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Digitale Gesundheitslösungen: Wunsch versus Wirklichkeit

Dr. Alexander Schachinger ist Gründer und Geschäftsführer der EPatient Analytics GmbH.
Mail: as(at)epatient-analytics.com

Wir alle hoffen, dass Politik, gematik, Start-ups und andere die Digitalisierung der Medizin erfolgreich vorantreiben – im heldenhaften Kampf gegen Selbstverwaltung und Regulierung. Wie in einem Heldenstreifen im Kino könnte es sein, dass nach dieser Prüfung eine noch härtere kommt: die digitale Wirklichkeit in der Bevölkerung.

 

Machen wir uns nichts vor: Technikinnovationen verbreiten sich in der Bevölkerung nicht über Nacht. Dänemark hat über 15 Jahre gebraucht, bis jeder zweite bis dritte Däne mindestens einmal pro Monat seine digitale Gesundheitsakte sundhed.dk nutzte. In Deutschland dauerte es zehn bis zwölf Jahre, bis jeder Zweite das Online-Banking einsetzte. Die Corona-Krise ist für die dänische Online-Akte aktuell ein starker Treiber: Circa eine viertel Million Dänen nutzt ihre Akte derzeit täglich, und ein Corona-Test ist nach 24 Stunden in der Akte einsehbar. Übertragen auf die deutsche Bevölkerung müssten circa vier Millionen Deutsche täglich ihre ePA nutzen. Wie lange wird dies dauern, bis wir so weit sind?

Kenne Deine digitale Zielgruppe!

Akademiker jenseits der Siebzig sind in Deutschland zu 68 Prozent online, bildungsferne Menschen derselben Altersklasse zu 16 Prozent. Wie so oft in diesem Land entscheidet die Bildung über „access“. Einmal runtergebrochen auf die mobile Internetnutzung und die Zielgruppe Herzinsuffizienzpatienten: Für eine Therapie-App ist weniger als jeder Dritte überhaupt mobil erreichbar. Autsch. Das ändert sich auch nur langsam: Die Verbreitung von mobilen Endgeräten in der älteren Bevölkerung legt pro Jahr nur um drei bis sechs Prozent zu. Wenig überraschend, dass sich die Mehrheit der Nutzer digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) aus bildungstechnisch und sozioökonomisch bessergestellten, städtischen Milieus rekrutiert.


Wie viel Prozent der Bürger welche digitale Anwendung nutzen, das ist zu einem beliebten PR-Instrument geworden. Der Verband Bitkom kommunizierte im Juli, dass 13 Prozent der Bevölkerung schon einmal eine Online-Arztsprechstunde wahrgenommen hätten. Unser unabhängiger EPatient Survey, eine Online-Befragung unter 9 600 digital affineren Surfern, kam auf zwei Prozent. Die gleiche Befragung wiederholen wir derzeit repräsentativ auf Basis einer quotierten Stichprobe mit 4 000 Bürgern aus einem unabhängigen Verbraucherpanel. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse, die im Laufe des Herbstes vorliegen werden.

Reale digitale Versorgungsszenarien noch in den Kinderschuhen?
Über welchen Kanal und in welchem Kontext sollten Bürger und Patienten eine DiGA erhalten? Aus der EPatient Befragung aus dem Frühjahr 2020 wurde ersichtlich, dass GKV/PKV und der Arzt als „Vertriebskanäle“ kontinuierlich an Bedeutung gewinnen. Ungenutzte Chancen sehe ich in Deutschland außerdem bei den Apotheken, die durchaus als Kontaktstellen in Sachen DiGA infrage kämen. In der Schweiz ist dies in vielen Apotheken gelebte Digital-Health- Realität, siehe CatchMyPain oder der Antibiotika.Coach. Die globale Forschung zu digitalen Patientenszenarien weiß seit Jahren, dass eine Therapie-App eher genutzt wird und eher wirken kann, wenn sie direkt von den ärztlichen Behandlungspunkten – oder der Apotheke vor Ort – erklärt und vertrieben wird. Überlegungen und stimmige Ansätze dieser Art fehlen leider noch völlig in der deutschen DiGA-Debatte.


Scheitern können DiGA auch am Erstattungsprozess. Für Deutschland sieht das Gesetz derzeit vor, dass Versicherte ein DiGA-Rezept über die Kassen-App einscannen oder via E-Mail bzw. Telefon ihre Versicherung informieren. Klingt schon nach Handling-Hürde. Erste Daten aus der noch laufenden, repräsentativen DiGA-Befragung zeigen, dass über 70 Prozent der Versicherten derzeit Dokumente analog oder per Fax an ihre Kasse senden. Nur 13 Prozent nutzen die App ihrer Krankenversicherung. Reminder: Kenne Deine Zielgruppe.
Fazit: Eine App auf einem Consumer-Electronics-Endgerät ist keine Pille, die ich einfach mit einem Glas Wasser einnehme. Digitale Kompetenz ist ungleich verteilt. Es fehlen immer noch die einfachsten Prozesse und Hilfestellungen für Patienten, aber auch für das medizinische Fachpersonal.

 

 

Autor:

Dr. Alexander Schachinger

ist Gründer und Geschäftsführer der EPatient Analytics GmbH.
Mail: as(at)epatient-analytics.com