Die künstliche Intelligenz hat in der Krebsmedizin schon länger ihren Platz, auch wenn das vielen nicht bewusst ist. Klassisches Maschinenlernen wird spätestens seit den frühen Nullerjahren auf insbesondere Bilddaten angesetzt, um daraus Biomarker zu extrahieren. „Es gibt mittlerweile hunderte Studien dazu, und Dutzende zugelassene Medizinprodukte“, sagte Dr. Jakob Nikolas Kather, Prof. für Clinical AI am Universitätsklinikum Dresden.
KI-basierte Biomarker werden leitlinientauglich
Kather hat zur Welle der digitalen Biomarker selbst beigetragen, mit einer Publikation in Nature Medicine im Jahr 2019, bei der er zeigen konnte, dass sich ein wichtiger onkologischer molekularer Marker, die Mikrosatelliteninstabilität (MSI), durch eine auf klassischem Maschinenlernen basierende KI-Anwendung auf Basis histologischer Schnittbilder und damit sehr unkompliziert abschätzen lässt.
Mittlerweile sei das ganze Feld so gereift, dass es leitlinientauglich geworden sei, so Kather beim Vision Zero Oncology Summit in Berlin. So wird unter dem Dach einer der wichtigsten krebsmedizinischen Fachgesellschaften in Europa, der European Society of Medical Oncology (ESMO), derzeit an einer Leitlinie für KI-basierte Biomarker gearbeitet, die in Kürze vorlegt wird. Dort werden drei Klassen von KI-Systemen unterschieden, nämlich solche, die auf Basis von Biomarker-Assays bei der Quantifizierung von Biomarkern unterstützen (Klasse A), solche, die existierende Biomarker vorhersagen (Klasse B) und solche, die ganz neue, genuin digitale Biomarker einführen (Klasse C).
KI-Agenten: Auf dem Weg in die Versorgung?
Was alle im Moment interessiert, ist natürlich nicht das klassische Maschinenlernen, es sind die großen Sprachmodelle und deren Derivate. Kather sieht unterschiedliche Ansätze, wie LLMs für die Krebsmedizin nutzbar gemacht werden können. Auch hierzu ist ein ESMO-Positionspapier in Vorbereitung. Es unterscheidet drei Typen von LLMs, nämlich LLMs, die Patient:innen adressieren, LLMs, die klinische Versorger:innen adressieren und LLMs, die im Hintergrund arbeiten und dabei helfen, Daten zu extrahieren, Datenbanken zu managen und Prozesse zu optimieren.
Praktische Relevanz im Versorgungsalltag sieht Kather vor allem für LLMs, die an andere Softwarelösungen angekoppelt werden, so genannte KI Agenten. Diese können, anders als reine LLMs, auch aktiv handeln. Klassisches Beispiel ist der an eine Terminsoftware gekoppelte Chatbot, der nicht nur eine Bahnverbindung raussuchen kann, sondern diese auch gleich bucht.
In der Krebsmedizin sind klinische Informationssysteme aller Art als Sparringspartner für LLMs interessant. Kather und seine Arbeitsgruppe haben das aktuell am Beispiel eines KI-Agenten gezeigt, der in Tumorboards bei der onkologischen Entscheidungsfindung assistiert. Hier würden jetzt klinische Studien angestoßen, um in die Versorgung zu kommen. Die Vision bei KI-Agenten sei nicht, menschliche Versorger:innen zu ersetzen, betonte Kather: „Die Vision ist, dass wir Seite an Seite mit KI-Agenten arbeiten.“
Weitere Informationen:
Kather JN et al. Nature Cancer 2025; 6. Juni 2025; Development and validation of an autonomous artificial intelligence agent for clinical decision-making in oncology;