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Health-IT |

Kann KI-Coaching Gesundheit am Arbeitsplatz fördern?

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz nehmen zu und stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Schulungen und Workshops sollen hier im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung Abhilfe leisten. Doch oft scheitert die Umsetzung von guten Vorsätzen. Könnte hier ein KI-Coach als Umsetzungsbegleiter helfen?

Bild: © Maria Vitkovska – stock.adobe.com, 1178039094Stand.-Liz.

Ein Blick in die Krankenkassen-Statistiken (z. B. Techniker Krankenkasse, 2024) reicht aus, um zu erkennen, dass bei den Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund „psychischer und Verhaltensstörungen“ Handlungsbedarf besteht. Die European Agency for Safety and Health at Work (2022 - 2024) zeigt in ihrer Befragung auf, dass 27 Prozent der befragten Arbeitnehmer:innen über Gesundheitsprobleme wie „Stress, Depression und Angst“ bzw. eine allgemeine Ermüdung/Erschöpfung (37%) berichten.


Psychosoziale Risiken für die Beschäftigten erwachsen im Arbeitskontext vor allem aus einer unangemessenen Arbeitsgestaltung/-organisation, einer inadäquaten Führung sowie aus einem nicht angemessenen sozialen Umfeld, so die European Agency for Safety and Health at Work (2022 - 2024). Gemäß Empfehlungen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie sollten sich Arbeitgeber bei der Betrachtung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sowohl der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeit als auch den sozialen Beziehungen, der Arbeitsumgebung und den Arbeitsmitteln widmen. Dies kann im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung umgesetzt werden (vgl. Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, 2022).

 

Führungskräften kommt eine wichtige Rolle zu

Bei der Gestaltung solcher Arbeitsbedingungen der Beschäftigten kommt den Führungskräften eine relevante Rolle zu. Denn sie nehmen erheblichen Einfluss auf die Stressoren und Ressourcen der Arbeit. Zeitgleich sind Führungskräfte Vorbild für Gesundheitsverhalten. Dies gilt insbesondere auch in neueren Arbeitsformen wie den hybriden Arbeitsmodellen, in denen Führungskräfte trotz bestehender Distanz auf die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu achten haben.


In Unternehmen wird in den letzten Jahren immer mehr im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung unternommen. Gerade Workshops und Schulungen sollen helfen, damit die Beschäftigten besser lernen, mit Stress umzugehen bzw. ihre eigene Resilienz aufzubauen. Um Führungskräfte gesundheitsförderliches Verhalten erlernen zu lassen, werden oft (mehrtägige) Trainings angesetzt. Doch hier gibt es das Problem, dass es Menschen schwerfällt, sich selbst zu verändern und das Gelernte in der Praxis umzusetzen. Dieser mangelnde Lerntransfer ist ein viel zitiertes und gut untersuchtes Phänomen.

 

Den Lernprozess durch Transfercoaching fördern

Eine Lösung wäre, hier Coaches einzusetzen, die beim Transfer helfen. Das ist meist zu teuer, die Ressourcen – auch personeller Natur – sind zu knapp. Daher findet ein Transfer-­Coaching kaum statt. Vielmehr besteht die Hoffnung, dass die Beschäftigten aus eigenem Interesse und mit genügend Motivation die Umsetzung alleine schaffen. Doch das ist ein Irrtum. Auf der anderen Seite besteht die Annahme, dass es die Rolle der Führungskräfte ist, ihre Mitarbeitenden bei der Umsetzung zu „coachen“. Doch die Praxis zeigt, dass ihnen dazu die Zeit fehlt.


Es wird deutlich, dass es neue Lösungen braucht, damit Menschen ihre Leistungsfähigkeit und Gesundheit am Arbeitsplatz erhalten. Weiterhin kommt hinzu, dass Gesundheit ein recht persönliches Thema ist und es oft in den Firmen nicht salonfähig ist, über eigenen Stress und Überlastung zu sprechen. Das Problem könnte mithilfe von KI-Unterstützung gelöst werden, indem es einen KI-gestützten Coach gibt, der Menschen über einen gewissen Zeitraum bei der Umsetzung begleitet. Für Führungskräfte und Beschäftigte hätte dies den Vorteil, dass sie persönlich unterstützt würden, aber auch alles in einem privaten, geschützten Rahmen bleibt.

