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Health-IT |

Praxisverwaltungssysteme im Visier

Progress oder Provokation? Mit dem Entwurf des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes nimmt Team Lauterbach den Praxis-IT-Markt ins Visier.

Bild: © kebox, AdobeStoc, 281394229, Stand.-Liz.

Etwas überraschend nutzt die auf Führungsebene weitgehend neu gestaltete Digitalisierungstruppe von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Entwurf des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes (KHPflEG), um – Prinzip Omnibus – deutliche E-Health-politische Duftnoten zu setzen. Einer der Hauptansprechpartner, mancher mag sagen Hauptleidtragenden, ist die Praxis-IT-Industrie. Was wiederum nicht ganz so überraschend ist, denn dass dort „hineinregiert“ werden soll, daraus haben Lauterbach und seine IT-Chefin Susanne Ozegowski in den letzten Monaten kein Geheimnis gemacht.

 

Keine Zusatzkosten für Einbindung von Fremdkomponenten

Im Mittelpunkt steht der neue § 332 SGB V. Er adressiert im Teil a die Einbindung von Komponenten und Diensten der Telematikinfrastruktur in die Praxis-IT. Der Paragraph reagiert u.a auf die Erfahrung, dass Praxis-IT-Hersteller ihre Verträge und Angebote oft so gestalten, dass die prinzipiell mögliche Einbindung fremder Komponenten, zum Beispiel von KIM-Diensten anderer Hersteller, für die Kunden äußerst unattraktiv wird. Dem soll dadurch abgeholfen werden, dass TI-Komponenten künftig quasi per Gesetz „diskriminierungsfrei“ anbindbar sein müssen. Dazu betont § 332a explizit, dass „direkte oder indirekte Kosten“, die mit einer TI-Dienst-Alternative eines anderen als des jeweiligen Praxis-IT-Herstellers verbunden sind, unzulässig seien.

 

Der KBV, die eine sehr ausführliche Kommentierung der digitalisierungsbezogenen Abschnitte des KHPflEG-Entwurfs vorgelegt hat, gefällt das: Die Zielsetzung werde „ausdrücklich begrüßt“. Die Körperschaft sieht allerdings die Gefahr, dass auch diese Regelung unterlaufen werde bzw. dass die durch Anbindung herstellerfremder Komponenten entstehenden Kosten „über die Preise der anderen Anpassungen der Systeme“ querfinanziert werden. Es müsse deswegen eine Vermutungsregel oder eine andere Art der Absicherung ins Gesetz aufgenommen werden, so die KBV, die außerdem eine Meldestelle anregt, an die Verstöße gemeldet werden könnten und die auch zur Verhängung von Bußgeldern befugt sei.

 

Praxis-IT: Kommt der Kollektivvertrag?

Der § 332a in vielerlei Hinsicht noch „klassische“ deutsche E-Health-Politik. Der e§ 332b hingegen ist aus etwas anderem Holz geschnitzt. Er umfasst im KHPflEG-Entwurf nur wenige Zeilen, die eine Menge Interpretationsspielraum bieten. Hier der Wortlaut:

„Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen können für die an der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer verbindliche Rahmenvorgaben mit einzelnen Anbietern und Herstellern informationstechnischer Systeme für die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung vereinbaren.“

 

Mehr nicht. Wer sich den Kommentar zu diesem Paragraphen-Entwurf durchliest, erfährt, dass es den Verfasser:innen darum geht, die Verhandlungsmacht der Leistungserbringer:innen gegenüber den IT-Herstellern zu stärken durch, der Begriff drängt sich zumindest auf, gewisse kollektivvertragliche Elemente. Themen dabei seien demnach der Wechsel der Primärsysteme und auch unangemessen lange Kündigungsfristen, die „ein nicht unerhebliches Implementierungshindernis für die Anwendungen und Dienste der Telematikinfrastruktur“ darstellten, so das Ministerium. Dadurch, dass der KV-Seite die Möglichkeit eröffnet wird, quasi Rahmenverträge auszuhandeln, soll das Ungleichgewicht zwischen „kleiner“ Arztpraxis und „großem“ IT-Unternehmen abgemildert werden. Konkret heißt es in der Begründung:

