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Habemus E-Health-Strategie

Das Bundesgesundheitsministerium legt seine Digitalstrategie vor und formuliert auch gleich die ersten Eckpunkte für zwei neue Digitalgesetze. Die nächsten Wochen werden spannend.

Viele Workshops eine Online-Befragung und insgesamt sechs Monate Arbeit unter Einbeziehung von rund 500 Menschen: Das ist der Stoff, aus dem die neue „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ gemacht ist, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jetzt vorgelegt hat. Genauer gesagt bestand die Kommunikation am 9. März zum einen aus der rund 40 Seiten umfassenden Strategie, zum anderen aus einer Pressemeldung, die einige wesentliche Eckpunkte zweier neuer Gesetze mitteilte, die unmittelbar an die Strategie anschließen sollen, nämlich ein Digitalgesetz und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz, kurz GDNG.

 

Telemedizin soll nach vorne rücken

Lauterbach verknüpfte die Vorstellung mit der Ankündigung, dass die Referentenentwürfe der beiden Gesetze relativ zeitnah, „in den nächsten Wochen“, vorliegen sollen. Es wird digital Fahrt aufgenommen in der Friedrichstraße in Berlin; die Chefin der Abteilung Digitalisierung, Susanne Ozegowski, früher Techniker Krankenkasse, und ihr Vize Sebastian Zilch, früher bvitg, wollen es wissen.

 

Kern der Strategie ist das Kapitel 2, das die drei großen Handlungsfelder „Versorgungsprozesse“, „Forschung“ und „Anwendungen“ behandelt. Daneben gibt es separate Kapitel zu Digitalkompetenz, regulatorischen Rahmenbedingungen, Governance und zum Transformationsansatz, sprich der Frage: Wie wird aus der Strategie gelebte Wirklichkeit? Insgesamt gehen die Pläne und Vorhaben weiter, als viele wohl erwartet hatten. Gleichzeitig ist vieles derzeit noch vage formuliert. Dass es mehr offene Fragen als definitive Antworten gibt, dem dürfte niemand widersprechen.

 

Im Handlungsfeld „Versorgung“ springt vor allem ins Auge, dass die Telemedizin ausgebaut werden soll. Analoge und telemedizinische Prozess sollen gleich behandelt werden, was bisher, zum Beispiel bei der Abrechnung, nicht der Fall ist. Die 30 % Regel, die besagt, dass niedergelassene Ärzt:innen nicht mehr als knapp ein Drittel ihrer Leistungen telemedizinisch erbringen dürfen, soll fallen. Mehr noch: In hausärztlich unterversorgten Regionen soll eine so genannte assistierte Telemedizin angeboten werden, also ein Telemedizinangebot, bei dem nicht-ärztliche Berufe jene Menschen unterstützen, die Unterstützung brauchen. Das soll entweder an den von Lauterbach geplanten Gesundheitskiosken oder in Apotheken stattfinden.

 

Grundsätzlich will sich das Ministerium bei der Digitalisierung und damit auch der Telemedizin an Versorgungsprozessen und nicht an Tools, Datensätzen oder Einzelanwendungen orientieren. Beispielhaft sollen elektronische DMP-Programme aufgesetzt werden, die Telemedizin, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) oder auch den TI-Messenger nutzen. Letzterer soll noch 2023 für die Leistungserbringer-Kommunikation etabliert werden und ab 2024 auch einen Kommunikationskanal in Richtung Patient:innen ermöglichen. Für die eDMP soll es jeweils medizinische Informationsobjekte (MIO) geben, die die Datengrundlage bilden und einen Interoperabilitätsanker darstellen.

 

Die Opt-out-ePA soll kommen

Neben den eDMP stellt das Handlungsfeld „Versorgung“ der Digitalisierungsstrategie den Medikationsprozess in den Vordergrund. Bis Ende 2025 sollen 80 % der Nutzer:innen elektronischer Patientenakten (ePA), die Dauermedikamente einnehmen, über ein digitale Medikationsmanagement verfügen. Auch hier: Viele Fragen bleiben offen, nicht zuletzt inwieweit das Befüllen des Medikationsplans in der ePA verpflichtend werden wird und was mit jenen Patient:innen ist, die keine ePA wollen, aber dennoch einen Medikationsplan.

 

Stichwort ePA: Erwartungsgemäß wird die existierende ePA, die nicht einmal ein halbes Prozent der GKV-Versicherten installiert hat, in eine Opt-out-ePA umgebaut. Bis 2024 soll sie eingeführt und bis Ende 2025 eine Abdeckung von 80 % erreichen. Auch hier gibt es noch viele unbeantwortete Fragen. Nicht zuletzt werden regulatorische Änderungen mit hineinspielen, die erst einmal parlamentarisch verhandelt werden müssen. Ein wichtiger Punkt im Kontext der ePA die niedrigschwellige Nutzbarkeit, und die hängt eng damit zusammen, wie digitale Identitäten, die die Krankenkassen ab 2024 ausgeben sollen, konkret für die ePA-Zugriffe genutzt werden dürfen. Die kürzlich publizierte eID-Spezifikation der gematik ist so restriktiv, dass weder BMG noch gematik sie gut finden. Dass das Ministerium jetzt ankündigt, das Ex-ante-Veto des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) und des BSI in Bezug auf TI-Anwendungen zu kippen und deren Voten durch das Votum eines Ausschusses zu ersetzen, in dem auch Medizin und Ethik vertreten sind, spricht Bände.

