Die stationäre Telemedizin hat spätestens seit der Corona-Pandemie einen Lauf. Arzt-zu-Arzt-Telekonsile in Krankenhäusern werden gängiger. Mit dem im vergangenen Jahr vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefassten Beschluss zu intensivmedizinischen Zentren und damit zur Teleintensivmedizin dürfte das in Ansätzen schon sichtbare, digitale Integrieren peripherer Krankenhäuser und spezialisierter Zentren noch mal an Fahrt gewinnen. Die Krankenhausreform, so sie denn kommt und tatsächlich eine Zentralisierung befördert, wird das Ihrige dazu beitragen.
Flächendeckendes Telemonitoring? Fehlanzeige
Doch wie sieht es in der ambulanten Welt aus? Da gibt es zunächst einmal einen alten Bekannten, der sich immer noch erschreckend schwertut. Die Rede ist vom Telemonitoring bei Herzinsuffizienz. Das Thema sahen manche schon als im positiven Sinne abgehakt an, nachdem im Jahr 2020 ein G-BA-Beschluss eine Honorierung im Rahmen der GKV-Regelversorgung ermöglicht hatte. Der Beschluss führte im Jahr 2021 zu mehreren Abrechnungsziffern in dem für die ambulante Medizin maßgeblichen Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM).
Allein, so einfach war es nicht. Der digitale Rückenwind der Pandemie blies am Telemonitoring weitgehend vorbei. Zwar sind mittlerweile allerorten telemedizinische Zentren entstanden, die Telemonitoring für Herzpatient:innen anbieten. Doch die tun sich allesamt schwer. Trotz Nachweis der Überlegenheit, trotz G-BA-Beschluss, trotz EBM-Ziffern ist es bisher nicht zu einer flächendeckenden oder auch nur annähernd flächendeckenden Umsetzung des Telemonitorings bei Herzinsuffizienz gekommen.
Renaissance des Selektivvertrags
Das wurmt einige, unter anderem die BARMER, die sich schon im Rahmen der randomisierten Studien stark eingebracht hatte, die dem G-BA-Beschluss vorausgingen. Jetzt hat die Krankenkasse gemeinsam mit den Asklepios Kliniken Hamburg einen neuen Selektivvertrag entwickelt, der darauf abzielt, das telekardiologische Monitoring auszubauen. Mit anderen Worten: Die EBM-Erstattungswelt wird nun doch wieder ergänzt um etwas, das mangels Alternativen schon vor dem G-BA-Beschluss 15 Jahre lang eine nie mehr als punktuelle Versorgung mit Herzinsuffizienz-Telemonitoring ermöglichte. „Für unsere Versicherten war die aktuelle Umsetzung des G-BA-Beschlusses nicht zufriedenstellend. Sie verhinderte für viele Betroffene den Zugang zum telekardiologischen Monitoring“, so Dr. Susanne Klein, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Hamburg.
Wie sieht das neue Versorgungskonzept jetzt konkret aus? Zum einen „dehnt“ der Selektivvertrag von BARMER und Asklepios im Vergleich zum G-BA-Beschluss die Indikation für das Herzinsuffizienz-Telemonitoring leicht aus, um mehr betroffenen Patient:innen den Zugang zu ermöglichen. Statt einer Ejektionsfraktion kleiner 40 Prozent wird nun schon eine Ejektionsfraktion kleiner 45 Prozent zugelassen, was durch die ursprünglichen Studien auch abgedeckt ist.
Neue Einschreibemodalitäten, bessere Vergütung
Zusätzlich können bei dem „Hamburger Modell“ künftig nicht nur niedergelassene Ärzt:innen, sondern auch Kliniken Patient:innen einschreiben. Das ist deswegen relevant, weil die poststationären Monate jenes Zeitfenster sind, in dem die Herzinsuffizienzpatient:innen in allererster Linie vom Telemonitoring profitieren. Die Krankenhäuser haben an der telemedizinischen Versorgung ihrer zuvor stationären Patient:innen schon deswegen ein hohes Interesse, weil sie schnelle Wiedereinweisungen verhindern wollen. Es ist also sehr gut denkbar, dass genau diese Vertragskomponente die Einschreibezahlen deutlich steigern wird.
