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MedTech |

Wie verhindert man, dass eine Gesundheits-App zum Medizinprodukt wird?

Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind per Definition Medizinprodukte. Aber nicht jede App, die medizinisch genutzt wird, ist eine DiGA, und nicht jede muss die aufwendige Zertifizierung durchlaufen. Worauf ist zu achten, wenn sich eine App an der Grenze zur Zertifizierung bewegt?

Checkliste zur Prüfung ob eine App zur Kategorie der Medizinprodukte gehört; Quelle: www.zvei.org/themen/checkliste-ist-meine-app-ein-medizinprodukt

Die digitale Transformation hat auch die Pharma- und Gesundheitsbranche erfasst. Viele Unternehmen in diesen Bereichen möchten ihren Patient:innen und Kund:innen Apps als Ergänzung zu Medikamenten, Therapien oder Gesundheitsprodukten anbieten. Ziel ist es, durch diese digitalen Werkzeuge nicht nur zusätzliche Informationen zu vermitteln, sondern auch die Compliance der Patient:innen zu erhöhen. Beispielsweise können Tagebuchfunktionen in den Apps ein detaillierteres Bild des Befindens der Nutzenden über einen längeren Zeitraum zeichnen und somit die Behandlung durch Ärztinnen und Ärzte unterstützen. Diese Ambitionen, als umfassende Gesundheitspartner aufzutreten, führen jedoch häufig in die komplexe und regulatorische Welt der Medizinprodukte. Denn die Grenze zum Medizinprodukt ist bei der Erfassung von Gesundheitsdaten vielleicht schneller erreicht, als sich das so mancher Marketeer vorstellen kann.


Viele Verantwortliche in den Marketingabteilungen von Pharma- und Gesundheitsunternehmen schrecken vor der Entwicklung von Apps zurück, die als Medizinprodukte eingestuft werden könnten. Diese Zurückhaltung ist verständlich, da die Entwicklung eines Medizinprodukts strengen regulatorischen Anforderungen unterliegt, die schon in der Konzeptionsphase beachtet werden müssen. Der Entwicklungs- und Zulassungsprozess solcher Apps ist aufwendig und erfordert eine kontinuierliche Überwachung, was langfristig Ressourcen bindet.

 

Von Beginn an die richtigen Weichen stellen
Die Gründe, um eine Klassifizierung als Medizinprodukt für eine Gesundheits-App zu vermeiden, sind unterschiedlich und vielfältig. Sie alle setzen aber eine genaue Kenntnis der Voraussetzungen eines Medizinproduktes beziehungsweise der Medical Device Regulation (MDR) voraus, um eine Abgrenzung der Gesundheits-App rechtssicher zu planen und umzusetzen. Hierfür können Medizinprodukte-Expert:innen eine professionelle Beratung durchführen, noch bevor eine Zeile Code der Gesundheits-App geschrieben ist. Denn bereits in der Konzeptionsphase können und müssen relevante Weichen gestellt werden, um unliebsamen Überraschungen vorzubeugen.


Mithilfe einer Checkliste (siehe Abbildung), lässt sich schon schnell überprüfen, ob das gewünschte Konzept zur App nicht bereits die Grenzen zum Medizinprodukt überschreitet.


Wird nur eine Frage hier mit „Ja“ beantwortet, kann das Ziel der Vermeidung einer Klassifizierung als Medizinprodukt nicht mehr erreicht werden. Sollte also nur ein Feature in der Gesundheits-App dazu führen, dass hier ein Haken gesetzt werden kann, dann sollte entweder überprüft werden, ob die Entwicklung eines Medizinproduktes mit dem Business Interest und den Ressourcen vereinbar ist. Oder aber, ob man das Feature und damit verbundene Ziel anderweitig und MDR-nonkonform implementieren kann, um die Klassifizierung zum Medizinprodukt zu verhindern.


Konnte die Checkliste ohne einen Haken absolviert werden, sind noch weitere relevante Punkte zu beachten. Es gilt, genau zu definieren, was eine App im medizinischen Sinne beinhalten und leisten darf, um nicht als Medizinprodukt klassifiziert zu werden. 


Der Verwendungszweck der App muss klar definiert sein, sodass sie nicht zur Diagnose, Behandlung, Überwachung oder Linderung von Krankheiten oder Verletzungen verwendet werden darf. Es ist außerdem notwendig, klare Haftungsausschlüsse und Nutzungsbedingungen zu formulieren, um darauf hinzuweisen, dass die App nicht für medizinische Zwecke bestimmt ist. 


