Noch immer ist die Lage brisant: Durch die SAP-Abkündigung der Branchenlösung SAP Patientenmanagement (IS-H) und die Nachricht von Oracle Cerner, den Support für IS-H Reklamationsmonitor (RKT) sowie das Krankenhausinformationssystem (KIS) i.s.h.med einzustellen, stehen Kliniken und Krankenhäuser vor immensen Herausforderungen. Doch es gibt endlich neue, vielversprechende Perspektiven.
„Das Aufgabenheft ist für viele Häuser ordentlich gefüllt: mit der Umsetzung des Krankenhauszukunftsgesetzes, der Einführung von S/4HANA, der SAP Business Technology Platform (BTP) sowie der Einführung von weiteren Cloud-Produkten – allesamt große Projekte, die enorme Ressourcen beanspruchen“, erklärt Michael Pfeil, DSAG-Arbeitskreissprecher Healthcare und hauptberuflich Abteilungsleiter Betriebswirtschaftliche Applikationen im Universitätsklinikum Bonn. „Als wäre das nicht schon genug, kommt nun auch noch der Umzug auf Alternativlösungen für das IS-H, RKT und i.s.h.med on top, der ebenfalls viel Geld und Zeit verschlingen wird. Doch Zeit bleibt den Einrichtungen kaum, der Rahmen ist extrem eng.“
Ab 2027 müssen IS-H-Kunden für wichtige Updates mehr bezahlen, ab 2030 gibt es keine Wartung mehr für diese Lösung. Die Betreuungsverträge für das Lösungspaket IS-H Reklamations-Monitor (RKT) werden erst Ende 2027 auslaufen – immerhin ein Teilerfolg, der auf Drängen der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) erreicht wurde. Ursprünglich sollte die Lösung von Oracle Cerner nur bis Ende März 2025 gepflegt werden.
„Die Abkündigung von SAP und Oracle Cerner trifft die Healthcare-Branche zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt und außerdem völlig unvorbereitet“, so Michael Pfeil. „Bisher gab es auf dem deutschen KIS-Markt keine vollumfänglichen Alternativen. Folglich müssen Nachfolgelösungen anderer Hersteller erst einmal entwickelt werden. Und dann gilt es im nächsten Schritt, all die Häuser zu transformieren. Das wird bis 2027 nicht möglich sein.“
DSAG-Infotage Healthcare bringen großen Lichtblick
Um die Lage innerhalb der Healthcare-Branche zu sondieren und allen Beteiligten einen Überblick über den Status quo seit der SAP-Nachricht zu verschaffen, brachte die DSAG am 15. und 16. Mai zahlreiche Anwender und namhafte Systemanbieter – von Marktgröße bis junger Wettbewerber – zum Fachkongress in St. Leon-Rot zusammen. An zwei Tagen gaben die Systemanbieter Einblick in ihre Lösungen und den derzeitigen Entwicklungsstand. Anwender konnten sich so aus erster Hand über potenzielle IS-H-Nachfolger informieren und mit den Anbietern direkt ins Gespräch kommen. Auch Vertreter:innen von SAP waren mit dabei, um die Organisationen im Gesundheitswesen beratend zu unterstützen.
„Eine solche Veranstaltung gab es in der Form bisher noch nicht. Dass sie nun gerade zur rechten Zeit kam, zeigt die große Resonanz“, so Michael Pfeil. Mehr als 200 Teilnehmende waren an den beiden Tagen vor Ort, ihre Rückmeldungen sind durchweg positiv. Dazu trugen vor allem auch die Vorträge der Systemanbieter bei. „Die Vorstellungen hatten allesamt ein sehr hohes Niveau und die präsentierten IS-H-Nachfolger beziehungsweise kompletten Krankenhausinformationssysteme (KIS) sind äußerst vielversprechend. Die Schockstarre scheint überwunden, endlich gibt es mehr als reine Visionen“, erklärt Michael Pfeil. „Besonders erfreulich ist auch: Durch die Bandbreite an vorgestellten Lösungen – von klein bis groß – konnte jedes Haus wertvolles Wissen mitnehmen, und kann nun sogar aus einem ordentlichen Angebot das für seine Größe und Bedürfnisse passende System wählen. Das gab es so vorher nicht.“
Paukenschlag von ATSP
Eines der größten Ausrufezeichen setzte ATSP: Gemeinsam mit Partner T-Systems Austria entwickelt das Unternehmen bereits die auf SAP S/4HANA-basierte Lösung „Solution for HealthCare“ (TSHC) für Österreich und die Schweiz. Nun kündigte ATSP an, in Kooperation mit der RZV Rechenzentrum Volmarstein GmbH (RZV) auch eine Lösung für den deutschen Markt bereitzustellen, ebenfalls für S/4HANA – und zwar zeitnah. Sie soll auf TSHC aufbauen, einen Großteil der bisherigen IS-H-Funktionen abdecken und nahezu nahtlos an das bisher verfügbare Patientenmanagement anknüpfen.
