Geht es um aktuelle Entwicklungen der internationalen Health-IT, dann führt kein Weg an der weltführenden Medizinmesse MEDICA in Düsseldorf und ihrem fachlich vertiefenden Rahmenprogramm vorbei. Neben den Neuheiten von insgesamt mehr als 4.200 Beteiligungen aus rund 70 Nationen an der MEDICA 2022, von denen viele Health-IT-Lösungen thematisieren, wird vom 14. bis 17. November das in die Fachmesse integrierte MEDICA HEALTH IT FORUM (in Halle 12) mit seinen hochkarätig besetzten englischsprachigen Vorträgen und Diskussionen wieder Top-Trends der datengetriebenen Medizin vermitteln. „In diesem Jahr stehen besonders im Fokus der Beitrag von Health-IT für mehr Nachhaltigkeit in der Gesundheitsversorgung und außerdem die Optimierung von Behandlungsworkflows durch eine bessere Verzahnung digitaler Prozesse mit dem Faktor Mensch“, erklärt Christian Grosser, Director Health & Medical Technologies der Messe Düsseldorf, im Ausblick auf die diesjährige Agenda des seit Jahren etablierten Fachforums.
Mit der „Digital Patient Journey“ wird beispielsweise gleich zum Start der MEDICA 2022 am Montag, 14. November, ein wichtiges Thema auf der Programmbühne durch das MEDICA HEALTH IT FORUM aufgegriffen. Moderator Prof. Felix Hoffmann, Apollon Hochschule der Gesundheitswirtschaft in Bremen, unterstreicht vorab schon einmal, dass die Prozesse im Gesundheitswesen verbessert werden müssten. Beispielsweise könne der Bruch eines Außenknöchels meist standardisiert behandelt werden. Gelange der Patient jedoch abends ins Krankenhaus, könne es sein, dass eher weniger erfahrene Ärzte die Behandlung übernehmen müssten, so Hoffmann. Hier könnten software-basierte Check-Listen Unterstützung bieten – wie beispielsweise jene von Kumi Clinical. Mithilfe dieser Software können klinische Teams die Behandlung planen, organisieren und synchronisieren entlang einer digitalen Checkliste. Der Patient oder die Patientin durchläuft dabei von der Aufnahme bis zur Nachverfolgung eines stationären Aufenthalts einen digitalen Behandlungspfad, der auf medizinischen Standards (SOPs) basiert und flexibel angepasst werden kann. Dazu werden alle am Behandlungsprozess beteiligten Rollen mit eingebunden: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Servicemitarbeitende, das Belegungs- und Entlassmanagement sowie das Medizincontrolling. Dadurch soll sichergestellt sein, dass alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt auf dem letzten Informationsstand sind und eine vollständige Bearbeitung des Behandlungspfades erfolgt. Die digitale Spracherkennung „voize“ will dabei mit dem Einsatz von digitalen Sprachassistenten zur Prozess-Optimierung beitragen und wird bei diesem Forum-Symposium ebenfalls angesprochen.
Therapieplaner „powered by AI”
In einem weiteren Symposium werden dann am Dienstagnachmittag, 15. November, Therapie-Planer besprochen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Unter Ausnutzung von KI erstellt etwa Alfa AI einen Behandlungsplan. Die damit verbundene intuitive Applikation begleitet den Patienten während des gesamten Prozesses, bietet Transparenz sowie den verschriebenen Trainingsplan samt Videoanleitung. Alfa AI verbindet auf diese Weise medizinisches Wissen, langjährige Sport- und Fitnesserfahrung sowie Erkenntnisse zu richtiger Ernährung mit modernsten Technologien.
Gegen „Check-Listen-Medizin“ gibt es durchaus Vorbehalte. Laut Prof. Felix Hoffmann sei dies aber eher ein Problem der Einstellung, des Mindsets. „Wie gehe ich an die Behandlung heran?“, „Wann ist wirklich eine individualisierte Behandlung notwendig?“ und „Wann können Behandlungen standardisiert anhand zuvor festgelegter Pfade durchgeführt werden?“ seien in diesem Kontext wichtige Fragestellungen. Hoffmann selbst ist Unfallchirurg, hat eine Professur an der Apollon Hochschule und leitet die Stabsstelle für medizinische Prozessentwicklung am Klinikum Darmstadt. Für ihn steht fest, dass die Digitalisierung allein die Prozesse nicht verbessert. Es müsse auch an den Prozessen insgesamt gearbeitet werden. Als Negativ-Beispiel nennt er das e-Rezept, das theoretisch unnötig wäre, könnten Arzneimittel ohne Umweg über die Apotheke direkt bezogen werden. Diesbezüglich dürften allerdings Apothekerinnen und Apotheker eine andere Meinung vertreten.
Wie vernetzte Medizin helfen kann, Energie zu sparen
Die Verbesserung von Prozessen in der Gesundheitsversorgung könnte auch dazu beitragen, den Klimawandel zu bekämpfen – zum Beispiel dank des hilfreichen Einsatzes von Informationstechnologie. „How Healthcare can become more sustainable with digital help?“ wird Armin de Greiff, Technischer Direktor am Universitätsklinikum Essen im Expert Panel des MEDICA HEALTH IT FORUM fragen am Mittwoch, 16. November, das ganz dem Thema „Green Health & Sustainability“ gewidmet ist. „Es ist nicht ganz übereinzubringen, moderne datengetriebene Medizin voranzutreiben und Energie zu sparen“, so de Greiff. Allerdings hebt er hervor, dass der Einsatz vernetzter Medizin durchaus energiesparend sei, zum Beispiel indem sie dazu beitrage Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Bilder und Befunde sollten weder gedruckt, noch gefaxt, per Post verschickt und schon gar nicht mit dem Taxi transportiert werden. Stattdessen sollten sie überall und zu jeder Zeit verfügbar sein.
