Wer Dinge verändern will, muss verrückten Ideen bewusst Raum geben – wohl wissend, dass manche davon übertrieben sein mögen. Vor allem müssen wir den Menschen im System Raum geben, Zukunft mitzugestalten. Hierbei ist die Künstliche Intelligenz (KI) für Angehörige von Gesundheitsberufen und für Patient:innen mehr als eine Technologie. Sie ist ein Werkzeug der Mitgestaltung, das aus Betroffenen Beteiligte macht. Einige Hypothesen:
KI muss so eingesetzt werden, dass der Spaß an der Arbeit zunimmt.
Warum verlieren Radiolog:innen die Lust an einer KI, die Bilder einmal komplett durchbefundet, lieben aber vorsortierte Arbeitslisten, die ihnen jene Bilder als Erstes zeigen, auf denen sie „was finden“ können? Wir müssen den Einsatz von KI viel mehr am Menschen orientiert denken – KI macht uns dann produktiver, wenn wir durch sie mehr Spaß an der Arbeit haben. Mut zur radikalen Innovation: Warum nicht den klinischen Einsatz von KI so gestalten, dass Anwender:innen im Patientenkontext Fortbildungsaufgaben gestellt werden? Beim Knobeln weist uns die KI dann spielerisch den richtigen Weg und wir lernen dazu. KI, die uns schlauer macht, und nicht dümmer.
Auch im Gesundheitswesen wird die „Experience Economy“ kommen.
In den USA partnern heute einzelne Krankenhäuser mit Handyanbietern auf Basis deren FHIR-basierter Krankenakte: Am Empfang können Patient:innen per „Tap“ den Zugang zu ihrer Akte freigeben – identifiziert per Fingerabdruck oder Gesichtsscan auf dem eigenen Handy. Und in der ambulanten Welt kann in den USA mit einem Abo per Internet zu geringen Kosten einiger Dollar pro Monat bei 60 Prozent der typischen „Husten, Schnupfen, Heiserkeit“-Erkrankungen aus dem Browser heraus per Telekonsultation ein Doktor gesehen werden – ohne Wartezeit und so bequem wie ein Bringdienst. Auch in Deutschland – mehr Mut zur radikalen Innovation: Als medizinische Einrichtungen, als traditionelles Gesundheitswesen, müssen wir diesen Trend unbedingt mitgestalten. Die Telematikinfrastruktur muss dafür zum sicheren Backbone werden – aber nur mit einer tollen Nutzerexperience.
Der teure Faktor ist nicht mehr die Maschine, sondern der Mensch.
„Zuerst muß der Patient zum Arzt“ war früher eine Art Dogma der Versorgung. Aber das wird sich in den nächsten zehn Jahren komplett drehen. Es wird effizienter sein, erst die komplette (labor)technische Untersuchung durchzuführen und dann das medizinische Personal einzubinden. Mehr Mut zur radikalen Innovation: Wie könnte zum Beispiel im Bereich Notaufnahme eine solche Prädiagnostik abgebildet werden? Welche Rolle könnten BodyScan-Kabinen und Telediagnose-Bereiche für die Selbstdiagnostik spielen? Werden wir bald Eingangscontainer bei Notaufnahmen haben, in denen die ersten Abschnitte der diagnostischen Reise begangen werden, bevor der Arzt oder die Ärztin ins Spiel kommen? Gut möglich, dass die Krankenhausarchitektur bald ganz anders aussieht als heute.
Large-Language-Modelle: Vielfalt und Mehrwert gewinnt.
Spätestens seit dem berühmten geleakten Dokument von Google wissen wir, dass Open Source bei den Large-Language-Modellen (LLMs) eine wichtige Rolle spielen wird. Viele große Technologiefirmen und Hyperscaler arbeiten an eigenen Modellen in diesem Feld. An der Schnittstelle von LLMs und Medizin klären sich derzeit technische Fragen rund um den Einsatz als Medizinprodukt und offenen Datenschutzfragen. Und „freie“ Anbieter, z. B. die Open- Source-Initiativen Mistral, LLaMA und Phi zeigen, dass Sprachmodelle auch sehr gut komplett offline auf einem einfachen iPhone funktionieren. Wir sollten die großen Technologieanbieter deswegen aber nicht „abschreiben“, im Gegenteil, denn bei der LLM-Technologie wünsche ich mir auf jeden Fall große Diversität und viele Auswahlmöglichkeiten und Mehrwertservices, um die beste Nutzererfahrung für den jeweiligen Anwendungsfall generieren zu können.
Autor:
Dr. med. Christian Elsner
ist Partner bei PwC Deutschland für den Bereich Transformation. Er organisiert zusammen mit Prof. Jens Scholz und dem UKSH den Healthcare Hackathon, der in diesem Jahr vom 29. bis 31. Mai in Berlin stattfindet und ganz im Zeichen der KI stehen wird.