschäft offenbar weitgehend zurückziehen will.

 

Viel Platz für Spekulation. Der Elefant im Raum ist die Frage, was eigentlich so ein KIS-Projekt in Deutschland kosten darf. Denn das ist ein weiterer Grund, warum es relativ schwierig ist, als KIS-Neuling im Markt zwischen Rhein und Elbe Fuß zu fassen: Die erzielbaren Preise liegen hier zu Lande eher niedrig. Selbst große deutsche KIS-Projekte an Universitätskliniken kratzen nach allem, was zu hören ist, oft allenfalls gerade mal eben an einem Volumen im zweistelligen Millionenbereich – und dann ist oft jahrelanger Support schon inkludiert. KIS-Installationen in Klinik-Clustern kommen schon mal auf 15 bis 20 Millionen Euro. Aber auch das ist wenig, verglichen mit den dreistelligen Millionenbeträgen, die andernorts teilweise in die Hand genommen werden. Kann die eine oder andere deutsche Großklinik im Rahmen der Neuorientierung „nach SAP“ in diese Größenordnung vorstoßen oder sich ihr zumindest annähern? Das würde den Markt dann vielleicht ähnlich stark durchschütteln, wie die Abkündigung von IS-H es gerade tut.  

 

Weitere Informationen:

Rede von Bundesminister Karl Lauterbach bei der Europe 2023 Tagung

https://www.youtube.com/watch?v=cj3pHhgLI3k&t=416s