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Es hakt nicht mehr so sehr

Bei der Beschreibung der Entwicklung von E-Health und Digitalisierung kam man in Deutschland lange Zeit an einem kritischen und teils auch (an-)klagenden Ton nicht vorbei. Aber das ändert sich gerade. Ist die Zeit jetzt also reif für einen wohlwollenden oder gar lobenden Grundton? Wohl noch nicht ganz.   

Hans-Peter Bröckerhoff ist Herausgeber der E-HEALTH-COM

Vor Kurzem wurde ich gebeten, für ein Unternehmens-Jahrbuch einen Beitrag zum Entwicklungsstand der Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems zu schreiben. Arbeitstitel sollte sein: „Es hakt“. Bei der gedanklichen Konzeption des Beitrags wurde schnell deutlich, dass der Arbeitstitel heute so nicht mehr funktioniert. Der Vorschlag ist nachvollziehbar. Er entspringt der Erfahrung, dass E-Health in Deutschland lange keine Erfolgsstory war. Das Gesundheitssystem zeigte sich lange voller Blockaden, Haken und Ösen und wenig fähig zur digitalen Modernisierung.


Es hakte einfach immer wieder, vor allem bei der Vernetzung durch die Telematikinfrastruktur (TI). Die Interessen- und Machtkämpfe der Selbstverwaltung und die Unfähigkeit der Politik, den Einführungsprozess zu steuern, sorgten dafür, dass die TI statt zum Exportschlager zum Symbol der mangelhaften Fähigkeit des deutschen Gesundheitssystems zur Digitalisierung wurde. Es hakte allerdings nicht nur bei der TI. Auch in anderen großen E-Health-Feldern ging es nur schleppend voran. So wurden zwar telemedizinische Anwendungen in großer Zahl erprobt, kamen aber nicht über die Projektphase hinaus. Und auch die Optimierung der Prozesse in Krankenhäusern und Arztpraxen schritt zwar voran, allerdings bei Weitem nicht so schnell wie in anderen Ländern. IT wurde von Krankenhausmanagern und Praxisinhabern meist nur als lästiger Kostenblock betrachtet. 


Kein Wunder, dass das Bild des Hakens, des Hängenbleibens noch tief im Bewusstsein ist und schnell auftaucht, wenn es um eine Überschrift für einen Beitrag geht, der den Entwicklungsstand der Digitalisierung beschreiben soll. Doch die lange unbefriedigende, teils sogar frustrierende Gesamtsituation ändert sich gerade. Seit zwei, drei Jahren tut sich etwas. Blockaden werden abgebaut und Haken gelöst. Die politischen Rahmenbedingungen werden verbessert und auch die Haltung der verantwortlichen Akteure dreht mehr und mehr ins Positive.


Die endlich couragiertere und proaktive Förderung der Digitalisierung durch die Gesundheitspolitik ist sicher ein wichtiger, aber nicht der alleinige Grund für die neue, optimistisch stimmende Situation. Vieles, was jetzt endlich in Angriff genommen wird, ist schlicht überfällig und wurde in anderen Ländern längst umgesetzt. Zudem hat die Digitalisierung insgesamt in Deutschland seit einiger Zeit politischen Rückenwind, in nahezu allen Bereichen und Branchen – eben weil sie nicht nur im Gesundheitssektor, sondern überall zu lange nur zaghaft vorangetrieben wurde. 


Müssen wir demnach heute beim Thema E-Health und Digitalisierung in Deutschland einen neuen, nicht mehr so kritischen und anklagenden, sondern eher wohlwollenden und vielleicht sogar lobenden Ton anschlagen? Ja, schon, aber noch nicht so ganz. Denn kritische Beobachter der Entwicklung sehen noch einiges, was hakt. Es gibt immer noch viele Probleme und Hürden. Dazu nur ein Beispiel: Die telemedizinische Fernbehandlung. Hier hat der Deutsche Ärztetag 2018 den Weg für den telemedizinischen Erstkontakt freigemacht. Ein wirklich großer Fortschritt! Und die Politik hat auch ermöglicht, dass bei einer solchen  Fernbehandlung ein Rezept ausgestellt werden kann. Aber eine ganz normale, kostenfreie Kassenleistung ist diese Fernbehandlung immer noch nicht, da teilweise nur gegen Privatabrechnung zu haben. Telemedizin als willkommener Extraverdienst für innovative Ärzte? Das ist doch sicher nicht „im Sinne des Erfinders“.


Ja, große Blockaden und Hürden werden zunehmend aus dem Weg geräumt, aber „Haken“, an denen sinnvolle digitale Innovationen hängen bleiben, gibt es noch reichlich. In Bezug auf meinen Beitrag für das Jahrbuch einigte ich mich deshalb mit dem zuständigen Redakteur darauf, den Arbeitstitel ein wenig zu verändern. Er heißt jetzt: „Es hakt – aber nicht mehr so sehr“.