Derzeit befinden sich die beiden Unternehmen noch in der Analysephase. Bereits ab Anfang 2025 soll ein Pilotsystem aber schon zur Verfügung stehen. Ab Herbst 2025 kann die neue Software laut den Anbietern in den Kliniken und Krankenhäusern ausgerollt werden. Damit bieten ATSP und RZV beziehungsweise ATSP und T-Systems Austria künftig IS-H-Nachfolger für den gesamten DACH-Raum an.
„Mit ATSP, RZV und T-Systems Austria treten drei Unternehmen auf den Plan, die nicht nur große Expertise im Bereich Entwicklung und SAP-Beratung beweisen, sondern auch ordentliche Ressourcen mitbringen. Eine notwendige Voraussetzung mit Blick auf die zahlreichen Häuser, die bis 2027 transformiert werden müssen“, so Michael Pfeil. „Die Ankündigung dieser Branchen-Flaggschiffe zusammen mit der großen Bereitschaft der anderen Branchenvertreter, sich den Anwendern zu stellen und schlüssige Konzepte für die Nachfolge zu präsentieren – all das stimmt mich mit Blick auf die anstehenden Umstellungen sehr zuversichtlich.“
Transformation aktiv vorbereiten
Trotz dieser Zuversicht mahnt Michael Pfeil, nun nicht die Hände in den Schoß zu legen: „Die Häuser sollten die Zeit, bis die für sie passende Lösung marktreif ist, nutzen, um sich mit ihren bestehenden Systemen auseinanderzusetzen. Hilfreich sind zum Beispiel Readiness-Checks, mit denen sich nicht nur das aktuell betriebene Patientenmanagementsystem, sondern die bestehende SAP-Umgebung analysieren lassen, auch in Hinblick auf eine SAP S/4HANA-Umstellung. Damit können die Anwender schon jetzt prüfen, welche relevanten Eigenentwicklungen sie umziehen möchten und welche Anpassungen für das neue System gegebenenfalls notwendig sind. Ebenso wichtig: die Budget- und Personalplanung anzugehen und sich frühzeitig fähige Beratungsunternehmen zu suchen, die bei der Umsetzung zur Seite stehen. Wenn all diese Voraussetzungen geklärt und der eigene Zeitplan abgesteckt sind, ist schon mal viel gewonnen.“
Und noch etwas unterstreicht Michael Pfeil abschließend: „SAP hat uns zwar in die bisher sehr angespannte Lage gebracht. Die Walldorfer unterstützen uns allerdings derzeit auch nach Kräften. Dafür sind wir dankbar.“ So stellt SAP unter anderem Code für die Entwicklung neuer Lösungen über Partnerverträge bereit oder teilt zum Beispiel Wissen via Veröffentlichungen. Außerdem stellt das Unternehmen Expert:innen zur Verfügung, die bei Veranstaltungen wie den DSAG-Infotagen als Ansprechpartner:innen mit dabei sind. Zudem bietet SAP den Systemanbietern die Möglichkeit, ihre Lösungen über die SAP Business Technology Platform (BTP) an andere Systeme anzudocken.
Dieser Text wurde von der Deutschen SAP Anwendergruppe (DSAG) erstellt. Er bezieht sich auf die DSAG-Infotage im Mai. Folgende Systemanbieter waren dabei: AMC Holding GmbH, ATSP GmbH. Avelios Medical GmbH, Cerner Health Services Deutschland GmbH, CGM Clinical Deutschland GmbH, Dedalus Healthcare GmbH, GITG AG, Meierhofer AG, Mesalvo Freiburg GmbH (als Aussteller), Nexus Deutschland GmbH, Deutsche Telekom Clinical Solutions GmbH.
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