Auch wenn es diese Einschreibung durch Krankenhäuser jetzt also geben wird: Es gehe nicht darum, den primär behandelnden Arzt bzw. die primär behandelnde Ärztin (PBA) auszubooten, betonen die Vertragsteilnehmer unisono. Im Gegenteil, auch an dieser Stelle setzt der Selektivvertrag an. Der PBA erhält in Ergänzung zu den ohnehin bezahlten EBM-Ziffern eine außerbudgetäre Vergütung für einen zusätzlichen Termin pro Quartal. Damit sollen relevante Themen wie Sekundärprävention, Medikamentenadhärenz und Lebensstilberatung besser adressiert werden. Auch die Einschreibung ins Telemonitoring wird im Rahmen des neuen Vertrags höher vergütet als bisher. „Durch die zusätzliche Vergütung für niedergelassene Kollegen schaffen wir mehr Raum für eine intensivere Abstimmung mit den häufig sehr komplexen Patienten“, hofft Prof. Dr. Alexander Ghanem von der Kardiologie der Asklepios Klinik Nord. Bleibt abzuwarten, ob die ambulanten Versorger:innen das dann auch so sehen.
Videosprechstunden nehmen Fahrt auf
Das Herzinsuffizienz-Telemonitoring ist nicht der einzige Bereich, wo die Telemedizin derzeit Fahrt aufnimmt. Auch bei den Telekonsultationen für die Patient:innen tut sich einiges. Dies vor allem dank des Digital-Gesetzes, das die bisherigen Mengenbegrenzungen für Videosprechstunden deutlich zurückfährt, was es niedergelassenen Versorger:innen, aber vor allem auch Plattformanbietern einfacher macht, funktionierende Geschäftsmodelle für telemedizinische Versorgungskonzepte zu entwickeln.
Wo genau sich digitale Gesundheitsplattformen bilden, das wird eine der spannenden Fragen der nächsten Monate und Jahre. Beim BMC-Kongress berichtete Konstantinos Stavrakos von der DAK Gesundheit, dass seine Krankenkasse Videosprechstunden über die Kassen-App zugänglich machen möchte. Die Kassen-App als E-Health-Plattform? Vielleicht. Sehr spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Ankündigung, dass der ADAC und die Telemedizindrehscheibe TeleClinic im Rahmen einer Partnerschaft jetzt Videosprechstunden über die ADAC Medical App anbieten wollen. Bei rund 21 Millionen Mitgliedern des ADAC und derzeit rund 1 500 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten auf der TeleClinic-Plattform ist das schon eine Ansage.
„Eine Plattform, die es so bisher nicht gibt“
Die neue Kooperation ist nicht der erste Ausflug des ADAC in Richtung Telemedizin. Es gibt bereits eine Kooperation mit der Medgate Deutschland GmbH. Die sei aber anders gelagert, wie Vanessa Foucar, Leiterin Innovationsmanagement beim ADAC e.V., im Gespräch mit E-HEALTH-COM betonte. Der Medgate-Kontakt steht all jenen und nur jenen zur Verfügung, die beim ADAC eine Premiummitgliedschaft oder eine Auslandsreisekrankenversicherung abgeschlossen haben und die im Ausland unterwegs sind. Es handelt also um das „klassische“ Modell einer Videosprechstunde in einem Privatversicherungskontext. Bei der TeleClinic-Kooperation geht es dagegen um GKV-Versicherte, und das Angebot ist im Inland verfügbar.
Die ADAC Medical App fungiert dabei nur als Plattform: Sie bringt das ADAC-Mitglied mit dem Telemedizinangebot von TeleClinic zusammen. Mit der Abrechnung hat der ADAC dann nichts mehr zu tun. Darum kümmert sich der Telemedizinanbieter. Nur die Krankenversichertenkarte muss in der App hinterlegt sein, und sie wird dem jeweils behandelnden Arzt dann zur Verfügung gestellt. Dank E-Rezept öffnen sich zudem neue Möglichkeiten, dem Patienten oder der Patientin im Anschluss an eine solche Telekonsultation dann auch ein GKV-Rezept zukommen zu lassen. Wenn das von der gematik angestrebte CardLink-Verfahren die schon existierende E-Rezept-App in ein paar Monaten ergänzt, werden noch mehr Szenarien denkbar.
