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Reboot statt Routine

Blog von Dr. Albrecht Kloepfer und Sophia Wagner, iX – Institut für Gesundheitssystem-Entwicklung

Die Bundestagswahl ist vorbei, die Digitalisierung geht weiter. Aber wo steuert das deutsche Gesundheitswesen hin, beziehungsweise: Wo sollte, wo muss es hinsteuern?

 

Im Grunde muss die neue Bundesregierung den Tanker Gesundheitssystem ordentlich aufmischen. Denn wer hätte gedacht, dass unser System – auf das wir aus guten Gründen auch stolz sein dürfen – mal einen kompletten Reboot braucht? Doch genau das steht an, und zwar in mehreren Bereichen. Versuchen wir´s mal mit folgenden Punkten:

  1. Unser Gesundheitssystem ist historisch auf die Akutversorgung ausgerichtet. Dies ist längst nicht mehr zeitgemäß – chronisch Kranke brauchen integrierte, teamorientierte Betreuung. Statt immer nur den Notfall zu retten, sollte man auf ein System setzen, in dem Hausärzte, Fachärzte, Pflegekräfte und die vielen anderen Gesundheitsfachberufe Hand in Hand arbeiten.

  2. Doch jetzt wird’s knifflig: Es braucht nämlich auch mutige neue Finanzierungsmodelle, und auch private Investitionen dürfen dabei kein Tabu sein. Der Spagat zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Effizienz ist machbar. Doch Denken „out of the box“ und viel Pragmatismus sind gefragt, wenn das Gesundheitssystem nicht nur kurzfristig überleben, sondern langfristig auch glänzen soll.

  3. Während der Rest der Welt schon längst ins digitale Zeitalter abhebt, hängen wir noch an Zetteln und Faxgeräten. Doch Telemedizin, KI-gestützte Diagnostik und digitale Patientenakten sind längst Realität – nur unser System muss endlich mitziehen. Auch in den Vergütungsstrukturen. Wer den digitalen Turbo zündet, bekommt einen ordentlichen Schub in Sachen Effizienz und Qualität.

  4. Die sektorale Trennung zwischen ambulant und stationär muss endlich überwunden werden. Es wird höchste Zeit, die starren Grenzen aufzubrechen und eine nahtlose, patientenzentrierte Versorgung zu etablieren, bei der alle Beteiligten – von Hausärzten über Fachärzte über alle anderen Heilberufe bis hin zu Pflegekräften – reibungslos zusammenarbeiten. So spart man nicht nur Kosten, sondern erzielt auch bessere Behandlungsergebnisse. Die Outcome-basierte patient journey muss das Paradigma der Versorgung werden.

  5. Ärzte und Pflegekräfte kämpfen täglich gegen einen undurchdringlichen Verwaltungs-Dschungel. Warum? Weil wir unseren Health-Care-Professionals eher miss- als vertrauen. Oder anders: Um drei Prozent schwarze Schafe zu erwischen, versauen wir den 97 Prozent intrinsisch hochmotivierten Akteur:innen den Spaß an der Arbeit. Das kostet Zeit, Geld, Nerven und schadet letztlich der Patientenversorgung.

  6. Warum reparieren, wenn man auch vorbeugen könnte? Andere Länder zeigen, wie gezielte Präventionsprogramme Leben retten und Kosten senken. Ein stringenter „Health in all Policies“-Ansatz würde hier Wunder wirken. Wie wäre es z. B. mit einer operativ orientierten „Bundesstiftung für Prävention und Gesundheit“? Geld dafür könnte es u. a. bei einer Abgabe (keine Steuer!) auf Nikotin, Alkohol und Zucker geben.

  7. Gesundheit und Umwelt gehören zusammen. Nachhaltige Reformen, moderne Infrastruktur und clevere Stadtplanung können das Gesundheitssystem ökologisch und ökonomisch fit machen. Wenn Klimaschutz mit Gesundheitspolitik Hand in Hand geht, profitiert nicht nur die Umwelt.

  8. Was gilt es dabei zu bewahren: Unser alt gewordenes SGB V gibt in seinem § 2 ein unbegrenztes Behandlungsversprechen. Wer krank ist, hat – im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) – Anspruch auf Heilung oder Linderung seiner Erkrankung. Das muss der Maßstab bleiben. 99,9 Prozent der Weltbevölkerung beneiden uns darum!


Fazit: Die neue Regierung hat einen Mammutjob vor sich. Alte Systemstrukturen über den Haufen werfen, frischen Wind in die alten Segel blasen (und neue setzen) und dabei den Spagat zwischen altbewährter Praxis und moderner Innovation meistern. Es geht darum, ein Gesundheitssystem zu schaffen, das nicht nur effizient und gerecht ist, sondern das auch den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist.

 

Autor:innnen:

Dr. Albrecht Kloepfer und Sophia Wagner
sind Leiter und designierte Leiterin des iX – Instituts für Gesundheitssystem-Entwicklung, das sich mit seinen Kooperationspartnern als Netzwerkspezialist für eine effiziente und effektive Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystems versteht.