Seit rund 15 Jahren gibt es in Deutschland mobile Stroke Units oder „MSUs“. Homburg und Berlin waren hier die Vorreiter, vor allem die Berliner haben das Thema wissenschaftlich voran- und in die Versorgung hineingebracht. In Berlin – und nur dort – heißen die MSUs nicht MSU, sondern STEMO, ein deutsch-englisches Kauderwelsch-Akronym für Stroke-Einsatz-Mobil.
In Berlin wurde jetzt auch im Rahmen einer besonderen Veranstaltung eine Art Zwischenbilanz nach 15 Jahren STEMO gezogen – aus zweierlei Gründen. Zum einen sind die insgesamt vier STEMOs, die es in Berlin gibt – drei im Betrieb und eines in Reserve – weiterhin prekär finanziert. Nachdem die CDU-geführte Landesregierung sich in Sachen Landeshaushalt ehrlich gemacht hat, geht einmal mehr die Sorge um, mit den STEMOs könnte es aus finanziellen Gründen bald vorbei sein.
Bisher gibt es nur temporäre Finanzierungen, die von Haushalt zu Haushalt erneuert werden müssen. Der Berliner „Mister STEMO“, Professor Dr. Heinrich Audebert von der Neurologie der Charité (Abbildung 1), hätte gerne, dass die STEMOs Teil der regulären Berliner Notfallversorgung werden, wodurch ihre Finanzierung langfristig gesichert wäre. Auch die anderen an der STEMO-Versorgung in Berlin beteiligten Akteure – das Vivantes Klinikum Neukölln, das Unfallkrankenhaus in Marzahn sowie die Berliner Feuerwehr – wollen das erreichen.
Moderneres CT, (viel) kleineres Auto
Da traf es sich gut, dass es aktuell noch einen weiteren Anlass gibt, die mobilen Stroke Units in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken: Der Rhein-Neckar-Kreis baut jetzt ebenfalls eine MSU-Versorgung auf, koordiniert vom Mannheimer MSU Konsortium unter der Leitung von Dr. Johann Rink von der Klinik für
Radiologie und Nuklearmedizin der Universitätsmedizin Mannheim. Das Spannende daran ist, dass nicht einfach das Berliner STEMO auf die Notfallversorgung im Rhein-Neckar-Kreis umetikettiert wird. Es wurde vielmehr eine komplett neue MSU entwickelt, und zwar von dem Karosseriebauer FREYTAG unter Nutzung eines „Somatom on.site“ genannten Miniatur-CTs von Siemens Healthineers. Letzteres kann trotz seiner überschaubaren Größe gut aufgelöste 32-Zeilen-Bilder anfertigen, die problemlos mit dem mithalten können, was fest installierte CTs in Notaufnahmen leisten.
Der Kardinalvorteil der Mannheimer MSU ist ihre Größe: Statt zwölf Tonnen, wie das Berliner STEMO, wiegt die neue MSU nur fünfeinhalb Tonnen. Damit funktioniert das Auto auch in engen Altstadtgassen, kann Dorfstraßen in den Mittelgebirgen anfahren und auch die eine oder andere Brücke queren, die mit einem Zwölftonner nicht ohne Weiteres überquert werden könnte. Erreicht wurde die Gewichtseinsparung zum einen dadurch, dass das moderne CT nicht nur kleiner, sondern vor allem auch viel strahlungsärmer ist – und entsprechend weniger Bleiabschirmung benötigt. Zum anderen ist die MSU der Mannheimer auch längst nicht so umfassend ausgestattet wie das Berliner STEMO. Im Wesentlichen, so Rink, handele es sich um eine kompakte mobile Einheit, die auf die Erstversorgung von Schlaganfällen ausgelegt ist.
Entsprechend ist das Versorgungskonzept in Mannheim etwas anders als in Berlin. In Berlin schickt die Leitstelle bei einem Verdacht auf Schlaganfall das STEMO in die Spur. In etwa 70 Prozent der Fälle handelt es sich auch um einen Schlaganfall. Vor Ort wird das CT angefertigt, und das STEMO agiert dann als vollwertiger Rettungswagen (RTW): Es übernimmt die komplette Schlaganfallversorgung und auch den Transport in die Klinik.
Versorgungskonzepte orientieren sich am Bedarf
In Mannheim wird das anders laufen. Hier setzt man auf das sogenannte Rendezvous-Prinzip. Auch dabei schätzt die Leitstelle mit Hilfe von Algorithmen die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls ab. Sie schickt dann sowohl die MSU als auch ein RTW zum Patienten oder der Patientin. Die MSU ist durch das Deutsche Rote Kreuz (DRK), durch medizinisch-technische Radiolog:innen und - wie das STEMO - neurologisch-ärztlich besetzt. Sie führt die CT-Bildgebung und die neurologische Erstversorgung durch. Der Transport erfolgt dann durch den RTW, sodass die MSU schnell wieder frei ist.
„Wir glauben“, so Rink, „dass wir damit die Ressource MSU sinnvoller nutzen und auch Kosten sparen können.“ Perspektivisch könnte sogar irgendwann im Rahmen der Alarmierung eine telemedizinische Verbindung zwischen Leitstelle und Patient oder Patientin aufgebaut werden, um „echte“ Schlaganfälle noch zuverlässiger als bisher zu erkennen und die MSU damit noch zielgerichteter losschicken zu können.