Warum sollte ein ADAC-Mitglied diesen Weg gehen? Eine Videosprechstunde ist doch auch auf anderen Wegen verfügbar, bei TeleClinic selbst, aber auch bei anderen Anbietern. Zum einen, so Foucar, garantiere der Telemedizinanbieter bei Anwahl über die ADAC Medical App einen bevorzugten Termin innerhalb von maximal drei Stunden. Zum anderen setzt der ADAC auf das Plattformkonzept: „In der Medical App vereinen wir mehrere gesundheitsbezogene Funktionen, die sich ergänzen, und wir bauen das auch immer weiter aus. Wir schaffen dadurch für unsere Mitglieder eine Plattform mit Gesundheitsangeboten, die es so umfänglich an anderer Stelle in Deutschland bisher nicht gibt.“
Von Symptom-Checker bis Apotheken-Service
Grundgedanke aller Services sei, den Mitgliedern in medizinischen Fragen den Alltag zu erleichtern, so Foucar. Der erste Service ist deswegen ein Symptom-Checker, der in Partnerschaft mit Infermedica angeboten wird. Das Tool zeigt, wie andere ähnliche Tools, mögliche Diagnosen an und gibt auch Hinweise zur Dringlichkeit bestimmter Symptome. Der Symptom-Checker ist Foucar zufolge auch deswegen wichtig, weil den Nutzer:innen eine Einschätzung ermöglicht werden soll, wann eine telemedizinische Sprechstunde und wann ein persönlicher Arztbesuch zielführender ist.
Denn hier schließen sich dann die nächsten zwei Services an: Zum einen besteht die Option der telemedizinischen Sprechstunde über die Partner TeleClinic bzw. im Ausland Medgate. Zum anderen kann alternativ vor Ort nach einem lokalen Arzt gesucht werden. Für Letzteres gibt es erneut eine Kooperation, in diesem Fall mit Doctolib. Fünftes Feature im Bunde ist eine Apothekensuche. Der Partner ist hier IhreApotheke.de, der rund 7 000 der etwa 19 000 Apotheken in Deutschland angebunden hat und direkt über die ADAC Medical App angesteuert werden kann. Rezepte können an diese Apotheken weitergeleitet werden, sodass die Apotheke nicht mehrfach besucht werden muss.
„Wir wollen niemandem etwas wegnehmen“
Dass es neben den Krankenkassen ein privater Verein wie der ADAC e.V. ist, der sich beim Thema Gesundheitsplattform nach vorne wagt, erstaunt auf den ersten Blick. Auf den zweiten wird es aber rasch plausibel. Das Gesundheitsgeschäft sei eine große Initiative, die innerhalb der gesamten ADAC Zentrale übergreifend vorangetrieben werde, betont Foucar. Neben dem ADAC e.V. als Betreiber der Medical App – die ihrerseits ein Kooperationsprojekt mit Accenture Song ist – kümmern sich auch die ADAC Stiftung und die kommerzielle ADAC SE um Gesundheitsthemen.
Kuratierter Gesundheits-Content auf der Webseite adac.de wäre hier zu nennen, der im Moment noch stark reise- und verkehrsmedizinisch ausgerichtet ist, aber erweitert werden soll. Dann gibt es den Ambulanzdienst und die gemeinnützige ADAC Luftrettung und damit zwei genuine Anbieter medizinischer Dienstleistungen im Rahmen der Notfallrettung. Passend dazu wurde der ADAC Notfallpass aus der Taufe gehoben. Er ist derzeit nicht Teil der Medical App, sondern wird über die „Mein ADAC“ Funktion des ADAC Online-Auftritts angelegt. Die Daten können in der Smartphone-Wallet als QR-Code angezeigt und von Rettungsdiensten mit einem digitalen Pad direkt ausgelesen werden. Auch dieses Projekt ist nicht klein, es gibt eine Kooperation mit medDV, einem der marktführenden digitalen Serviceanbieter im Rettungsdienst, der in einem Großteil der digitalisierten Regionen mit seinen IT-Lösungen in den Einsatzwägen vertreten ist.
Auch wenn das mit dem Notfallpass unzweifelhaft nach Telematikinfrastruktur riecht: Foucar betont, dass man diesbezüglich keinerlei Ambitionen hege. „Wir planen keine eigene TI-Schnittstelle und wir planen auch keine eigene Patientenakte. Aber wir sind in alle Richtungen offen für Kooperationen.“ Die Gesundheitsangebote sollen zumindest teilweise auch keine reinen Mitgliederangebote sein. Der Symptom-Checker und der Apothekenservice sind schon heute frei zugänglich. Und auch der ADAC Notfallpass soll in Kürze der gesamten Bevölkerung zur Verfügung stehen.