Leider sieht es da besonders düster aus. Die Koalitionsvereinbarung ist gespickt von guten Vorsätzen, was zu machen ist. Ohne dass zu erkennen ist, wie all diese Grundsätze realisiert werden sollen.
Es geht um eine nachhaltige Verbesserung des Gesundheitswesens. Unsere Überlegungen gehen vom "Blinden Fleck” der gesundheitspolitischen Diskussionen aus: Dem Denken in geschlossenen, statischen Systemen. Und so sind die wichtigsten Akteure, die Hüter der Fleischtöpfe, ambulante und stationäre Leistungserbringer:innen, Kostenerstatter:innen in Dachverbänden organisiert. Als solche blockieren sie sich prächtig und kostenträchtig. Diesem statischen Denken folgend müssen Veränderungen immer von oben, aus der Politik induziert und natürlich incentiviert werden. Schwerpunkte und Anreize werden in Folge einer (fach-) öffentlichen Diskussion identifiziert und dann in Verhandlungen zwischen politischen Koalitionspartner:innen und den zentralen Akteuren des Gesundheitssystems, den Spitzenverbänden von Kassen, Krankenhäusern und Ärzt:innen ausgehandelt. Das dauert. Dir Ergebnisse dieser Kompromissbildung sind pauschal und weniger ergebnisorientiert als es sein müsste. Im Umkehrschluß plädieren wir zuerst für eine andere “Governance”: Statt der Idee, dass Politik ein finales, in Vollzügen und Honorierung abschließend definiertes Gesundheitssystem gesetzlich festschreibt, gilt es in Zeiten anhaltender Veränderungsnotwendigkeiten (Demographie, Generationswechsel) und eines bunten Straußes an neuen Möglichkeiten (Digitalisierung, neue therapeutische und versorgungswissenschaftliche Erkenntnisse, KI, Nutzung von “Real-Life-Daten” für die Forschung und Behandlung ) neue Flexibilität und neue Verantwortlichkeiten im Versorgungsprozess möglich zu machen.
Der Leitgedanke: Agile statt statische Governance
Auf einen Begriff gebracht: Agile statt statische Governance, politische Leitplanken für Veränderung statt SGB V-Zementierung.Punkt zwei: Beseitigung von Wildwüchsen und Widersprüchen. Unser Gesundheitssystem, historisch gewachsen, ist voller Widersprüche. Die Monopolkommission steht Netzwerkgedanken, einem simplen Wettbewerbsgedanken folgend, kritisch gegenüber. Die Aufsicht beurteilt weiterhin nach simpler jährlicher “Einnahmen-Ausgaben”-Logik, zudem für verschiedene Kassenarten auf Bundes- oder Länderebene. Und ein zerklüftetes und vom BSI und den 18 Datenschutzbeauftragten sehr restriktiv ausgelegtes Datenschutz- und Sicherheitsverständnis verhindert, dass digitale Ökosysteme entstehen können.
Die Folge: Politisch weniger machen. Und mehr machen lassen
An die Politik ist zu adressieren: Weniger machen, mehr machen lassen. Es fehlt an “Beinfreiheit” für Akteure. Gesucht wären dann “Handlungskreise” mit natürlichen Feedback-Schleifen, ökonomisch gesprochen: Return of Investment. Beispiel? Schon die Planung der ambulanten und stationären Versorgung zerfällt in den bundesweiten an die KV delegierten ambulanten Versorgungsauftrag und der Länderverantwortung für die Krankenhausplanung. Eine Zusammenführung der Versorgungsverantwortung auf Länderebene wäre, der notwendige politische Konsens vorausgesetzt, ein wesentlicher Schritt, um der Zersplitterung des deutschen Gesundheitswesens entgegenzuwirken.
Notwendig: Institutionen überflüssig machen
Wer die Wirkung von Digitalisierung in anderen Wirtschaftssektoren verfolgt, weiß, dass Digitalisierung zu Konsolidierungsprozessen führen kann, führen muss, die ganze Unternehmen oder Institutionen - oder Verbände - “ausradiert”. Brauchen wir über 80 Krankenkassen, die Verhandlungen und Vereinbarungen erschweren? Muss die ambulante Versorgung tatsächlich durch das Kartell einzelunternehmerisch tätiger Ärzt:innen gesichert werden, auch in Zeiten, in denen sie dieses sowohl in ländlichen wie auch in sozial schwachen Großstadtvierteln nicht mehr leisten können? Wer sich den Irrsinn der Terminservicestellen der KBV vor Augen führt, - dort werden händisch telefonisch Allgemein- und Fachärzte abtelefoniert, um freie Terminslots zu finden in einer Zeit, in der DoctoLib oder andere Terminbuchungssysteme zeigen, dass ein entsprechender Service inzwischen eigentlich automatisch, schnell, kundenfreundlich und kostengünstig erledigt werden könnte. Die langwierigen Verhandlungen über Entlassmanagement wäre ein weiteres Beispiel für die Schwerfälligkeit des deutschen Gesundheitssystems, um die von Minister Lauterbach geforderte Hebung von Effizienz und Effektivitätskriterien zu erzielen.
Erforderlich: Anhand unterschiedlicher Szenarien Politikfolgen abschätzen
Nun mögen die dargelegten Überlegungen sehr abstrakt und wirklichkeitsfern scheinen. Sind sie aber nicht. Die Idee dahinter: Die Dynamisierung von Prozessen, egal, ob er über den Booster Digitalisierung oder die Idee Regionalisierung vorangetrieben wird, hat immer konkrete Verbesserungen, aber auch erwünschte und unerwünschte Folgen und Nebenwirkungen. Erst, wenn wir in der gesundheitspolitischen Debatte mit unterschiedlichen “Versorgungsszenarien” denken, reden und forschen lernen, wird Digitalisierung die erwünschen Ergebnisse für bessere und sich weiterentwickelnde Gesundheitsleistungen zeitigen können. Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Dem Thema dynamisches eHealth Governance wollen wir uns an dieser Stelle künftig regelmäßig widmen.
Weitere Information:
Das Impulspapier „Boosting eHealth Governance” kann hier heruntergeladen werden:
https://kovarhuss.de/wp-content/uploads/2022/09/Boosting-eHealth-Governance-final.pdf
Autor:
Nikolaus Huss
Managing Partner
KovarHuss GmbH Policy Advisors
Berlin
nh(at)kovarhuss.de