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Health-IT |

Wissen digitalisieren, Nutzen evaluieren, Daten auswerten

Aufbruch ins digitale deutsche Gesundheitswesen: Wer die Versorgung verbessern will, braucht nicht nur Daten, sondern auch medizinisches Wissen in digitaler Form – und versorgungsnahe Evaluationskonzepte, um den Nutzen bewerten zu können.

Quelle: GVG e.V.,/TMF e.V.

Premiere in Berlin: Das erste Nationale Digital Health Symposium von GVG und TMF brachte „IT“ und „Versorgung“ in den Räumen des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts zusammen. Die viel diskutierte Forschung an Patienten- und Abrechnungsdaten war genauso Thema wie die „Nutzenbewertung“ von Gesundheits-Apps, die forschungskompatible Zukunft elektronischer Patientenakten und die Digitalisierung medizinischen Wissens in Form interaktiver, standardisierter Leitlinienformate.

 

Abrechnungsdaten für Versorgung und Forschung

Prof. Dr. Jürgen Schäfer vom Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZUS) an der Universität Marburg hielt ein kraftvolles Plädoyer für eine bessere Auswertung von Abrechnungsdaten, die der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen. Es gehe nicht darum, dass Krankenkassen Diagnosen stellten, sondern darum, dass die Informationen, die ohnehin vorlägen, im Sinne des Patienten optimal genutzt würden – für die Forschung, aber auch, in enger Abstimmung mit den behandelnden Ärzten und datenschutzrechtlich abgesichert, für die unmittelbare Patientenversorgung.

 

Schäfers Beispiele waren implantatassoziierte Kobaltvergiftungen und fluorochinolonassoziierte Aortendissektionen. Beides sind Zusammenhänge, die aufgrund eines oft jahrelangen Vorlaufs in der normalen Versorgung nur sehr schwer zu erkennen sind. Ganz anders bei auf seltene Erkrankungen spezialisierten Algorithmen: Die könnten derartige Konstellationen auf Basis von Krankenversicherungsdaten sehr schnell erkennen und den Patienten dadurch unter Umständen Odysseen durchs Versorgungssystem ersparen.

 

Nicht nur auf individueller, auch auf kollektiver Ebene sei eine bessere Auswertung der Abrechnungsdaten zu begrüßen, betonte Marcel Weigand vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V.: „Die Versorgungsforschung zu fördern, ist eine grundlegende Forderung des APS.“ Was die konkrete Ausgestaltung im Digitale-Versorgung-Gesetz angeht, gebe es aber noch viele Unklarheiten: „Am Ende wird es auf die Rechtsverordnung ankommen“, so Weigand. In dieser Rechtsverordnung will das Bundesgesundheitsministerium unter anderem den „Datenkranz“, der über die Morbis-RSA-Daten hinausgehen soll, genauer eingrenzen und die Zugriffsmodalitäten auf die Daten präzisieren.

 

Prof. Dr. Dr. Christian Dierks von Dierks & Company reagierte für die GVG-Facharbeitsgruppe Digitalisierung und eHealth auf die Kritik speziell am §303 im DVG. Aus seiner Sicht spreche sehr viel dafür, sich mit pseudonymisierten, nicht nur anonymisierten Daten zu beschäftigen, so Dierks: „Das [im DVG angelegte, d. Red.] Konzept mit der Pseudonymisierungsstelle ist ein überaus brauchbares und auch im internationalen Kontext anerkanntes, das weiter ausgebaut werden sollte.“

 

Digitale Gesundheitsanwendungen: Patientenrelevanz ist gefragt

Dass es bei der der Digitalisierung der medizinischen Versorgung um weit mehr gehen muss als nur um Abrechnungsdaten, machte Dr. Monika Nothacker von der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) deutlich. Sie glaube dezidiert nicht, dass künstliche Intelligenz oder allgemein Algorithmen Leitlinienwissen ersetzen könnten, so die Ärztin: „Wir sehen KI und Big Data als komplexe Interventionen, die wie alle anderen Innovationen ihren Nutzen beweisen müssen.“

 

Nothacker betonte auch, dass es nicht ausreiche, wenn eine zum Beispiel diagnostische Intervention zum soundsovielten Mal eine hohe diagnostische Genauigkeit zeige: „Wir brauchen patientenrelevante Endpunkte, und was wir diesbezüglich bisher zum Beispiel bei Diabetes-Apps gesehen haben, ist ehrlich gesagt nicht so ermutigend.“

 

Die Notwendigkeit eines überzeugenden Nutzennachweises bei „DiGas“ unterstrich auch Michael Weller vom GKV-Spitzenverband, der allerdings auch daran erinnerte, dass das DVG sich bis auf Weiteres bewusst auf Medizinprodukte bis Klasse IIa fokussiere, und damit auf Anwendungen, die nicht im engeren Sinn diagnostisch oder therapeutisch sind. Es werde deswegen bei der „Nutzenbewertung“ nicht notwendigerweise immer um medizinische Endpunkte gehen, sondern auch um Faktoren wie die organisatorische Effizienz.

 

Knowledge-Schnittstelle für Leitlinienwissen  

Als wichtigen und bisher oft unterschätzten Teilbereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens nannte Nothacker die Digitalisierung des medizinischen Wissens, konkret der medizinischen Leitlinien. Dies sei ein wichtiges Anliegen, das die AWMF in den nächsten Monaten verstärkt vorantreiben werde: „Wir arbeiten an einem digitalen Datenmodell, das es erlauben wird, einzelne Empfehlungen aus Leitlinien herauszuziehen und mit Patientendaten zu matchen.“

 

Umgesetzt werden soll das über die so genannte MAGICapp, eine App, die eigens für die Digitalisierung evidenzbasierten medizinischen Wissens entwickelt wurde und für die der AWMF laut Nothacker ab kommendem Jahr eine Nationallizenz zur Verfügung stehen wird. MAGIC ist eine in Norwegen ansässige, gemeinnützige Organisation. Das Stichwort lautet hier „living guideline“. Es bezeichnet eine neue Herangehensweise an medizinische Leitlinien, bei der eine digitale Fassung einer Leitlinie nicht mehr alle paar Jahre neu geschrieben, sondern vielmehr punktuell, aber kontinuierlich, aktualisiert wird.

 

Einer der Vorteile dieser Herangehensweise ist, dass Empfehlungen und Aktualisierungen einer Leitlinie problemlos von anderen, verwandten Leitlinien übernommen werden können. Der zweite große Vorteil ist, dass digitale Gesundheitsanwendungen aller Art auf das entsprechende, im Idealfall ständig aktuelle Leitlinienwissen digital zugreifen können und sich nicht mehr eigenständig um dessen Aktualisierung kümmern müssen.