 

Quo vadis gematik?

Überhaupt die gematik. Sie soll in eine Bundesagentur umgewandelt werden. Auch die war, wie die Opt-out-ePA, schon Teil des Koalitionsvertrags der Ampel-Koalition. Bundesagentur heißt, dass die Bundesrepublik 100 % der Anteile übernimmt, also auch jene 49 %, die derzeit noch bei GKV, KBV, Bundesärztekammer, Deutschem Apotheker-Verband und Krankenhäusern liegen. In dieser Konsequenz kommt das für einige überraschend, was es konkret heißt – insbesondere im Hinblick auf derzeit aufregend dezentrale Themen wie die Software-Zertifizierung – ist zum aktuellen Zeitpunkt noch offen.

 

Weitere Punkte, die die Strategie und/oder die Eckpunkte der beiden Gesetze enthält, hier nur in Stichpunkten:

  • Es soll ein Forschungspseudonym geben, das die unterschiedlichen Daten, die beim Forschungsdatenzentrum (FDZ) des BfArM zusammenlaufen, integriert und das auch ePA-Daten umfassen wird. Die Forschung auf Basis von ePA-Daten ist prinzipiell freiwillig, wobei Lauterbach bei der Pressekonferenz ankündigte, dass gewisse Arten der epidemiologischen ePA-basierten Forschung – möglicherweise im Zusammenhang mit dem geplanten Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit – auch zustimmungsfrei möglich werden sollen.

  • Forschungsseitig soll auch der Industrie das Recht gegeben werden, beim FDZ Forschungsanträge zu stellen.

  • Die DiGA sollen insofern ein Update erhalten, als künftig auch Medizinprodukte der Klasse IIb DiGA sein dürfen. Gleichzeitig soll es möglich werden, umfassende telemedizinische Versorgungskonzepte unter dem DiGA-Dach anzubieten.

  • Das E-Rezept soll ab Sommer 2023 eingeführt und ab Januar 2024 verbindlicher Standard werden.

  • Von den im Rahmen des ÖGD-Pakts geförderten Gesundheitsämtern sollen sich 60 % bis zum dritten Quartal 2026 in mindestens drei Kategorien des Reifegradmodells Gesundheitsämter um mindestens zwei Stufen verbessern.

  • Analog sollen sich mindestens 50 % der KHZG-geförderten Krankenhäuser bis Ende 2025 im Krankenhaus-Reifegradmodell in mindestens zwei Kategorien um mindestens zwei Stufen verbessern.

 

Erste Reaktionen

Die ersten Reaktionen auf die Digitalisierungsstrategie kamen relativ rasch, sie fielen sehr unterschiedlich aus. Eine gewisse Unsicherheit ist spürbar. Die KBV wendet sich nicht kategorisch gegen eine Opt-out-ePA, warnt aber davor, sie „überhastet“ anzustoßen. Den Einführungstermin 2024 hält sie für unrealistisch. Der GKV-SV kritisiert die Komplettverstaatlichung der gematik und fügt süffisant an, dass die Krankenkassen davon ausgingen, dass eine künftige gematik als staatliche Institution dann wenigstens auch vom Staat finanziert werde.

 

Sehr deutlich kritisch äußert sich die Bundesärztekammer, die fürchtet, dass die Praktikerperspektive künftig außen vor bleiben werde: „Um es klar auszudrücken: Schon bisher kann das Bundesgesundheitsministerium über die Mehrheit seiner Gesellschafteranteile in der gematik alle Entscheidungen treffen. Geholfen hat das wenig, weil man nicht ausreichend auf die Praktiker der Versorgung gehört hat. Nun möchte man diese Stimmen offenbar ganz ausblenden. Damit droht sich zu verschärfen, was schon bisher galt: Wir haben ein Problem bei der Qualität der Entwicklung und Testung der digitalen Anwendungen und deren Umsetzung durch entsprechende Software.“

 

Industrieseitig betont der bvitg, dass eine digitale Transformation nur mit fairem Wettbewerb zu schaffen sei. Gelobt wird, dass es endlich ein Leitbild gebe und dass die Nutzung von Gesundheitsdaten inklusive Industriezugriff ermöglicht werde. Bei der ePA hingegen sei weiterhin offen, wie der niedrigschwellige Zugang gelingen soll und wie die digitale Medikation integriert werden soll. Hier sei insbesondere eine verpflichtende Bereitstellung durch die Verschreiber:innen nötig, so der Verband. Klar positiv gestimmt ist der BVMed, der sowohl die Ausweitung der DiGA in Richtung Medizinprodukteklasse IIb als auch den Datenzugang für die Industrie lobt. Viel Lob kommt schließlich auch vom Bundesverband Managed Care, der vor allem auf eine automatisierte Befüllung des Medikationsplans in der ePA sowie auf die Gleichstellung von digitalen und analogen Versorgungsprozessen abhebt.

 

Weitere Informationen:

Gemeinsam Digital - Die Digitalisierungsstrategie das für Gesundheitswesen und die Pflege

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/D/Digitalisierungsstrategie/BMG_Broschuere_Digitalisierungsstrategie_bf.pdf