Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des DMEA nova Awards. Ihr Elevator-Pitch, bitte: Was ist Exploris Health für ein Unternehmen?
Wir machen KI für die medizinische Versorgung und suchen, abstrakt formuliert, Abhängigkeiten in komplexen Daten. Der menschliche Körper ist eine Datenquelle, und wir finden heraus, welche Daten in Kombination die höchste Aussagekraft bezüglich bestimmter klinischer Fragestellungen haben, zum Beispiel, ob bei Brustschmerzen oder anderen Symptomen die Gefahr einer koronaren Herzkrankheit (KHK), der Vorform vom Herzinfarkt, vorliegt.
Welche Probleme adressieren Sie mit Ihrem Cardio Explorer, mit dem Sie den DMEA nova Award gewonnen haben?
Da geht es genau um die angesprochene Frage, wie man Herzinfarkte verhindern und die Versorgung verbessern kann. Wir wollen den Ärzt:innen in einem primär- und akutmedizinischen Kontext eine Hilfestellung an die Hand geben bei der Frage, ob aktuell eine potenziell gefährliche Verengung der Koronararterien vorliegt und falls ja, welche weitere Art von Diagnostik bei einem Patienten oder einer Patientin gemäß medizinischer Leitlinie empfohlen wird. Was wir zeigen konnten, ist, dass wir mit der KI-gestützten Analyse von 32 Parametern geschlechtsspezifisch diejenigen Patient:innen identifizieren können, die wahrscheinlich eine relevante Verengung haben und die deswegen zum Beispiel von einer Koronar-CT bzw. einer Angiographie profitieren oder aktuell keiner weiteren Abklärung bedürfen.
Was sind die Herausforderungen bei der Entwicklung einer solchen KI-gestützten, klinischen Pfad-Software?
Die erste Herausforderung ist es, sinnvolle Parameter zu identifizieren. Hierzu haben wir eine Plattform entwickelt, die Dutzende KI-Methoden vereint und die Daten in einem künstlichen evolutionären Optimierungsprozess automatisiert bezüglich ihrer aussagekräftigsten Kombination analysiert. Das kann man sich vorstellen wie „Survival of the Fittest“: Am Ende bleiben die Parameter und Modellkonfigurationen übrig, die in Kombination bezüglich der Fragestellung die höchste Vorhersagekraft haben. Die nächste Herausforderung ist dann die Validierung des Algorithmus, beim Cardio Explorer anhand von klinischen Studien. Dafür braucht es engagierte Partner, die in der medizinischen Versorgung verankert sind. Wissenschaftliche Publikationen sind auch wichtig, dann natürlich die Zertifizierung als Medizinprodukt, und am Ende die Kommerzialisierung. Das ist mit das Schwierigste.
Nutzt Ihre Entwicklungsplattform auch Large-Language-Modelle?
Nein. Wir arbeiten mit einer übersichtlichen Zahl an Datensätzen, eher mit Hunderten bis wenigen Tausend als mit Millionen. Die Stärke unserer Plattform ist es, dass wir auch in kleinen Datensätzen verlässlich Abhängigkeiten finden können. GPTs hingegen, auf denen Large-Language-Modelle beruhen, benötigen sehr große Datensätze, um genaue Prognosen zu machen.
Wie einfach oder schwierig war es, an Daten bzw. die klinischen Partner heranzukommen?
Wir hatten das Glück, dass wir mit dem Universitätsspital Basel von Anfang an einen hochmotivierten Partner hatten. Sonst wäre das so nicht gegangen. Wir haben dann noch weitere Validierungskohorten gehabt, wie die bekannte Ludwigshafen Risk and Cardiovascular Health (LURIC) und eine Kohorte in Maastricht. Das hat es uns auch ermöglicht, in unterschiedlichen Populationen bzw. Versorgungsszenarien zu validieren. Es braucht Kliniker:innen, die von der Lösung überzeugt sind.
Welche Medizinproduktezertifizierung hat Ihr Produkt, und wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Zertifizierungsprozedere?
Wir sind nach IVDR Klasse B, dem Äquivalent von MDR Klasse IIb, zer-tifiziert, nur für den professionellen Gebrauch, weil Blutwerte benötigt werden und am Ende eine Diagnose gestellt wird, die der Laie nicht selbst einschätzen kann. Das ist schon recht aufwendig, insgesamt dauert es bei solchen Klasse-B-Produkten im Allgemeinen fünf bis sieben Jahre von Start der Entwicklung bis CE-Zertifizierung.