 

Pilotprojekt zur Unterstützung durch einen KI-Coach

Die Hochschule für angewandtes Management in Berlin hat sich in einem einjährigen Projekt genau diesem Lösungsansatz gewidmet und den Prototyp einer App namens KI-Coach-Work-Health entwickelt. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des Förderprogramms „Civic Innovation“ der Civic Innovation Platform – gemeinwohlorientierte KI-Anwendung mit arbeits- und sozialpolitischem Bezug. Die Grundidee der KI-Coach-Unterstützung besteht darin, die Nutzer:innen durch einen wissenschaftlich fundierten veränderungspsychologischen Prozess zu führen, damit sie gewünschte Vorsätze für eine Verbesserung des eigenen Gesundheitsverhaltens bzw. eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erfolgreich und nachhaltig umsetzen.


Dabei kommen den KI-Coach-Nutzer:innen psychologische Methodiken wie die des Rückfallmanagements zugute. Wie mit einer Lupe wird der Blick des Nutzers auf die Hindernisse gerichtet, die ihn sonst im Veränderungsprozess häufig scheitern lassen. Schritt für Schritt regt die App an, sich Risiken für den Umsetzungserfolg bewusst zu machen und dafür passende Lösungen zu definieren. 


Bei den Lösungsvorschlägen werden die Nutzer:innen durch die künstliche Intelligenz unterstützt, welche ihnen Empfehlungen in Form von passenden Textbausteinen als Anregung anbietet. Die Textbausteine basieren auf Interviews mit Führungskräften und Expertengesprächen. So bekommen z.B. Führungskräfte zum einen gute Hilfestellungen bei der Frage, wie sie die Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten optimieren können, und werden auf der anderen Seite bei deren Umsetzung über einen Zeitraum von acht Wochen begleitet. Quasi ein Coach für die Hosentasche.


Erste kleinere Benutzertests und Studien zeigen, dass eine solche KI-gestützte Lösung die Führungskräfte bei der Selbstreflexion der eigenen Arbeitsbedingungen und der Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter:innen unterstützen kann. 

 

Fazit

Die hohen Arbeitsunfähigkeitstage stellen Unternehmen vor finanzielle und personelle Herausforderungen. Gesundheitsförderung wird als Mittel genutzt, um die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten. Doch die häufig eingesetzten Seminare und Workshops haben ihre Grenzen. Denn oft wird das Gelernte nicht umgesetzt, weil es schwer ist, eigenes Verhalten oder Arbeitsbedingungen erfolgreich und nachhaltig zu verändern. Künstliche Intelligenz bietet Führungskräften eine gute Unterstützungsmöglichkeit, die Umsetzung von gesunder Arbeit zu erreichen und sich so zeitlich zu entlasten.


An der Hochschule für angewandtes Management wird weiter an der KI-Lösung geforscht. Durch Unterstützung können breitere themenrelevante, psychologische Inhalte integriert, die Benutzeroberfläche noch ansprechender gestaltet und der Prototyp auf einen noch höheren technologischen Stand gebracht werden. So kann das Forschungsprojekt die Vorteile einer technologischen Herangehensweise für Unternehmen analysieren. Vorteile einer KI-App-Lösung sind die hohe Skalierbarkeit der Umsetzungsbegleitung, eine Reduktion von Workshops und damit eine Einsparung von Zeit und Kosten des Unternehmens sowie ein hoher Grad an Individualisierung statt einer One-fits-all-Lösung. Auf diese Weise besteht die Chance, Gesundheitsförderung für eine große Zahl an Beschäftigten nachhaltig zu gestalten und ihre Führungskräfte bei der Umsetzung gesunder Arbeitsbedingungen zu begleiten. 

 

Autor:innen

Dr. Nicole Deci
Arbeits- und Organisationspsychologin, bis Ende Dezember 2024 Mitarbeiterin im Projektteam KI-Coach-Work-Health, aktuell Referentin Prävention, Stabsstelle Arbeitspsychologie und Individualprävention der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) 
Kontakt: Dozent.Nicole.Deci(at)edu.fham.de

 

Prof. Dr. Axel Koch
Veränderungspsychologe, bis Ende Dezember 2024 Leitung Projektteam KI-Coach-Work-Health, aktuell Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management
Kontakt: Axel.Koch(at)fham.de

 

Sebastian Hofreiter
bis Ende Dezember 2024 Mitarbeiter Projektteam KI-Coach-Work-Health, aktuell Managing Partner und Mitgründer der wirtschaftspsychologischen Unternehmensberatung quantics plus
Kontakt: dozent.sebastian.hofreiter(at)edu-fham.de 

 

Weitere Informationen

Das folgende 2-Minuten-Video gibt einen kurzen Einblick in das Projekt und den aktuellen Prototypen der App KI-Coach-Work-Health:
https://youtu.be/N6PvOd0BgKw