Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will Investoren, die sich in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland einkaufen, stärker an die Kandare nehmen. Diese Investoren heißen Doktor.De, Avi Medical, Triton („Meine Radiologie“, „Deutsche Kardiologie Holding“) oder Patient21. Sie investieren in Zahnarztpraxen, Labors, ambulante Radiologien und, noch recht neu, in die Allgemeinmedizin.
Die Pläne des BMG, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter gewohnt forsch begleitet, werden flankiert von einer Bundesratsentschließung zur Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes, die im Juni verabschiedet wurde und die in den gesetzgeberischen Prozess einfließen soll. Diese Entschließung sieht zum einen ein Transparenzregister vor, zum anderen Maßnahmen, die Investoren in Sachen MVZ das Leben schwer(er) machen sollen. Dazu zählt ein Maximalradius von 50 km für von Krankenhäusern betriebene MVZs vor, dazu Begrenzungen des Versorgungsanteils für neue MVZ im jeweiligen Planungsbereich auf 25 % (Hausärzte) bzw. 50 % (Fachärzte) sowie eine Streichung der Möglichkeit des Arztstellenerwerbs für MVZ im Wege des Zulassungsverzichts. Letzteres würde eine obligate Neuausschreibung von Kassensitzen bedeuten.
Allgemeinmedizin in der Praxis und Telemedizin sollen sich ergänzen
Diese Regelungen könnten sich allerdings auf die Versorgungsdichte und auf die digitalen Strukturen in der ambulanten Versorgung auswirken. Denn zumindest einige der Investoren in diesem Bereich setzen auf hybride Versorgungsszenarien, die Arztpraxis und Telemedizin verknüpfen. Dr. Dirk Tietz ist Co-Geschäftsführer von Doktor.De, ein Tochterunternehmen des schwedischen Unternehmens Doktor.Se, das sich hybride Versorgungsmodelle auf die Fahnen geschrieben hat. Doktor.De betreibt aktuell fünf MVZ im Osten Berlins sowie ein weiteres in Hannover, allesamt allgemeinmedizinisch. Trägerklinik ist das kleine orthopädische Krankenhaus Praxisklinik Bergedorf in Hamburg.
Der Ansatz von Doktor.De besteht darin, Telemedizin und Präsenzversorgung eng zu verknüpfen. Es gibt eine App, die (auch praxisfremden) Patient:innen Zugang zu einer virtuellen Sprechstunde bietet. Die telemedizinische Betreuung übernehmen Ärzt:innen der eigenen MVZs sowie weitere Kooperationspartner. Für die unternehmenseigenen MVZ wird derzeit eine virtuelle Akutsprechstunde implementiert, die es möglich machen soll, dass Patient:innen innerhalb bestimmter Zeitslots virtuell mit dem/der jeweils eigenen Hausarzt/Hausärztin sprechen können.
„Hybride Versorgungsmodelle würden extrem erschwert“
Im Gespräch mit E-HEALTH-COM äußerte sich Tietz kritisch zu den MVZ-Plänen des Bundesrats. Vor allem dürften nicht alle Investoren über einen Kamm geschoren werden: „Wir machen explizit kein Cherry-Picking im Facharztbereich, sondern fokussieren uns auf hausärztliche Einrichtungen. Wir suchen nicht primär die überversorgten Top-Lagen, sondern gehen gezielt auch in Gebiete, in denen die Versorgung verbessert werden kann – auch wenn es dort nicht einfach ist, Ärztinnen und Ärzte zu finden.“
Die vom Bundesrat angestrebte, räumliche Einschränkung der Gründungsbefugnis eines MVZ auf einen Radius von 50 km ums Trägerkrankenhaus herum würde Investoren quasi zwingen, statt einem viele Krankenhäuser zu erwerben, was nicht sinnvoll sein könne: „Damit hätten nur noch die großen Krankenhausketten die Möglichkeit, flächendeckend MVZ-Strukturen aufzubauen. Das ist sicher nicht wettbewerbsfördernd, insofern sind diese Pläne eine Bevorteilung großer Krankenhausketten, aber eine Benachteiligung primär ambulant agierender Unternehmen wie uns.“
Auch den Entfall des Zulassungsverzichts gemäß § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V würde dem Aufbau hybrider Versorgungsmodelle extrem erschweren, gibt Tietz zu bedenken: „Das hätte vor allem auch negative Folgen für viele Ärztinnen und Ärzte, denn ihnen wird praktisch die Möglichkeit genommen, in ein Angestelltenverhältnis in ein MVZ zu wechseln. Außerdem bekommt jede Art von größeren Arztpraxen Probleme, wenn jeder Arztsitz automatisch neu ausgeschrieben werden muss, sobald ein Arzt oder eine Ärztin in Rente geht.“ Andere Punkte der Bundestagsentschließung sieht Tietz dagegen durchaus positiv, etwa die Stärkung des ärztlichen Leiters und auch das geplante Transparenzregister.
Finanzielle Anreize für Telemedizin reichen noch nicht
Unabhängig vom Thema MVZ-Regulierungsgesetz sieht Tietz beim Telemedizin noch gewissen Nachholbedarf in Deutschland – und er lobt diesbezüglich den Entwurf des Digitalgesetzes des BMG: „Dass die 30-Prozent-Grenze bei der Abrechnung telemedizinischer Leistungen fallen soll, begrüßen wir. Viele unserer kooperierenden Ärzte würden lieber ein bisschen mehr machen wollen. Manche sagen am Ende des Quartals bei uns Schichten ab, weil sie nicht sicher sind, wie nah sie schon an der 30-Prozent-Grenze sind. Generell sind die finanziellen Anreize, Telemedizin zu betreiben, für viele Ärzte noch nicht groß genug, um sich aktiv damit auseinanderzusetzen und den Anfang zu machen. Das liegt auch an den Abschlägen bei der Abrechnung. Wenn man die Telemedizin wirklich befeuern möchte, wäre es sinnvoll, finanziell etwas stärker zu unterstützen.“
Tietz ist überzeugt, dass „hybride“ Versorgungsanbieter wie Doktor.De einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können, die ambulante Versorgung zukunftsfähig zu halten. Von Maßnahmen, die Akteure mit privatem Kapital ausschließen, hält er wenig: „Das größte Problem in Deutschland ist der Ärztemangel. Darauf sollten wir unsere Energie eher konzentrieren als auf die Frage, wer bei der Versorgung mitspielen darf und wer nicht. Durch investorengetriebene MVZ kommt auch viel Innovation in den Markt. Ein Gesundheitssystem kann dadurch einen Modernisierungsschub bekommen. Meine persönliche Meinung ist, dass diese Vorteile genutzt werden sollten und die vermutete Profitgier – sei es durch MVZ oder Einzelärzte – durch die bestehende Regulatorik zumindest im hausärztlichen Bereich bereits weitgehend vermieden wird.“