Wie wird sich der AI Act auf Ihr Unternehmen auswirken?
Es wird mehr Dokumentationsaufwand geben, aber es wird sich für uns nichts grundsätzlich ändern. Wer in den Medizinproduktesektor geht, dem ist klar, dass das ein hoch regulierter Markt ist. Da ist der AI Act nur ein weiterer Baustein. Wir etablieren gerade ein Qualitätsmanagement-System nach ISO 13485. Das wird uns sowohl mit Blick auf die IVDR als auch auf den AI Act gute Dienste leisten. Die Anforderungen entwickeln sich kontinuierlich weiter, da immer mehr KI-Anwendungen auf den Markt kommen und Regulatoren sowie die meisten Anwender:innen noch praktische Erfahrung sammeln müssen. Wir wollen auch in die USA, da sind für die 510(k)-Zulassung noch mal ganz andere Voraussetzungen zu erfüllen, u.a. weitere klinische Studien. Hier haben wir die Cleveland Clinic als Studienpartner gewinnen können. Das wird demnächst losgehen, wenn das Fundraising abgeschlossen ist.
Versorgungsnahe IT-Lösungen müssen auch in der Versorgung ankommen. Wie gehen Sie dabei vor? Wer sind Ihre Ansprechpartner, und wie erfolgreich sind Sie?
Das langfristige Ziel ist Regelvergütung. Der Weg über den Gemeinsamen Bundesausschuss für KI-Tools dauert realistisch gesehen viele Jahre. In der Zwischenzeit konzentrieren wir uns zum einen auf die Arbeitsmedizin, da haben wir erste Kunden, die unseren Test im Rahmen von Gesundheitsförderungsprogrammen nutzen. Das andere sind Selektivverträge mit Krankenkassen, hier läuft aktuell eine vorbereitende, gesundheitsökonomische Studie mit einer der größten deutschen Krankenkassen, außerdem gibt es Gespräche mit weiteren Krankenkassen.
Welche Versorgungspfade halten Sie neben der KHK noch für interessant?
Wir haben einen Prototypen im Bereich Herzinsuffizienz, da geht es um Risikostratifizierung sowie die individuell optimierte Einstellung der Dauermedikationen. Brustkrebs ist ein weiterer Bereich, da geht es um die Diagnostik von Art und Schweregrad der Erkrankung und aufbauend darauf um die Therapiestratifizierung. Auch der Prostatakrebs interessiert uns, letztlich alle Erkrankungen, bei denen die KI-gestützte Analyse der Kombination von Laborwerten und Patienteninformationen einen Mehrwert bringen kann. Das ist sozusagen unser Sweet Spot.
Nach der Pandemie gab es bei medizinischen KI-Start-ups eine deutliche Delle. Einige zogen sich zurück, Finanzierungen wurden schwieriger. Wie ist die Lage im Frühjahr 2024?
Es wird besser, aber die Branche ist noch nicht aus dem Tal heraus. Was wir häufig gehört haben: „Komm wieder, wenn du eine oder auch fünf Millionen Euro Umsatz machst, dann würden wir investieren.“ Da muss man natürlich erst mal hinkommen, und dann braucht ein skalierbares Businessmodell wie unseres eigentlich auch kein Investment mehr.
Ist die Situation in den USA aktuell ähnlich wie in Europa?
In den USA ist die Risikobereitschaft größer und der Umgang mit Venture Capital vertrauter. Dafür gibt es andere Hürden: Eine Niederlassung vor Ort wird erwartet. Bestimmte Investment Vehicles sind nötig, um Geld in unserem Fall in die Schweiz zu transferieren. Alles nicht so einfach, aber grundsätzlich ist es in den USA leichter, mit Investoren ins Gespräch zu kommen. Es gibt weniger Bedenken. KI-Anwendungen sind Tools, die die Arbeit erleichtern und nicht die Ärzt:innen ersetzen sollen, dieses Bewusstsein ist in Europa oft noch nicht so ganz angekommen, auch bei den Anwender:innen noch nicht.
Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur E-HEALTH-COM.