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Die Macht denen, die es machen

Von  Nikolaus Huss, KovarHuss Policy Advisors und Initiator des Fachforums „Innovation und gute Gesundheit“ des Grünen Wirtschaftsdialogs

Es geht rund im deutschen Gesundheitswesen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der Gral des gesundheitspolitischen Gestern, schrieb am 24. Juli 2020 schon den zweiten offenen Brief innerhalb von sechs Monaten. Adressat: Gesundheitsminister Spahn. Offene Briefe, das bedeutet „Rücken zur Wand“. Alles andere hat nicht gefruchtet.

 

Schauen wir uns das mal genauer an. Ein Forderungskatalog: „Der Mehrwert der Digitalisierung und insbesondere der Anbindung an die TI muss für die Niedergelassenen klar erkennbar sein. Neue digitale Anwendungen müssen sich auf die originären Aufgaben der Vertragsärzte beschränken.“ Im Klartext: 15 Jahre nach Gründung der gematik schreiben die wichtigsten Vertreter der „freien Berufe“, man müsse ihnen erst erklären, welchen Nutzen Digitalisierung hat. Für sie. Nicht für die Patienten.


Auch die deutsche Apothekerschaft ist im Dauerclinch mit dem Minister. Sie möchte gerne ihre Apotheke ums Eck behalten. Der Kunde muss rennen. Hin, um das Rezept abzugeben. Wieder hin, um das Arzneimittel abzuholen. Und anstatt sich zu Verbünden zusammenzuschließen und eine Lösung zu präsentieren, feilscht man mit dem Minister um 2,50 Euro Erstattung bei Hauslieferung. Es ist so viel Gestern im Gesundheitssystem von heute.


Wir kennen den Begriff des schwarzen Schwans: seltene, aber mächtige Ereignisse. Nassim Nicholas Taleb hat ihn geprägt. In seinem Buch „Antifragilität“ skizziert er, dass „stabile Systeme“ immer die Tendenz haben, sich noch stabiler zu machen. Bei komplexen Veränderungen brechen „superstabile“ Systeme zusammen. Es gibt keine Erneuerung aus den Teilbereichen.


Das deutsche Gesundheitswesen ist so ein „superstabiles“ System. SGB V und SGV XI bilden die Schutzmauer. Die Selbstverwaltung hat die Burgherrschaft übernommen. Aber längst hat die Mauer Risse. Unternehmen aus dem Ausland haben erfolgreich Sprengsätze gelegt. Amazon, Google und Apple sind noch gar nicht gestartet. Auch die Burginsassen beginnen zu murren, manche haben gesehen, dass das kleine Lettland innerhalb von zwei Jahren eine digitale Infrastruktur auf die Beine gestellt hat. Kooperation flutscht.


Vor allem wollen die jungen Ärztinnen und Ärzte nicht mehr. Patient rein, 5 Minuten, Verordnung, Patient raus. Sie wollen eine besser vernetzte, ergebnisorientierte Medizin. Heilen, das ist ihr Berufsethos. Und sie meinen damit nicht die Heilung des eigenen Einkommens auf Kosten der Politik, der Patienten und der nichtärztlichen Berufe.


Bleibt die Frage: Wie bringen wir frischen Wind ins mittelalterliche Gemäuer? Die Macht denen, die es machen! Die Kraft muss von unten kommen. In der Digitalisierung muss die Gesundheitspolitik, gemeinsam mit Experten außerhalb des Kreises der Selbstverwalter, wichtige Weichen stellen oder stellen lassen. In der Versorgung sollten wir die Verantwortung denen zurückgeben, die tatsächlich Gesundheitsleistungen erbringen: Ärzten, Pflegekräften, nichtärztlichen therapeutischen Berufen. Und wir sollten Institutionen vor Ort die Kraft geben, Kooperationen, ergebnisbezogene Zusammenarbeit, die Nutzung künstlicher Intelligenz, den Einsatz von Apps etc. selbst zu verantworten.


Bisher sind nur Umrisse zu erkennen. Die Strategie: Schaffung verschiedener Governance-Ebenen und -Logiken. Digitale Weichenstellungen durch Politik und selbstverwaltungsferne Fachexperten. Die Rückführung von Versorgungsentscheidungen an regionale Strukturen. Und die Kostenträger? Die dürfen fusionieren, neue Leistungen einkaufen, konsolidieren, überflüssige Posten abschaffen und Verhandlungsmacht aufbauen.


Immer wurde so getan, als könne man Disruption häppchenweise einführen. Nein, die Lösung, da hat Taleb recht, liegt darin, die Verantwortlichkeit dahin zurückzugeben, wo die Leistung entsteht. Wir brauchen agile Strukturen. Auch im Gesundheitswesen.

 

 

Autor:

Nikolaus Huss

KovarHuss Policy Advisors und Initiator des Fachforums „Innovation und gute Gesundheit“ des Grünen Wirtschaftsdialogs