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Gemeinsam entscheiden – mit Rückendeckung durch KI

Blog von Nele von Horsten

Bild: © Nele von Horsten

Stellen Sie sich vor: Ein medizinisches Gespräch fühlt sich an wie ein echter Dialog auf Augenhöhe. Patient:innen bringen ihre Vorstellungen und Prioritäten ein. Ärztinnen und Ärzte hören zu, ordnen ein, wägen gemeinsam ab.

 

Im Mittelpunkt stehen nicht nur Laborwerte oder Bilder vom Radiologen, sondern auch persönliche Lebensumstände und Ziele. Am Ende steht eine Entscheidung, die medizinisch sinnvoll – und menschlich stimmig ist. Diese Vision ist für viele Menschen mit komplexeren gesundheitlichen Herausforderungen heute noch ein Idealbild. Aber es ist kein unrealistisches. Es ist erreichbar. Und: Es ist notwendig.


Ich bin Patient Advocate mit Multipler Sklerose und hoste den reichweitenstärksten deutschsprachigen Podcast zur Erkrankung. Seit Jahren bringe ich Beiträge zum Thema Shared Decision Making (SDM), weil mir echte Teilhabe an medizinischen Entscheidungen ein zentrales Anliegen ist. In Gesprächen mit Expert:innen, Betroffenen und durch meine eigene Erfahrung sehe ich, wie groß der Handlungsbedarf weiterhin ist. Aber ich sehe auch: digitale Tools und KI können ein Teil der Lösung sein – wenn wir sie richtig einsetzen.


Was wäre, wenn Künstliche Intelligenz nicht Entscheidungen ersetzt, sondern sie begleitet? Wenn sie ärztliches Fachwissen, wissenschaftliche Evidenz und die individuellen Präferenzen von Patient:innen intelligent verknüpfen könnte? Wenn sie hilft, zu strukturieren, zu visualisieren, zu erklären – ohne zu überfordern?


Ich denke an ein digitales Tool, das mir Optionen verständlich macht: Welche Behandlung passt zu meinem Risiko? Welche Nebenwirkungen, Nachuntersuchungen oder organisatorischen Anforderungen kann ich mir beruflich, familiär, emotional leisten – und will ich mir zumuten? Welche Alternativen gibt es? Vielleicht eine hochwirksame Therapie – vielleicht auch ein milderer Weg. Vielleicht ist mir ein aktiver Lebensstil wichtig, mit Ernährung, Bewegung, Verhaltensänderung. Vielleicht will ich aber auch ganz bewusst Verantwortung abgeben und auf eine bewährte medizinische Lösung setzen. All das ist legitim – solange es eine echte Wahl ist.


Solche Entscheidungen brauchen Unterstützung – nicht nur medizinisch, sondern auch kommunikativ. Und genau hier liegt die Chance: Digitale Werkzeuge können Ärztinnen und Ärzte in Praxen und Kliniken entlasten, ­Gespräche vorbereiten, Informationen personalisieren, ­Dokumentation integrieren. Vor allem aber können sie Raum schaffen für das, worauf es ankommt: Zuhören, Verständnis, gemeinsame Verantwortung.


Ich bin überzeugt: Wenn Patient:innen mit gut informierten, formulierten Präferenzen ins Gespräch gehen – und Ärztinnen und Ärzte darauf eingehen, ergänzen, auf Risiken, Alternativen und Rahmenbedingungen hinweisen – dann entsteht ein Miteinander, das beide Seiten stärkt. Es geht nicht um „Compliance“ oder „Therapietreue“, sondern um Entscheidungen, die getragen werden. Von beiden.


Natürlich braucht es Standards, Datenschutz, Schulung, Zeitbudgets. Aber was es vor allem braucht, ist Bewegung. Bewegung auf beiden Seiten. Ärzt:innen müssen bereit sein, Kontrolle zu teilen. Patient:innen müssen sich trauen, ihre Stimme zu nutzen. Nur so kommen wir raus aus der Trägheit – und rein in eine Medizin, die nicht nur evidenzbasiert, sondern auch menschlich klug ist.


Wenn wir KI als Brückenbauerin verstehen, dann kann sie echte Begegnung wieder möglich machen – trotz aller Bürokratie, Zeitnot und Systemlast. Und wer weiß: Vielleicht macht diese neue Art der Zusammenarbeit dann auch wieder mehr Freude. Weil man nicht nur behandelt, sondern gemeinsam entscheidet. Und das verändert alles. 

 

Autorin:

Nele von Horsten

ist Patient Advocate, Autorin und Podcasterin. Sie lebt seit über 20 Jahren mit Multipler Sklerose und gründete im Jahr 2020 MS-Perspektive (www.ms-perspektive.de), eine Website mit Podcast für MS-Patient:innen, Angehörige und Interessierte. 


Im Juli 2025 erhielt sie einen Master of Science in Multiple Sklerose Management. Sie ist Mitglied des vor zwei Jahren mit Unterstützung von Roche gegründeten Patient Councils, das aktuell ein Whitepaper „KI und Shared Decision Making“ verfasst hat 
(https://patientenimfokus.de/ki).