Die Funktionalitäten der Gesundheits-App sollten sich ausschließlich auf allgemeine Wellness- oder Fitnessfunktionen beschränken, wie etwa Schrittzähler, Kalorienzähler oder Motivationshilfen für gesunde Lebensgewohnheiten. Funktionen, die explizit für medizinische Zwecke genutzt werden könnten, wie die Überwachung chronischer Krankheiten oder die Bereitstellung therapeutischer Empfehlungen, sollten hingegen vermieden werden. 


In der Werbung und den Marketingmaterialien muss ebenfalls eindeutig darauf hingewiesen werden, dass die App keine medizinischen Zwecke verfolgt. Jegliche Beschreibung der App sollte auf Begriffe wie „medizinisch“, „Diagnose“, „Therapie“ und „Behandlung“ verzichten.


Neben diesen inhaltlichen Aspekten ist es wichtig, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um sicherzustellen, dass die Gesundheits-App alle nationalen und internationalen gesetzlichen Anforderungen erfüllt.


Den Aspekt der Internationalisierung nicht vergessen

Eine rechtliche Beratung empfiehlt sich auch ebendann, wenn die zu entwickelnde Gesundheits-App international gelauncht werden soll. Denn dann sind nicht nur die rechtlichen und regulatorischen Vorschriften des Herstellerlandes zu berücksichtigen, sondern auch die einzelner Länder, in denen die Gesundheits-App veröffentlicht werden soll. Während in der Europäischen Union die MDR gilt, sind es in den USA die Richtlinien der Food and Drug Administration (FDA). Diese Regularien können sich von Land zu Land unterscheiden, was eine länderspezifische Bewertung der App-Konzepte oder aber auch der bereits gelaunchten App erfordert.


Unternehmen sollten interne Prozesse etablieren, die eine regelmäßige Bewertung der App-Funktionen sicherstellen, um zu verhindern, dass die Gesundheits-App durch Aktualisierungen oder Änderungen der rechtlichen Vorgaben ungewollt in die Kategorie eines Medizinprodukts fällt. Jede neue Funktion oder jedes Update der App sollte einer erneuten Analyse unterzogen werden, um sicherzustellen, dass die Gesundheits-App weiterhin die Grenzen zum Medizinprodukt in allen Zielländern nicht überschreitet. Diese kontinuierlichen Überwachungsmaßnahmen sind für die gesamte Produktlebensdauer der Gesundheits-App erforderlich und binden Ressourcen.


Ein dynamischer und fortlaufender Prozess
Die Entwicklung und Bereitstellung von Gesundheits-Apps in der Pharma- und Gesundheitsbranche ist ein komplexer und dynamischer Prozess. Unternehmen müssen sich der feinen Unterschiede bewusst sein, die eine Gesundheits-App in die Klassifizierung eines Medizinprodukts führen könnten. Um diese Herausforderungen zu meistern, ist es essenziell, bereits in der frühen Phase der Entwicklung auf die Expertise von Fachleuten im Bereich Medizinprodukterecht und -entwicklung zurückzugreifen.


Diese Expert:innen helfen dabei, die rechtlichen Rahmenbedingungen von Anfang an korrekt zu berücksichtigen sowie begleitend während des gesamten Entwicklungsprozesses und darüber hinaus zu beraten. Regelmäßige Überprüfungen und ein kontinuierliches Monitoring der App-Funktionen sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Gesundheits-App auch nach Updates und Funktionserweiterungen nicht ungewollt als Medizinprodukt klassifiziert wird.


Die Zusammenarbeit mit Fachleuten und die Implementierung interner Kontrollprozesse gewährleisten, dass die App den gesetzlichen Anforderungen in allen relevanten Märkten entspricht. Dies stellt sicher, dass die Gesundheits-App nicht nur rechtlich konform, sondern auch nachhaltig und sicher für die Nutzenden ist. In einer sich ständig weiterentwickelnden regulatorischen Landschaft ist die kontinuierliche Anpassung und Überwachung der Gesundheits-App daher kein einmaliges Ereignis, sondern ein fortlaufender Prozess, der in die gesamte Produktstrategie integriert werden muss.