Armin de Greiff schildert ferner die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) für die Erzeugung „virtueller Kontraste“. Entsprechend trainierte Netzwerke seien in der Lage, aus einfachen Datensätzen andere Kontraste vorherzusagen und damit zeitaufwändige Untersuchungen einzusparen. Auch bei CT-Untersuchungen könne KI helfen, um Dosis oder Kontrastmittel einzusparen. Die Verkürzung von Untersuchungszeiten und die Einsparung von Strahlung und Kontrastmittel könne unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit betrachtet werden. Auf der anderen Seite bedeutet Nachhaltigkeit für de Greiff auch, dass der beständige Wunsch nach den neuesten Endgeräten der Nachhaltigkeit zuwiderlaufen könnte. De Greiff erklärt in diesem Zusammenhang, dass die bislang immer kürzer werdenden Produktzyklen eher der Leistungssteigerung dienten als der Energiereduzierung. Zugleich mahnt er: „Wir stehen vor einer Zäsur.“ Dabei macht de Greiff auch aufmerksam darauf, dass höhere Verbräuche in Rechenzentren nicht unbedingt gleichzusetzen seien mit einem insgesamt höheren Energieverbrauch. Die Virtualisierung der Arbeitsplätze, z.B. durch mobiles Arbeiten und die Verlagerung von rechenintensiven Anwendungen auf Server im Rechenzentrum führe zu einer Konzentration des Verbrauchs, nicht zwangsläufig zu insgesamt höheren Verbräuchen.
Kliniken haben Optimierungspotenzial beim Klimaschutz
Auf die Verbesserung von Prozessen setzt auch Dr. Anna Levsen, vom Deutschen Krankenhaus Institut. In ihrem Tech Talk geht es um „Circularity in the Healthcare Industry“ am Mittwoch, 16. November ab 12 Uhr. Levsen macht im Ausblick auf ihren Forumbeitrag darauf aufmerksam, dass den Krankenhäusern enge Grenzen in ihrem Handeln in Bezug auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz gesetzt seien. Dennoch betont sie: „Wir können hier einen großen Hebel ansetzen.“ So sieht auch Levsen in der nachhaltigeren Nutzung beispielsweise von Großgeräten eine Chance. Veraltete technische Geräte würden in der Regel vollständig erneuert, statt sie in Stand zu setzen und im Sinne der Kreislaufwirtschaft im System zu halten. Eine Lösung könnte hier ein Dienstleistungsvertrag mit einem Medizintechnikhersteller darstellen, der das Gerät in einem guten Zustand halten könnte. „Krankenhäuser hätten dann kein Gerät, das sie entsorgen müssten, sondern einen Vertrag, nach dem das Unternehmen ein Gerät zur Verfügung stellen würde, das zu guter Qualität nutzbar wäre“, beschreibt Dr. Levsen den Ansatz. Der Medizintechnik-Hersteller behielte dabei die Kontrolle über seine Geräte.
Der gesamte Energie- und Ressourcenkreislauf gehört in den Blick genommen
Auch im Bereich Ernährung und Verringerung von überschüssigen Mahlzeiten sowie hinsichtlich der Müllvermeidung besteht für viele Kliniken Optimierungspotenzial. Aus klinischer Sicht eröffnen auch Technologien, die z. B. als Telemedizin im Rahmen der Radiologie zum Einsatz kommen können, Optionen zur Ressourcenschonung. Wenn Patienten im Sinne einer telemedizinischen Versorgung jedoch zuhause betreut werden sollen, dann benötigt sie auch entsprechende Geräte und müssen im Umgang damit geschult werden – und daran hapere es oft schon, wie Dr. Levsen es auf den Punkt bringt: „Vieles wird nicht zu Ende gedacht.“ Kreislaufwirtschaft bedeute, dass alle Prozesse von Anfang bis Ende durchdacht werden müssten, wobei auch Einmalprodukte, vor allem aus hygienischen Gründen, besser abschneiden könnten als vermutet.
„Wir reden viel über die CO2-Reduktion, müssen aber auch darüber diskutieren, wie die Ressourcen im System gehalten werden können“, unterstreicht Dr. Levsen. Klar ist für sie: „Es besteht Handlungsbedarf.“ Haupthemmschuh sind aus Sicht des Krankenhausinstituts fehlende Investitionen für dringend notwendige Klimaschutz-Investitionen, die auch helfen können den gesamtem Energie- und Ressourcenkreislauf effizienter gestalten zu können. Vor dem Hintergrund der Gaskrise hofft Levsen, dass die Dinge hier in Bewegung kämen. Eine weitere Herausforderung sei es, die Mitarbeitenden in Krankenhäusern „mitzunehmen“. Als Faustformel gelte, dass rund zehn Prozent des Energieverbrauchs durch die Nutzenden einzusparen seien. Schon der Verzicht auf den Aufzug zugunsten der Treppe oder das Mitbringen der eigenen Kaffeetasse helfe Ressourcen zu sparen.
Am Schlusstag, 17. November 2022, geht es dann im Rahmen des Forums um eher allgemeine Entwicklungen und ihre mögliche Relevanz in Bezug auf Health-IT. Programmthemen sind z. B. „Gender-sensitive medicine“ und „New work & occupational health“ sowie neue Entwicklungen im Feld der Künstlichen Intelligenz.
Alle Informationen zum MEDICA HEALTH IT FORUM online: https://www.medica.de/mhif1.