Berliner hoffen auf positive Vibes
Generell, so Audebert, gelte es, bei den MSUs das Versorgungskonzept an die jeweiligen Gegebenheiten in der zu versorgenden Region anzupassen. So gebe es auch noch andere Versionen des Rendezvous-Prinzips, die u.a. in Kanada und Australien in extrem ländlichen Regionen genutzt würden. Dort findet das „Rendezvous“ nicht beim Patienten oder der Patientin, sondern irgendwo auf halber Strecke statt. So kann ein lokal verfügbarer RTW schon mal mit der Versorgung und dem Transport starten und muss nicht auf die MSU warten, die in der Regel einen längeren Anfahrtsweg hat. Durch das Rendezvous auf halber Strecke wird dennoch im Vergleich zur Standardversorgung Zeit gespart.
Seitens der Berliner STEMO-Community erhofft man sich von dem erfolgreichen Export des STEMO-Konzepts in die Rhein-Neckar-Region naturgemäß etwas Rückenwind für die eigenen STEMOs. Es sei schon etwas betrüblich, so Audebert, dass ein Versorgungsmodell, das international mittlerweile so viele Nachahmer:innen findet, in Berlin immer noch kämpfen müsse – in jener Stadt, die mit den Studien Phantom S und B-Proud maßgeblich zur medizinischen Evidenz für die MSU beigetragen hat. Wie weit MSUs mittlerweile global verbreitet sind, zeigt eine Karte, die kürzlich im internationalen PRESTO-Newsletter publiziert wurde. MSUs, so Audebert, führen keineswegs nur in reichen Ländern. So verfüge Thailand mittlerweile über 28 und China über 43 entsprechende Fahrzeuge.
Weiterhin viel Spielraum für klinische Forschung
Die Berliner STEMOs müssten auch deswegen weiterleben, weil sie nicht nur die Schlaganfallversorgung in der Hauptstadt verbesserten, sondern auch eine nach wie vor lebendige Forschungsplattform seien, so Audebert. Das unterstrich auch Dr. Joachim Weber, der am Centrum für Schlaganfallforschung der Charité Berlin die STEMO Forschungsplattform leitet. Aktuelles Forschungsziel beim STEMO sei zum Ersten die weitere Prozessoptimierung in der gesamten prähospitalen Versorgungskette. Das betrifft nicht zuletzt die Identifikation von Schlaganfall-Patient:innen durch die Leitstellen, wo die schon erwähnte Videoverbindung zwischen Leitstelle und Patient:innen helfen könnte, die MSUs gezielter loszuschicken.
Weitere Forschungsziele der Berliner STEMO-Forschung liegen im Bereich Diagnostik, wo es einerseits um die Entwicklung und Erprobung neuer Laborbiomarker geht, die zum Beispiel dabei helfen könnten, einen ischämischen Schlaganfall von einer Hirnblutung abzugrenzen. Weber erläuterte, dass sich die neuronalen Signaturen der beiden Schlaganfallformen unterscheiden: Während bei der Ischämie neuronale Biomarker dominieren, sind es bei Hirnblutungen solche, die auf den Extrazellulärraum bzw. die Gliazellen zurückgehen.
Neben den Biomarkern stehen auch innovative Bildgebungsverfahren im Fokus. Interessant im Kontext des akuten Schlaganfalls ist der Ultraschall des Schädels, genauer: die transkranielle Duplexsonographie. Mit ihr können Hirnblutungen mittlerweile in den meisten Hirnregionen ähnlich gut erkannt werden wie mit der CT.
Geht MSU einmal ganz ohne CT?
Warum interessieren Laborbiomarker und Ultraschall, wo die CT doch ohnehin alle nötigen Informationen liefert? Letztlich, so Audebert, gehe es darum, mittelfristig ohne die CT auszukommen: „Die Vision ist, dass die Schlaganfalldiagnostik irgendwann auf jedem Rettungswagen verfügbar ist.“ Wenn das klappen soll, dann muss die CT ersetzt werden, und die Kombination aus Ultraschall und Point-of-Care-Laborbiomarkern wäre dafür die derzeit naheliegendste Option.
Die Herausforderung beim Ultraschall, so Audebert, bestehe zum einen darin, dass die Ergebnisse untersucherabhängig seien. Letztlich müssten deswegen robotische Assistenzsysteme genutzt werden, um die Qualität zu maximieren. Das zweite Problem sind einige blinde Flecken im Gehirn, die per Ulraschall schlecht erreichbar sind, insbesondere die hintere Schädelgrube in der Nähe der Schädelkalotte. Hier braucht es andere Techniken, beispielsweise die Nahinfrarotspektroskopie. Eine MSU mit diesen Methoden stehe noch nicht unmittelbar vor der Tür, aber klinisch gehe es eindeutig in diese Richtung, so Audebert. Irgendwann, so die Hoffnung, stünde mit solchen Methoden dann auch für sehr ländliche Regionen eine Option zur Verfügung, wie Schlaganfalldiagnostik kostendeckend auf einem RTW eingesetzt werden kann. Ob STEMO oder MSU, im Moment rechnen sich diese Fahrzeuge nur in Städten oder hinreichend dicht besiedelten Metropolregionen.