Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand ist die Rettung ein Wettlauf gegen die Zeit. Je eher der Patient reanimiert wird, desto höher seine Chance, ohne bleibende Hirnschäden zu überleben. Deutlich schneller als die professionellen Rettungsdienste könnten Ersthelfer am Einsatzort eintreffen und mit der Herzdruckmassage beginnen. Doch die dafür nötigen Smartphone-basierten Alarmierungssysteme fehlen in weiten Teilen Deutschlands. Dabei mangelt es weder an der Einsatzbereitschaft von Ersthelfern noch am Willen der Rettungsleitstellen, wie eine aktuelle Studie der ADAC Stiftung belegt.
Etwa 120.000 Menschen jährlich erleiden in Deutschland einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand. In rund 60.000 Notfällen wird der Patient reanimiert. Von ihnen überlebt jeder Neunte, teilweise mit schweren Folgeschäden. Mediziner gehen davon aus, dass Ersthelfer-Netzwerke in dreierlei Hinsicht die Rettungsquote verbessern könnten: Mehr Fälle, in denen Reanimation noch möglich ist. Mehr Fälle, in denen der Patient überlebt. Weniger Fälle, in denen der Überlebende irreversible Hirnschäden davonträgt.
Zu bleibenden Schäden kann es im menschlichen Gehirn bereits nach drei bis fünf Minuten ohne Sauerstoffversorgung kommen. Der Rettungsdienst kann nach so kurzer Zeit in der Regel noch nicht am Einsatzort sein. Deshalb setzen europäische Nachbarländer bereits seit längerem auf Ersthelfer-Netzwerke. In diesen Netzwerken lassen sich Bürger registrieren, die über Reanimations-Kenntnisse verfügen und bereit sind, im lebensbedrohlichen Notfall mit der Wiederbelebung zu beginnen. Geht bei einer Leitstelle ein Notruf ein, schickt sie nicht nur den Rettungsdienst zum Einsatzort, sondern alarmiert über eine App die Smartphones von Ersthelfern, die sich in unmittelbarer Nähe zum Einsatzort befinden.
Die Erfahrungen mit Smartphone-basierten Ersthelfer-Alarmierungssystemen sind derart positiv, dass der Deutsche Rat für Wiederbelebung seit 2021 in seinen Reanimationsleitlinien fordert, diese Systeme flächendeckend einzuführen. Dieser Empfehlung folgen allerdings nur drei Bundesländer. Lediglich Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein haben landesweite Ersthelfer-Netzwerke aufgebaut. In allen anderen Bundesländern kommen zwar in einzelnen Städten und Landkreisen unterschiedliche Apps von diversen Anbietern zum Einsatz. Jedoch existieren für diese Alarmierungssysteme keine einheitlichen Standards, weshalb sich die bestehenden Ersthelfer-Netzwerke nicht miteinander verbinden lassen.
Aktuell sind in Deutschland 235 der 401 Landkreise und kreisfreien Städten unversorgt. Rund 52 Millionen Menschen leben somit in Regionen ohne jegliche koordinierte Alarmierung von Ersthelfern. „Diese Bestandsaufnahme kann uns nicht zufrieden stellen, weil die Überlebenschance für Herz-Kreislauf-Notfälle unnötig hoch vom Zufall abhängt. Wir könnten in Deutschland erheblich mehr Leben retten“, sagt Christina Tillmann, Vorständin der ADAC Stiftung.
Damit Ersthelfer in der Regel innerhalb der ersten fünf Minuten nach einem Notfall am Einsatzort sind, geht die Studie für Deutschland von einem Bedarf in Höhe von fünf Prozent der Erwachsenen aus. Etwa 3,5 Millionen Bundesbürger müssten sich demnach in einem Netzwerk als Ersthelfer registrieren lassen. An der Bereitschaft der Menschen scheitert das nicht. Das zeigt eine repräsentative Umfrage der ADAC Stiftung. Demnach können sich 16 Prozent aller Erwachsenen gut vorstellen, sich in einer Ersthelfer-App registrieren zu lassen. Unter den 30- bis 39-Jährigen sagt das sogar mehr als jeder Vierte (27 Prozent).
„Die hohe Bereitschaft zu helfen, ist ein ermutigendes Signal. Die Politik sollte jetzt die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass überall in Deutschland Ersthelfer-Netzwerke bestehen und alle Alarmierungssysteme kompatibel sind“, sagt Christina Tillmann. Die ADAC Stiftung erarbeitet derzeit Konzepte, Ersthelfer-Netzwerke in der Bevölkerung bekannter zu machen, mehr Ersthelfer zu gewinnen und deren Ausbildung zu organisieren.
Dass dieser Aufbau in nicht allzu ferner Zukunft bundesweit gelingen kann, darauf deuten zwei weitere Umfrage-Ergebnisse hin: Jeder zweite Befragte unter 50 Jahren ist bereit, Erste-Hilfe-Kenntnisse in einem Kursus aufzufrischen. Und die Mehrzahl der Leitstellen, die derzeit noch kein Ersthelfer-Netzwerk nutzen, plant, eines aufzubauen.
Über die Studie:
Die ADAC Stiftung hat, mit Unterstützung des Kölner Beratungsunternehmens antwortING, Bestandsaufnahme, Bedarf, Potenzial und Implementierungsstrategien zu Ersthelfer-Netzwerken analysiert. antwortING ist Spezialist für die digitale Weiterentwicklung des Rettungswesens. Ergänzt wird die Analyse durch eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, für die die ADAC Markt- und Meinungsforschung im Dezember 2023 und Januar 2024 insgesamt 2054 Personen mit Hauptwohnsitz in Deutschland ab 18 Jahren befragte. Bereits im Februar/März 2023 wurden 70 Mitarbeiter von Leitstellen befragt.
Hier finden Sie die Studie zum Download:
Quelle: ADAC Stiftung