Die Nobelpreise interessieren uns in der Digital Health Community typischerweise nur am Rande. Digitalisierung ist Anwendung, nicht Grundlagenforschung, so zumindest die übliche Denke. In diesem Jahr wurden gleich zwei Nobelpreise an (ausschließlich männliche) Wissenschaftler verliehen, die im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) geforscht haben bzw. weiterhin forschen.
Über den für Physik kann man streiten, aber dass der Chemie-Nobelpreis verdient ist, gilt als ziemlich unstrittig. Er ging an drei Wissenschaftler, die in den USA und in Großbritannien forschen. Verliehen wurde er für die Entwicklung von AlphaFold, einer KI-Anwendung, die die Proteinbiochemie und insbesondere das Proteindesign revolutioniert hat. Nicht wenige neue, proteinbasierte Medikamente wären ohne AlphaFold entweder nicht denkbar, oder es hätte Minimum sehr viel länger gedauert, sie zu entwickeln.
Unabhängigkeit als Erfolgsrezept
AlphaFold ist eine Anwendung von Google DeepMind in London, und entsprechend gingen zwei der drei Drittel des Nobelpreises nach London, an John Jumper und Demis Hassabis, zwei Wissenschaftler eines kommerziellen Unternehmens. Das dritte Drittel ging an das Baker Lab an der Universität Washington, wo – von David Baker und Team – viele jener Methodiken entwickelt wurden, die die „Grundlagentechnologie AlphaFold“ zum mächtigsten Werkzeug der Proteinbiosynthese-Forschung machten, das es je gab.
Es ist nicht das erste Mal, aber immer noch hinreichend ungewöhnlich, dass ein naturwissenschaftlicher Nobelpreis an kommerzielle Forscher geht. Zumal in diesem Fall nicht der translationale Part des Nobelpreises kommerziell erfolgte, sondern der Grundlagenpart, der in Person von Jumper und Hassabis dann auch völlig zu Recht zwei Drittel des Preises ausmacht. So gesehen ist mit den aktuellen Nobelpreisen nicht nur die KI im wissenschaftlichen Mainstream angekommen, sondern auch die kommerzielle Forschung. Der Chemie-Nobelpreis zeigt aber auch, was gewährleistet sein muss, damit es zu so einem Erfolg kommt: Die Forscher:innen bei DeepMind sind so unabhängig, wie Forschung nur sein kann. Für Forschung, die nur auf Monetarisierung schielt oder sogar ein Anhängsel von Marketingabteilungen ist, wird es keine Nobelpreise geben.
Autor:
Philipp Grätzel von Grätz
Chefredakteur E-HEALTH-COM