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Medizin |

KI im Gesundheitswesen: Hype oder Heilsbringer?

Künstliche Intelligenz wird im Gesundheitswesen bisher nur punktuell eingesetzt. Woran liegt das? Welche Chancen bietet KI, wo hat sie Grenzen?

In KI steckt ein enormes Potenzial, Krankenhauspersonal zu entlasten und die Gesundheitsvorsorge zu verbessern. Bild: © Dell Inc.; Gorodenkoff Productions OU

Eine der großen Stärken von Künstlicher Intelligenz ist es, Muster und Anomalien in großen Datenmengen zu erkennen. Damit ist sie prädestiniert, um im Gesundheitswesen wertvolle Erkenntnisse zu liefern, fallen dort doch äußerst viele Daten an – angefangen von Arztnotizen über Vitaldaten bis hin zu Laborergebnissen und medizinischen Aufnahmen. Insbesondere bei der Auswertung von Ultraschall-, Röntgen-, CT- und MRT-Bildern leisten die Algorithmen bereits seit Jahren gute Dienste und werden stetig besser. Sie helfen beispielsweise bei der Erkennung von Schlaganfällen, Herz- und Lungenerkrankungen sowie Tumoren. Damit unterstützen sie Ärzt:innen bei der Auswertung der Bilder, die viel Zeit verschlingt und bei der ob der schieren Menge meist gar nicht alle Aufnahmen begutachtet werden können. Bereits 2019 wurden laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg rund 13,5 Billionen Schichtbilder in der Radiologie produziert, von denen nur sieben Prozent medizinisch genutzt wurden.

 

Wichtig dabei ist festzuhalten, dass die KI nur auf Auffälligkeiten in den Bildern hinweist, bei der genaueren Differenzierung innerhalb einzelner Krankheitsbilder unterstützt oder mit Prognosen zum Krankheitsverlauf eine zielgerichtetere Behandlung ermöglicht. Die eigentliche Diagnose und die Entscheidung über die Therapie obliegen weiterhin den Ärzt:innen, denn ein vollautomatisierter Ansatz ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern auch riskant. Für ein abschließendes Urteil sind häufig weitere Untersuchungen, etwa von Gewebeproben, unverzichtbar, und in der Regel müssen auch verschiedene Behandlungsformen sowie ihre Auswirkungen und Risiken gegeneinander abgewogen werden. Das sind schwerwiegende Entscheidungen, die keine Maschine treffen kann, schon allein weil KI alles andere als unfehlbar ist. In der Vergangenheit hat sich zum Beispiel gezeigt, dass KI teilweise Schwierigkeiten hat, Hautkrebs auf dunkler Haut zu erkennen, weil sie überwiegend mit Aufnahmen hellhäutiger Menschen trainiert wurde.

 

Manchmal ist ein solcher Bias leicht zu erkennen, oft jedoch nicht. So wurde in Studien festgestellt, dass KI anhand von Röntgenaufnahmen der Brust oder Herzultraschallbildern auf die Abstammung der Patient:innen schließen kann. Da es keine bekannte Korrelation gibt, ist für die Wissenschaft noch unklar, wie die KI das schafft – und ob sich daraus möglicherweise unbeabsichtigte Diskriminierungen ergeben. Hinzu kommt, dass KI letztlich nur das tut, worauf sie trainiert wurde, ihre Ergebnisse und Entscheidungen aber nicht erklären, interpretieren oder kritisch bewerten kann. Dies bleibt eine der wichtigsten Aufgaben von Ärzt:innen und ist zugleich ein Grund, warum medizinische KI nicht als Black Box agieren darf, sondern Transparenz bieten muss, wie und warum sie Entscheidungen trifft.