„Um eine ausgewogene Vertragsgestaltung zu erreichen, ist es erforderlich, die Interessen der Leistungserbringer zentral zu bündeln und Vertragsschluss und Vertragsgestaltung auf Seiten der Leistungserbringer auf die Ebene der Verbände zu verlagern.“

 

Wenn das so bleibt, wäre eine kleine Zeitenwende. Von der KBV kommt auch hier prinzipielle Zustimmung, allerdings spürt man in der Stellungnahme der Körperschaft auch noch deutliche Unsicherheit. Aus dem Wortlaut des Gesetzesentwurfs werde nicht klar, um welche Inhalte es genau gehe, insbesondere nicht, ob die KVen auch Preisverhandlungen führen sollen. Die Gesetzesbegründung spreche dafür, „sämtliche Inhalte, die sonst zwischen Anbieter bzw. Hersteller und Vertragsarzt geregelt würden, auf die Ebene des Rahmenvertrags zu verschieben“, so die KBV.

 

Industrie: „Höchst problematisch“

Auch die IT-Industrie hat auf den KHPflEG-Entwurf prompt reagiert: Der BVITG begrüßt in einer Stellungnahme einerseits einige der diversen Fristverschiebungen bei TI-Anwendungen, die der Entwurf bringt. Gleichzeitig wird aber das Ansinnen, „marktrelevante Schlüsselkomponenten und Aufgaben an Körperschaften des öffentlichen Rechts und (teil)staatliche Institutionen“ zu übertragen, als „höchst problematisch“ bezeichnet. Insbesondere sei zu befürchten, dass gerade Klein- und Mittelständler in ihrer Existenz bedroht würden, sollten die geschilderten Vorhaben ohne Nachbesserungen umgesetzt werden.

 

Konkret zum geplanten § 332a betont der BVITG, dass der Ansatz, zu mehr Nutzerfreundlichkeit und Funktionalität zu kommen, grundsätzlich begrüßt werde. Allerdings müssten integrationstrelevante Anteile von Komponenten und Diensten der TI auch künftig herstellerspezifisch umgesetzt werden, was einen „nicht unerheblichen finanziellen Einsatz“ bedeute, da für jede zugelassene TI-Komponenten konkrete proprietäre Schnittstellen ausprogrammiert (und supportet) werden müssten. Unter Rückgriff auf einen populären Pandemiebegriff betont der BVITG:

„Die Forderung, Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur ohne Vergütung der entstehenden zusätzlichen Kosten anzubieten, ist unverhältnismäßig, da die deutlich höheren Aufwände für Installation, Wartung und Service für „Mix & Match“-Produkte von wenigen Einzelnen höher ausfallen als für Nutzer von Produkten „von der Stange“ und die zusätzlichen Kosten somit auf alle Anwenderinnen und Anwender umgelegt werden müssten.“

 

Klar ablehnende Worte gibt es erwartungsgemäß zum § 332b: Den Vorschlag, den kassenärztlichen Bundesvereinigungen eine „unmittelbare Marktteilnahme“ durch Vereinbarung von vertraglichen Rahmenvorgaben zu ermöglichen, während sie gleichzeitig zertifizieren und zulassen, sei ordnungspolitisch und verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Durch Rahmenverträge komme es „unweigerlich“ zu einer wettbewerblichen Verzerrung und Kartellbildung sowie zu einer „willkürlichen staatlichen Kontrolle des freien Marktes“. Entsprechend schlägt der BVITG vor, § 332b ersatzlos zu streichen.

 

 

Weitere Informationen:

KHPflEG Referentenentwurf und Begründung des BMG:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/K/KHPflEG_RefE.pdf  

 

Stellungnahme der KBV zum KHPflEG:

https://www.kbv.de/media/sp/KBV-Stellungnahme_Referentenentwurf_KHPflEG.pdf

 

Stellungnahme des BVITG zum KHPflEG:

https://www.bvitg.de/wp-content/uploads/22-08-18-bvitg_Stellungnahme_KHPflEG_final.pdf