Gutartiges Muttermal oder bösartiges Melanom? Diese Frage stellen sich Dermatologinnen und Dermatologen oft bei Untersuchungen. Hautkrebs ist eine sehr häufig auftretende Krebserkrankung, welche insbesondere in den letzten Jahren stark zugenommen hat – das zeigt beispielsweise eine Datenerhebung der KKH Kaufmännische Krankenkasse aus dem Jahr 2016. Aktuell liegt die Sensitivität bei der dermatoskopischen Diagnose bei nur 85 %. Um diese Prognosegenauigkeit von Hautkrebs durch Verfahren zur quantitativen Bilderzeugung und KI-Methoden zu verbessern, haben sich fünf baden-württembergische Forschungsinstitute im Rahmen des Projekts „Intelligente Diagnostik“ zu einem Konsortium zusammengeschlossen. Nach einer Laufzeit von 21 Monaten wurde das Forschungsprojekt erfolgreich abgeschlossen.
Nun liegt der Abschlussbericht des Forschungsprojekts vor. Eine wichtige Erkenntnis der Forscherinnen und Forscher war, dass eine morphologische Veränderung im Hautgewebe dazu führen kann, dass sich die Streueigenschaften des Gewebes verändern, was dann für die Diagnostik herangezogen werden kann. Für die Datengewinnung im Projekt wurde ein klinischer Aufbau konzipiert und entwickelt, der dank multispektraler Beleuchtung und schneller Kameras als Detektoren Bilddaten erfasst, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Hierzu projiziert dieser mit neun LEDs im sichtbaren und nah-infraroten Bereich unterschiedliche Beleuchtungsmuster auf die Hautläsion, deren remittiertes Licht mit zwei Kameras erfasst wird. Aus den erfassten Bilddaten werden anschließend eine dreidimensionale Topographie und weitere Parameter wie die Hämoglobinkonzentration berechnet. Außerdem wurde eine weitere Generation des Messsystems entwickelt, welche auf einer mikrooptischen hyperspektralen Detektionseinheit basiert, die es zukünftig ermöglicht, einen deutlich größeren Spektralbereich zu erfassen und auszuwerten.
Zur Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen Trainingsdatensatzes wurden Biomarker im Gewebe identifiziert. Diese mess- und bewertbaren biologischen Merkmale zeigen krankhafte Veränderungen auf und ermöglichten den Forschenden die einzelnen Datensätze zuverlässig zu klassifizieren. Zur Verwaltung der Trainingsdaten sowie der KI-Modelle wurde ein Managementsystem entwickelt, das durch eine webbasierte Benutzerschnittstelle diverse Funktionen bietet – beispielsweise lassen sich Datensätze hinzufügen, KI-Modelle trainieren und KI-basierte Diagnoseergebnisse abrufen. Ein FZI-Video zum Forschungsprojekt und dem System stellt das Projekt vor und erläutert den Diagnoseprozess, den Aufbau des Systems sowie die Funktionsweise der prototypischen Aufbauten.
Das im Projekt entwickelte System hat hohes Potenzial, aktuelle Standards der Diagnostik, welche derzeit noch auf reinen RGB-Bildern basieren, hinsichtlich der Diagnosegenauigkeit zu übertreffen. Es hat sich gezeigt, dass eine zuverlässige Klassifikation der einzelnen Datensätze anhand der Biomarker möglich ist. Die im Projekt verwendeten KI-Methoden erlauben im Vergleich zu den bislang gängigen Diagnosemethoden eine nähergehende Bewertung und Klassifizierung der zugrundeliegenden Melanome.
Über das Projekt
Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg hatte das Forschungsprojekt mit einer Fördersumme von 1,7 Millionen Euro unterstützt. Neben dem FZI waren folgende Institute der innBW am Forschungsverbundprojekt beteiligt:
· ILM – Institut für Lasertechnologien in der Medizin und Messtechnik an der Universität Ulm
· Hahn-Schickard-Institut Villingen-Schwenningen
· Hahn-Schickard-Institut Stuttgart
· NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen
Seit Juli 2021 setzen diese Partner mit erneuter Förderung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg bereits auf die Projektergebnisse auf: Im Rahmen des Folgeprojekts „Intelligente Diagnostik 2“ soll ein verbessertes und kostengünstigeres Diagnosesystem als Demonstrator entwickelt werden, mit dem langfristig Hautkrebs in Kliniken und Hautpraxen dank KI diagnostiziert werden kann. Neben dem Aufbau eines deutlich größeren Bestands an Trainingsdaten ist zudem die Weiterentwicklung zu einem kompakten, handgeführten System geplant, welches langfristig auch Hausärztinnen und -ärzten ermöglichen soll, das Hautkrebs-Screening sicher durchzuführen.
Quelle: FZI Forschungszentrum Informatik