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Forschung |

Ethikrat will mehr Datennutzung

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats will die Chancen der Datennutzung im Gesundheitswesen stärker in den Blick nehmen. Dafür gabs eine Watsche vom scheidenden obersten Datenschützer in Baden-Württemberg.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats; © Deutscher Ethikrat, Foto: Jens Jeske

Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und im Hauptberuf Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der TU München, ist Kummer gewohnt. In der Corona-Pandemie hat sie sich auf allen Seiten Feinde gemacht, weil sie und der von ihr geleitete Ethikrat weder den NoCovid-Fanfaren hinterherliefen noch in Sachen COVID-Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen besonders kritisch waren, zumindest in den ersten zwei Jahren der Pandemie nicht. Jetzt fasste Buyx ein anderes heißes Eisen an: Sie kritisierte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, dass Deutschland im Gesundheitswesen zu stark auf die Risiken der Digitalisierung fixiert sei und zu wenig die der Datennutzung innewohnenden Chancen thematisiere.

 

Stuttgarter Datenschützer ist nicht amüsiert

Patient:innen, so Buyx sinngemäß im Interview, litten unter dem zu strikten Datenschutz. Das Maß sei verloren gegangen, es gebe negative Effekte auf die Gesundheit der Menschen, und letztlich koste der hiesige Umgang mit dem Datenschutz Menschenleben. Hintergrund der Äußerungen sind natürlich die Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit, im neuen Jahr Tempo zu machen bei der Digitalisierung. Es geht um ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz und um ein Komplett-Update des Konzepts der elektronischen Patientenakten (ePA), die bisher Rohrkrepierer sind. Wer Buyx und anderen Ethikratsmitgliedern in den letzten Jahren zugehört hat, der weiß aber, dass das keine neue, allenfalls eine etwas deutlichere Positionierung ist.

 

Zu deutlich für manchen Geschmack, offensichtlich. Der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Stefan Brink, reagierte extrem verschnupft und ließ Buyx via Handelsblatt schulmeisterlich ausrichten, ihre Positionen seien „uninformiert und schwer erträglich, gerade weil sie mit dem Anspruch moralischer Überlegenheit geäußert werden.“ Und er schulmeisterte weiter: „Ethiker sollten gelernt haben, dass man gesellschaftlich bestimmende Entwicklungen wie die Digitalisierung nicht durch einseitige und zuspitzende Äußerungen vorantreibt, sondern alle relevanten Interessen mit ruhigem Blick einbezieht und abwägt.“

 

Neue Behördenleitung ab 2023

Brink betonte unter anderem, dass die DSGVO für die Forschung massive Privilegien vorsehe, die auch mit Unterstützung der Datenschützer:innen umfangreich genutzt würden. Dass es nicht die DSGVO ist, gegen die sich die Kritik nicht nur von Alena Buyx, sondern quasi gleichlautend von weiten Teilen des deutschen Gesundheitswesens richtet, sondern eher gegen deren unbefriedigende Umsetzung in Deutschland, darauf ging Brink im Handelsblatt nicht ein, zumindest wurde er nicht damit zitiert.

 

Man muss dazu wissen, dass die Amtszeit von Brink, der FDP-Mitglied ist, Ende 2022 nach sechs Jahren nicht verlängert wird. Teile der Opposition in Baden-Württemberg sehen darin den Versuch der schwarz-grünen Landesregierung, einen Kritiker loszuwerden, wobei Brink im SWR Berichte über Differenzen mit der Landesregierung im Sommer dementiert hatte. Unstrittig ist, dass die Baden-Württembergischen Datenschützer zu jenen gehören, an denen sich im Gesundheitswesen und speziell in der Healthcare-IT-Industrie besonders oft Kritik entzündet.

 

Auch andere Ethiker nehmen Datennutzung ins Visier

Dass Alena Buyx bei Weitem nicht die einzige Ethikerin ist, die für eine offensivere Nutzung von Gesundheitsdaten plädiert, zeigt das aktuelle Whitepaper „Data Solidarity“, das von der Kommission „Governing Health Futures“ verfasst wurde, die von dem Fachmagazin Lancet und der Financial Times ins Leben gerufen wurde. Lead-Autorin ist die Ethikerin Prof. Dr. Barbara Prainsack von der Universität Wien.

 

Das Whitepaper plädiert, wie der Name schon sagt, für mehr Datensolidarität, realisiert zum einen durch einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten, zum anderen durch deren gezielte Nutzung für präventive und Leiden minimierende Zwecke. Dazu wird eine Governance-Struktur vorgeschlagen, die den Zugang zu Daten von dem Zweck der Datennutzung abhängig macht, dergestalt, dass eine Datennutzung, die der Gesundheit dient, erleichtert wird, während gleichzeitig andere Formen der Gesundheitsdatennutzung nur unter unter hohen Auflagen umgesetzt werden dürfen. Dazu sollen auf regionale Ebene eine Art Datenethikkommissionen eingerichtet werden – wo sich dann natürlich unter anderem die Frage der Bürokratisierung stellen würde.

 

Weitere Informationen

Whitepaper Data Solidarity der The Lancet and Financial Times Commission on ‘Governing health futures 2030’

https://www.governinghealthfutures2030.org/wp-content/uploads/2022/12/DataSolidarity.pdf