Gesundheitspolitisch dreht sich im Moment alles um die Finanzproblem der Gesetzlichen Krankenversicherung, um die Krankenhausreform und um das geplante Primärarztsystem. Dabei kommt mitunter etwas kurz, dass es noch weitere sehr prioritäre gesundheitspolitische Themen gibt, die die neue Bundesregierung angehen muss.
Digitalisierung: Da liegt was „in der Schublade“
Dazu gehört auch die (weitere) Digitalisierung. Dr. Georg Kippels, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), ließ sich beim Summit von Vision Zero Oncology in Berlin nicht wirklich in die Karten blicken, kündigte aber zumindest an, dass in Sachen Digitalisierung etwas „in der Schublade“ liege. Dabei dürfte es um weitere gesetzliche Anpassungen im Hinblick auf den European Health Data Space (EHDS) gehen, aber auch darum, nach den Vorarbeiten der Ampelkoalition den Gesundheitswirtschaftsstandort Deutschland und hier insbesondere den Studienstandort Deutschland weiter zu stärken.
Es sei ein Problem, so Kippels, dass Deutschland bei der Auslegung europäischer Gesetze und Verordnungen wie der Datenschutzgrundverordnung immer noch eine Schippe drauflegen müsse: „Wir müssen nicht ständig besser und genauer und sorgfältiger sein als andere in Europa. Wir können die europäischen Vorgaben eins zu eins übernehmen.“ Aktuell stellt sich die Frage der Umsetzung europäischer Gesetzesvorgaben nicht nur beim EHDS, sondern auch beim AI Act.
Versorgungsdaten besser zugänglich machen!
Übergeordnetes Ziel der Digitalisierungsbemühungen des neuen BMGs sei es, die Patient:innen digital einzubinden, so Kippels. Künstliche Intelligenz und Wearables seien hier zwei wichtige Stichworte, insbesondere im Hinblick auf die Prävention. Auch hier: Konkreter wurde es nicht. Kippels wandte sich aber zumindest deutlich dagegen, die kommerzielle Nutzung von Gesundheitsdaten zu diskreditieren: „Wir brauchen auch Impulse aus der Wirtschaft.“
Einer, der diese Position schon seit Langem vertritt, ohne selbst aus der Industrie zu kommen, ist Prof. Dr. Michael Hallek von der Onkologie am Universitätsklinikum Köln. Hallek ist auch Vorsitzender des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen und betonte als solcher, dass es weiterhin dringend erforderlich sei, medizinische Versorgung und medizinische Forschung stärker zu verzahnen bzw. die Versorgungsdaten für die medizinische Forschung systematischer zugänglich zu machen.
Halleks krebsbezogenes Beispiel waren die Checkpoint-Hemmer, die zwar eine große Innovation seien, bei denen aber weiterhin unklar sei, wer davon genau profitiere und wie lange sie eingesetzt werden müssten. Hier könne eine wissensgenerierende Versorgung Antworten liefern, aber dafür müssten Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichten, Wissen aus den Versorgungsdaten zeitnah und umfassend zu extrahieren. Subtext: Ein Forschungsdatenzentrum beim BfArM mit Krankenkassendaten, ein paar ePA-Daten und irgendwann mal ausgewählten Registerdatensätzen – das reicht nicht.
„Vielleicht mal ein Fax schicken“
Stichwort elektronische Patientenakte und Telematikinfrastruktur. Auch die ließen sich in viel größerem Umfang als bisher für den Kampf gegen Krebs nutzen, gerade auch im Kontext Prävention. Ein Thema ist hier die Dokumentation von und die Kommunikation über Impfungen. Denn einige Impfungen – die HPV-Impfung, die Hepatitis B-Impfung – sind auch oder sogar in erster Linie Impfungen gegen Krebs.
Hilfreich zur Durchsetzung höherer Impfquoten, da sind sich Expert:innen einig, wäre eine digitale Impfdokumentation. Der Präsident des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen, Han Steutel, hatte dazu eine Anekdote im Gepäck. Er habe der Geschäftsführung der gematik vor einiger Zeit einen Brief geschrieben mit der Bitte, jetzt, wo die ePA endlich in die Umsetzung gehe, den elektronischen Impfpass etwas schneller zu integrieren als in den Timelines vorgesehen. „Ich habe noch keine Antwort bekommen“, so Steutel, der noch nachschob, dass ihn das auch nicht überrasche. Zwischenruf aus dem Publikum: „Vielleicht mal ein Fax schicken.“