So richtig glücklich kann das deutsche Gesundheitswesen mit der Digitalisierung seiner Krankenhauslandschaft weiterhin nicht sein, das hat der kürzlich vorgelegte IT-Report Gesundheitswesen der Hochschule Osnabrück einmal mehr gezeigt. Viele Projekte, aber zu wenig echte Vernetzung. Viele Portale, aber zu wenig Daten. Und vor allem: viel zu wenig Arbeit mit den Daten.
Die 50-Milliarden-Chance
Zeit für eine Trendwende, immer noch. Die sei dringender denn je, sagte Gottfried Ludewig, zuständig für Public Sector und Health Industries bei der Deutschen Telekom. Angesichts von Gesundheitskosten, die 13 % des BIP erreicht haben, Sozialabgaben, die an der 42-Prozent-Marke kratzen und einer Ärzteschaft, die zu einem knappen Vierteil 60 Jahre und älter ist, sei es keine Frage, ob man Digitalisierung wolle oder nicht: „Wir müssen Digitalisierung nutzen, weil uns das System sonst um die Ohren fliegt.“
Die Zeiten für einen echten Wandel seien derzeit so günstig wie vielleicht noch nie, so Ludewig: „Durch die Krankenhausreform und den Transformationsfonds haben wir eine 50-Milliarden-Chance. Das Problem ist: Geld war schon häufiger da, die Frage ist: Wir nutzen wir es, um vernetzte Strukturen aufzubauen.“ Ludewig kennt das Thema, war er doch am Krankenhauszukunftsgesetz, dem KHZG, nicht ganz unbeteiligt. Das KHZG gilt nicht mehr als große Erfolgsgeschichte, allenfalls als ein erster Schritt.
Erlebt die Lausitz ihr Digitalisierungswunder?
Der Wille seitens der Krankenhäuser zu einer jetzt echten digitalen Modernisierung ist vielerorts vorhanden, den Eindruck vermittelte zumindest der Future Health Day, den die Deutsche Telekom schon zum dritten Mal am Tag vor Beginn der DMEA in Berlin ausgerichtet hat. Ein Beispiel lieferte Sven Kleemann, Leiter Medizinische Informatik und Digitalisierung an einer der derzeit spannendsten Kliniken in Deutschland, dem Klinikum der neuen Medizinischen Universität Lausitz (MUL) Carl Thiem.
In der Lausitz wird eine skalierbare Hybrid- und Public-Cloud-Infrastruktur aufgebaut, in die von den administrativen Anwendungen über MVZ- und Klinik-IT-Systeme bis hin zur Medizintechnik sämtliche IT-Anwendungen migriert werden sollen – „in den nächsten Monaten“, ob das so klappt, wird sich zeigen. Mit dabei ist in jedem Fall auch Martin Peuker, seit Januar Digitalisierungsvorstand an der MUL. Er machte keinen Hehl daraus, dass er auf mehr Geschwindigkeit hofft – kein Wunder nach fast acht Jahren als CIO an der Charité Berlin, wo zwar gern und viel über Digitalisierung geredet wird, in der stationär-klinischen Versorgung davon allerdings nach wie vor kaum etwas ankommt.
Robert-Bosch Campus: Starten mit dem Fundament
Mitten in einem Cloud-Projekt steckt auch das Robert-Bosch Krankenhaus in Stuttgart, Teil des Bosch Health Campus, der auch noch Forschungsinstitute, eine große Pflegeakademie und Stiftungsinfrastrukturen umfasst. Das Stuttgarter Cloud-Projekt startete vor drei Jahren und ist vorerst fünf Jahre angelegt: „Wir bauen unsere Infrastruktur von unten Schicht für Schicht auf.“ Zunächst, so CIO Dietmar Schulz, habe man eine Fehlentscheidung der Vergangenheit korrigieren müssen: „Fiber to desk war ein Fehler, wir verlegen neue Kupferleitungen.“ Es werden Speichersysteme aufgebaut, die alle Daten zentral verfügbar machen, und es wird eine Datenintegrationsplattform obendrüber gelegt.
Das Ganze wird sowohl in der Cloud als auch on-premise laufen. Beides soll quasi fließend ineinander übergehen, mit einem zusätzlichen 5G-Campus-Netz für den Fall der Internetaus-Fälle. Was im Moment noch fehlt, ist die Schicht der Anwendungsplattformen – die eigentliche Herausforderung, denn spätestens hier wird es dann auch um klinische Prozesse gehen. Ziel sei es, so Schulz, die Ärztinnen und Ärzte mitverantwortlich für die Optimierung der klinischen Prozesse zu machen, und zwar über Abteilungsgrenzen hinweg.
Inselspital Bern: „30.000 nutzen die App“
Einer, der damit schon Erfahrung hat, ist Prof. Dr. Martin Fiedler, Ärztlicher Direktor am Universitätsspital Bern. Dort hat man das, was viele deutsche Häuser noch vor sich haben, bereits hinter sich – beziehungsweise man steckt mittendrin. Vor einem Jahr hat das Berner Inselspital den IT-Neustart gewagt und setzt seither auf das US-KIS Epic. Fiedler lässt darauf nichts kommen: „Das war die beste Entscheidung, die wir treffen konnten.“
Anders als alle anderen Systeme, die er kenne, setze das System die „Patient Journey“ in den Mittelpunt. Alle Patient:innen bekommen eine App, alle zuweisenden Ärztinnen und Ärzte können sich einklinken. Und das funktioniere, so Fiedler. Anders als bei dem vor 15 Jahren eingeführten elektronischen Patientendossier der Schweiz (ePD), das nach wie vor nur 100.000 von 8 Millionen Schweizer:innen nutzten, sei man bei der Insel-App innerhalb von Monaten auf 30.000 Nutzer:innen gekommen.
Drei übergreifende Patientenpfade sollen Silos sprengen
Aktuell werden in Bern die Patientenpfade innerhalb der Klinik (und der IT) ausbuchstabiert: „Das ist Stress, wir kriegen dafür nicht nur positive Resonanz, das tut auch weh. Aber wir müssen an der inneren Organisation des Spitals arbeiten, sonst scheitert jeder digitale Prozess an den Silogrenzen der einzelnen Abteilungen.“ Konkret wollen die Berner drei weitgehend standardisierte „Patient Journeys“ etablieren, eine ambulante, eine stationäre mit Operation und eine stationäre konservativ-medizinische.
Letztlich so Fiedler, müsse die Zuständigkeit für die patientenbezogenen Prozesse aus den Kliniken bzw. Fachabteilungen heraus und in die zentrale Organisation hinein geholt werden: „Wenn wir diese Silos nicht auflösen, kriegen wir keine Digitalisierung in die Landschaft. Die Kliniken bleiben aber verantwortlich für die Fachentwicklung.“ Ein ganz wichtiger Hebel bei einer solch fundamentalen Restrukturierung sei der unmittelbare Datenzugang für Patient:innen: „Wenn Sie den Patienten Datenzugang geben, und zwar nicht auf PDFs, sondern auf den Ultraschall, auf das Echo, dann passiert etwas. Dann entsteht Vertrauen.“