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Digitale Transformation sollte Teamsport sein

Ärzt:innen sind unzufrieden, frustriert und äußern das auch – unter anderem auf dem 125. Deutschen Ärztetag im November 2021. Sie fordern nicht nur, die Einführung bestimmter Digitalisierungsvorhaben, etwa das E-Rezept, zu verschieben, sondern auch, mehr in die Entscheidungen und Prozesse bei der Digitalisierung einbezogen zu werden. Aber woher kommt ihr Verdruss eigentlich? Offenkundige technische Mängel, zum Beispiel bei der elektronischen Patientenakte und der Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI), haben sicherlich einen Teil dazu beigetragen. Hinzu kommt, dass sich viele Ärzt:innen und medizinische Fachkräfte dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie selbst würden die Digitalisierung verzögern oder sogar verhindern. Und das, während sie sich damit herumärgern müssen, dass die neuen Technologien schlichtweg noch nicht funktionieren und Testphasen sehr kurz – möglicherweise zu kurz – angesetzt werden.

 

Die Forderungen vom vergangenen Ärztetag und ähnliche kritische Äußerungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) haben allerdings bei einigen Unternehmer:innen und anderen Akteuren aus der Digital-Health-Szene geradezu für Entsetzen gesorgt. Denn eigentlich müsste die Digitalisierung im Gesundheitswesen noch viel schneller voranschreiten: Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland großen Aufholbedarf. Was brauchen wir also? Ein Umdenken, neue Herangehensweisen und mehr Einigkeit. Ich plädiere dafür, die digitale Transformation als Teamsport zu betrachten und entsprechend umzusetzen, anstatt wie bisher Maßnahmen und Zeitpläne ohne die Mitwirkung derer zu gestalten, die sie hinterher anwenden müssen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens das Gefühl entwickeln, mit technischen Innovationen und der Implementierung in den Versorgungsalltag überfordert zu sein. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Beschäftigten der Branche bei altbewährten Lösungen wie etwa dem Fax bleiben. Nur so lässt sich vorhandener Widerstand gegen Veränderungen abbauen.

 

Als ehemaliger Chirurg und Gründer eines Digital-Health-Unternehmens kann ich sowohl die Perspektiven der medizinischen Fachkräfte als auch der Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft sehr gut nachvollziehen. Die zentrale Frage, die wir uns stellen sollten, lautet: Wie gelingt die digitale Transformation im Gesundheitswesen als Teamleistung – also unter Einbeziehung des medizinischen Personals?

 

Antworten auf diese Frage liefern uns heute schon die Fälle, in denen die Integration neuer Technologien in den Berufsalltag weitgehend reibungslos funktioniert hat. Eines dieser positiven Beispiele ist die Einführung eines neuen Kommunikationsmittels, genauer gesagt einer Instant-Messaging-Tools. Instant-Messenger werden von den meisten Menschen im Privatleben stark genutzt – für den Austausch von Textnachrichten, das Versenden von Fotos und Videos sowie Anrufe oder Voicemails. Angestellte im Gesundheitswesen greifen immer mehr auf diese vertraute Technologie zurück, um mit Teamkolleg:innen und auch Kolleg:innen außerhalb ihrer eigenen Einrichtung zu kommunizieren und sich fachlich auszutauschen. Die Voraussetzungen für die Einführung eines datenschutzkonformen, speziellen Messengers für das Gesundheitswesen sind demnach sehr günstig. Trotzdem braucht es Anreize und eine einleuchtende „reason why“. Die Betreiber:innen von Arztpraxen und Kliniken zu zwingen, ein Digitalisierungsvorhaben umzusetzen, ohne sie vom Mehrwert überzeugt zu haben, kann nicht funktionieren. Erst, wenn ein freiwilliges, organisches Nutzerwachstum entsteht, kann Digitalisierung nachhaltig sein.

 

Jede Gesundheitseinrichtung, die einen neuen Kommunikationsdienst einführen möchte, sollte daher einen soliden Plan für das Änderungsmanagement aufstellen. Ein solcher Change Management Plan beschreibt idealerweise, welche Maßnahmen erforderlich sind, um den Mitarbeiter:innen zu helfen, eine neue Technologie zu verstehen, ihren Nutzen zu erkennen und sie anwenden zu können. Das setzt voraus, dass diese sowohl an der Planung als auch an der Durchführung beteiligt werden. Ein sinnvolles Modell für eine Neuerung innerhalb einer sozialen Gruppe berücksichtigt die sogenannten Übernahmetypen, die sich in Bezug auf ihr Kommunikationsverhalten, ihre Position im sozialen Gefüge, ihre persönlichen Werte und dem Adoptionszeitpunkt unterscheiden. Diese Typen gehen zurück auf den US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Everett M. Rogers. Laut seiner Diffusionstheorie können fünf Typen unterschieden werden, die verschieden stark in Bevölkerung repräsentiert sind: Innovatoren (2,5 Prozent), „Early Adopter“ (13,5 Prozent), „Early Majority“ (34 Prozent), „Late Majority“ (34 Prozent) und Nachzügler (16 Prozent). Durch den Einsatz von engagierten „Change Champions” am Arbeitsplatz – typischerweise Innovatoren –, die dabei helfen, die Übernahmetypen und daraus folgernd die Bedürfnisse des Teams zu ermitteln und die erforderlichen Informationen und Anreize weiterzugeben, können neue Technologien effizienter und mit weniger Reibungsverlusten eingeführt werden.

 

Digitalisierungsprozesse werden besser angenommen, wenn sie nicht von einer oberen Instanz angeordnet, sondern im Sinne des Bottom-up-Ansatzes von unten nach oben getragen werden. Jeder zusätzliche Anreiz, zum Beispiel ein positives Wettbewerbselement zwischen Abteilungen, kann zum Gelingen beitragen. Zusammenfassend lässt sich der Schlüssel zum Erfolg so beschreiben: Die Führungsebene einer Einrichtung bestimmt wichtige Eckpunkte (etwa die Zeitplanung und Sicherheits-Regeln), die Mitarbeiter:innen entscheiden, in welchen Etappen und mit welchen spielerischen Elementen die Einführung einer neuen Technologie konkret abläuft. Im Bereich Instant-Messaging haben wir unter anderem durch diese Methode bereits große Fortschritte erzielt: So wird beispielsweise der Messenger Siilo in den Niederlanden von 70 Prozent aller Ärzt:innen genutzt, und in Deutschland verzeichnet die App bereits 60.000 Nutzer:innen aus dem Gesundheitswesen. Statt mit Unzufriedenheit und Frustration geht die digitale Transformation dann im Idealfall mit einer positiven Erwartungshaltung einher und wird zum verbindenden „Teamsport“.  

 

Autor:

Dr. Joost Bruggeman

CEO und Co-founder Siilo

Siilo ist ein sicherer Messenger für medizinisches Fachpersonal und mit rund 400.000 aktiven Mitgliedern das größte medizinische Netzwerk Europas.