Mit einigen Monaten Verzögerung öffnet das in seiner jetzigen Form im Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) von Karl Lauterbach angelegte Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit am BfArM seine Pforten. Ab heute können Forschungsanträge über die neu aufgesetzte FDZ-Infrastruktur eingereicht werden – von Versorgungsforscher:innen, anderen Wissenschaftler:innen, Kostenträgern und auch von der forschenden Pharmaindustrie.
Tatsächlich ist der Vorlauf zum jetzigen FDZ deutlich länger, woran Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) anlässlich einer Pressekonferenz zur FDZ-Eröffnung erinnerte. Grundstein bildete das 2019 unter Jens Spahn verabschiedete Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation: „Sechs Jahre Aufbau klingt nach einem langen Zeitraum, aber schon die schiere Menge an Abrechnungsdaten macht deutlich, von welchem Umfang wir hier reden“, so Warken. Tatsächlich war das „alte“ FDZ durchaus zugänglich und fertig aufgebaut. Es wurde nur so gut wie gar nicht genutzt, weil Zugangsprozeduren und regulatorischer Rahmen eher verhindernden als ermöglichenden Charakter hatten.
Abrechnungsdaten bald innerhalb von drei Monaten?
Das soll jetzt anders werden, wie BfArM-Präsident Prof. Dr. Karl Broich betonte. Er bezeichnete das neue FDZ als einen Meilenstein für die Versorgungsforschung in Deutschland, mit dem ganz neue, sektorübergreifende Fragen adressiert werden könnten. Die hohe Zahl an Datensätzen – Abrechnungsdaten aller 75 Millionen Versicherten der GKV – erlaube es auch, beispielsweise im Bereich pädiatrische Erkrankungen oder im Bereich seltene Erkrankungen zu forschen.
Neu am „neuen“ FDZ ist zum einen, dass GKV-Abrechnungsdaten wirklich aller Krankenkassen zugänglich sind, und dass diese Daten aus nahezu sämtlichen Leistungsbereichen kommen. Die Daten sollen außerdem frühzeitiger als bisher zur Verfügung stehen, eine Lehre nicht zuletzt aus der Pandemie. Das freilich müsse sich erst entwickeln, sagte die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Stefanie Stoff-Ahnis. Zur Eröffnung sind zunächst die Datensätze aus den Jahren 2009 bis 2023 vollständig verfügbar. Künftig sollen die Abrechnungsdaten zumindest in weiten Teilen innerhalb von drei Monaten ins FDZ einfließen. Stoff-Ahnis erinnerte auch noch einmal dezent daran, wer die FDZ-Party aktuell bezahlt: „Die GKV finanziert derzeit das FDZ fast vollständig.“
Bei wem wirkt es, bei wem nicht? Was kommt in der Versorgung an?
Für den Verband der forschenden Pharma-Industrie begrüßte dessen Vorsitzender Han Steutel das neue FDZ und die Tatsache, dass erstmals auch die privatwirtschaftliche Forschung gleichberechtigten Zugang erhält: „Das ist ein gutes Signal für die medizinische Forschung in Deutschland und für den Forschungsstandort Deutschland.“ Ein Forschungsthema, das Steutel beispielhaft erwähnte, kommt aus dem Bereich personalisierte Arzneimitteltherapie. Die Forschung mit großen Datenmengen erlaube es, herauszufinden, bei wem bestimmte Arzneimittel nicht so gut wirkten wie in klinischen Studien. Dadurch könne dann gezielter verordnet werden, und die Kostenträger müssten nur noch jene Medikamente bezahlen, die tatsächlich funktionierten.
Prof. Dr. Michael Hallek, Onkologe am Universitätsklinikum Köln und Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit, nahm sein eigenes Forschungsgebiet, die CLL, als Beispiel. Hier könne mit Hilfe des FDZ künftiger präziser evaluiert werden, in welchem Umfang die neuen, zielgerichteten Therapien auch tatsächlich in der Versorgung ankommen. Die datenbasierte Gesundheitsforschung mit großen Datensätzen könne auch dabei helfen, den Nutzen von Therapien in bestimmten Patientengruppen zu evaluieren, die in klinischen Studien unterrepräsentiert sind, beispielsweise sehr alten Menschen.
Jetzt nicht stehenbleiben
Was viele Forscher:innen gerade auch aus der forschenden Industrie am FDZ reizt, sind gar nicht so sehr die Abrechnungsdaten allein, sondern das, was in den nächsten Jahren noch dazukommen soll, insbesondere die Daten der elektronischen Patientenakten (ePA) und diverse medizinische Registerdaten, im ersten Schritt die der Krebsregister. „Die ePA-Anbindung ans FDZ ist für kommendes Jahr vorgesehen“, betonte Warken. Die Krebsregisteranbindung folgt im nächsten Schritt.
Das FDZ soll außerdem in Sachen datenbasierter medizinischer Forschung Deutschlands Andockpunkt an den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) werden. Es herrscht unter Expert:innen Einigkeit, dass sowohl die Einbindung weiterer Datenquellen als auch die EHDS-Anbindung keine Selbstläufer sein werden. Allgemein wird damit gerechnet, dass eine Art „Gesundheitsdatennutzungsgesetz 2.0“ nötig ist, um in einigen Punkten nochmal regulatorisch nachzujustieren, unter anderem beim Thema Pseudonym und Pseudonymisierung.
Ein anderes heikles Thema wurde vom vfa-Vorsitzenden Steutel angesprochen, nämlich die personelle Ausstattung des FDZ. Die sei auf Dauer deutlich zu gering. Broich sprach von derzeit zwanzig motivierten Mitarbeiter:innen. Man könne schlecht vorhersagen, wie groß das Interesse an den Daten am Ende sein werde, aber: „Wenn der Bedarf da ist, treten wir in entsprechende Verhandlungen.“ Am Rande der Pressekonferenz war zu hören, dass ein ähnliches Datenzentrum in Frankreich mit mehreren hundert Mitarbeiter:innen kalkuliert. Das könnte also noch interessante Diskussionen geben. Der Anspruch des FDZ zumindest ist klar: Eingehende Anträge sollen zügig beschieden werden, das betonte im Gespräch mit E-HEALTH-COM auch der Leiter Stabstelle DaTraV/FDZ am BfArM, Dr. Steffen Heß. Das wird, wenn das FDZ so populär wird, wie sich das Warken, Broich, Hallek, Stoff-Ahnis und Steutel erhoffen, eine gewisse Personalbasis brauchen.
Weitere Informationen
Ein ausführliches Gespräch zum neuen FDZ mit dem Leiter der Stabsstelle DaTraV/FDZ am BfArM, Dr. Steffen Heß, finden Sie hier.