 

Datenschutz und unzureichende Digitalisierung als Hürden

Ebenso wie aus der Bildanalyse ist KI auch aus der medizinischen Forschung und Entwicklung längst nicht mehr wegzudenken. Die Algorithmen analysieren das menschliche Erbgut, Proteinstrukturen und Moleküle und ermöglichen detaillierte Simulationen. Damit helfen sie, Krankheiten besser zu verstehen, neue Wirkstoffe schneller zu finden und diese bereits vor klinischen Testphasen umfangreich zu untersuchen. Das Potenzial in diesen Bereichen ist riesig, locken doch nicht nur bessere und individuellere Behandlungen, sondern auch eine schnellere und kostengünstigere Entwicklung von Arzneimitteln. Derzeit hemmen die hohen Kosten von teilweise mehreren Milliarden Euro insbesondere die Entwicklung von Medikamenten für seltene Erkrankungen und neuen Antibiotika, die angesichts zunehmender Resistenzen dringend benötigt werden.

 

Kaum eine Rolle spielt KI hingegen bislang in der Prävention und bei der Optimierung von Abläufen in Krankenhäusern. In der Prävention gibt es zwar einige Vorsorgeuntersuchungen, die sich aber vor allem nach dem Alter und Geschlecht richten und nicht sehr individuell sind. Im Grunde liegt der Fokus des Gesundheitswesens eher auf der Behandlung von Erkrankungen und weniger auf deren Vermeidung oder möglichst frühzeitiger Diagnose. Dabei könnten zum Beispiel die Krankenkassen personalisierte Vorsorgepläne erstellen, wenn sie Zugriff auf selbst erfasste Gesundheitsdaten, die Ergebnisse früherer ärztlicher Untersuchungen und die Familienhistorie hätten. Intelligente Anwendungen wären in der Lage, in diesem Datenpool etwa Risikofaktoren für Krankheiten oder sogar Krankheiten im Frühstadium zu erkennen. Darauf basierend würden die Kassen dann passende Vorsorgeangebote empfehlen oder einen Arztbesuch anraten, damit Behandlungen starten, bevor Krankheiten sich verschlimmern, chronisch oder sogar unbehandelbar werden. Bislang stehen allerdings Datenschutzgesetze und die Bedenken vieler Bürger:innen dem Aufbau der notwendigen Datenpools entgegen.

 

Im Krankenhausalltag wiederum könnte KI viele logistische Abläufe optimieren – ganz so, wie sie in der Industrie schon heute Lagerhäuser und Fertigungsstraßen überwacht und steuert. Sie könnte etwa die Belegung von Zimmern und Betten planen und sowohl Patiententransporte – etwa zu Untersuchungen – als auch die Reinigung der Zimmer organisieren. Sie wäre auch fähig, den Verbrauch von Medikamenten und medizinischem Material wie Spritzen, Verbänden und Einmalhandschuhen zu prognostizieren und rechtzeitig Nachbestellungen einzuleiten. Dabei würde sie sogar bisherige Erfahrungen mit der Zuverlässigkeit von Lieferanten oder saisonale Effekte wie Grippewellen bei der Planung berücksichtigen. Dass diese Möglichkeiten bislang nicht genutzt werden, liegt schlicht daran, dass den Krankenhäusern die notwendigen Daten fehlen, in proprietären Lösungen feststecken oder nicht in digitaler Form vorliegen. Hier fällt ihnen mehr oder weniger ihre späte und langsame Digitalisierung auf die Füße. Sie müssen dringend investieren, aber bei ihren Lieferanten und Partnern auch stärker Anwendungen und Systeme einfordern, die mit offenen Schnittstellen, Protokollen und Formaten einen reibungslosen Datenaustausch erlauben.

 

KI in der Chirurgie

Selbst im Operationssaal lässt sich KI inzwischen einsetzen, etwa bei der Planung und Simulation schwieriger Eingriffe mithilfe von 3D-Modellen, beim Einblenden nützlicher Informationen auf einem Monitor oder in einer AR-Brille. Dort kann die KI beispielsweise wichtige Strukturen markieren, warnen, wenn die Chirurgin oder der Chirurg empfindlichen Gefäßen oder Nervenbahnen zu nahekommt, und kontrollieren, ob Tumore rückstandsfrei entfernt wurden. Voraussetzung für solche Anwendungsfälle sind allerdings äußerst leistungsfähige IT-Infrastrukturen, stellt die Auswertungen der Bilddaten in Echtzeit doch viel höhere Anforderungen als die Analyse von Aufnahmen bildgebender Verfahren, bei denen es nicht auf Millisekunden, ja nicht einmal auf Minuten ankommt. Ohne Netzwerke mit sehr geringer Latenz und reichlich Rechenleistung am Edge, also direkt im Krankenhaus und nicht in der Cloud oder einem entfernten Rechenzentrum, sind viele operationsunterstützende KI-Anwendungen nicht umsetzbar.

 

Mit GenAI gegen den Fachkräftemangel

Neben diesen klassischen Formen der KI hat in den vergangenen Monaten generative KI (GenAI) einen rasanten Aufstieg erfahren. Wohl jeder hat vermutlich mitbekommen, wie vielseitig und leistungsfähig Tools wie ChatGPT bereits sind. Im Gesundheitswesen können sie künftig Fachkräfte bei Interaktionen mit Patient:innen oder Kolleg:innen unterstützen, teilweise sogar ersetzen, und damit dem Fachkräftemangel, der durch den demografischen Wandel in den nächsten Jahren noch verschärft wird, lindern.

 

Organisatorische Fragen beantworten, Beschwerden und Medikationen abfragen, Termine vereinbaren, einen Essens- oder Getränkewunsch entgegennehmen oder Gespräche protokollieren – all das kann GenAI nicht nur gut, sondern auch rund um die Uhr und in vielen verschiedenen Sprachen. Damit lässt sie sich unter anderem in Telefonzentralen, Stationszimmern und in der Patientenaufnahme einsetzen. Im Zusammenspiel mit klassischer KI erkennt sie auch die Stimmung des Gegenübers und sogar Anzeichen psychischer Erkrankungen und kann somit bei Bedarf das Pflegepersonal oder eine Fachärztin oder einen Facharzt hinzuziehen. Offen ist allerdings noch, wie die digitalen Assistenten für Gespräche von Angesicht zu Angesicht gestaltet werden sollten, damit die Patient:innen sie optimal annehmen. Menschlich aussehende Avatare, die Gespräche in natürlicher Sprache führen, lassen sich mit Komplettlösungen bereits zügig und risikofrei umsetzen und für verschiedene Anwendungsfälle anpassen.

 

Darüber hinaus kann GenAI auch Rechercheaufgaben übernehmen, beispielsweise bei sogenannten Tumorboards, in denen Onkolog:innen, Chirurg:innen, Radiolog:innen und andere Fachärzt:innen medizinische Befunde und Behandlungsmöglichkeiten von Krebspatient:innen diskutieren. Ein GenAI-Assistent protokolliert die Gespräche im Hintergrund mit und sucht – in der Regel ohne explizite Aufforderung, sondern aus der Analyse der Gesprächsinhalte heraus – nach benötigten Aufnahmen, Studien oder ähnlich gelagerten Fällen aus der Vergangenheit und stellt sie den Ärzt:innen zur Verfügung. Das kann er allerdings nur, wenn er Zugriff auf alle relevanten Informationen hat, weshalb Krankenhäuser ihre medizinischen Daten in einem Pool zusammenführen sollten.

 

Letztlich bietet KI noch viele weitere Möglichkeiten, das Krankenhauspersonal zu entlasten und die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Die Erwartungen mögen hoch sein, sind in den meisten Fällen aber durchaus gerechtfertigt, wie andere Branchen zeigen. Allerdings basieren die einzelnen Anwendungsfälle auf der Verfügbarkeit von Daten, weshalb Krankenhäuser gefordert sind, ihre Digitalisierung weiter voranzutreiben. Daneben braucht es gesellschaftliche Diskussionen über die Vorteile und Grenzen von KI, um Ängste und rechtliche Hürden abzubauen und einen verantwortungsvollen Einsatz der vielversprechenden Technologie sicherzustellen.